Hinter Fassaden und wiederum Fassaden der verletzliche Mensch

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Eine Vater-Sohn-Geschichte voll von phantastischer Leichtigkeit und voll von tödlichem Ernst.

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Eine Vater-Sohn-Geschichte voll von phantastischer Leichtigkeit und voll von tödlichem Ernst.

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Normalerweise illustriert der amerikanische Autor des Romans "Big Fish", Daniel Wallace, die Geschichten anderer Autoren oder er schreibt Kurzgeschichten. Beides ist seinem Erstlingsroman anzumerken: Er setzt sich aus vielen phantastischen Geschichten zusammen und ist voll intensiver Bildlichkeit.

"Jedesmal, wenn wir uns einer bedeutsamen, ernsthaften oder heiklen Sache nähern, erzählt er einen Witz." So hat ihn der Sohn immer erlebt, und so erlebt er ihn auch jetzt, da er am Sterbebett des Vaters sitzt. Im letzten Stadium einer Krebserkrankung ist der Vater zum ersten Mal in seinem Leben für längere Zeit daheim. Sein Leben lang war er abwesend, abgelenkt, mit großen Geschäften in der ganzen Welt beschäftigt, nur zum Auftanken auf Kurzbesuch bei Frau und Kind. So hat er das geschafft, was er sich als Junge erträumt hatte: ein "big fish", ein wirklich großer Mann mit Vermögen und Ruf zu werden.

Doch der Sohn hätte sich einen ganz anderen großen Vater gewünscht und möchte ihn wenigstens knapp vor dem endgültigen Abschied ohne die Fassade des Witzereißers und Geschäftemachers kennenlernen. Liebevoll und hartnäckig kämpft er um jede Minute des Zusammenseins und um jene kargen Augenblicke, in denen der Vater verletzliche Stellen unter seinem Schildkrötenpanzer erahnen läßt.

Der Sohn sucht nach Fakten aus dem Leben des Vaters und konstruiert daraus unglaubliche Geschichten, aus denen der Vater als wundersamer Held hervorgeht. Da bezwingt er Riesen und rettet Jungfrauen vor giftigen Schlangen, er spricht mit den Tieren und beschützt mit List alte wehrlosen Frauen. Im Zweikampf besiegt er den Rivalen und erkämpft sich seine Frau, doch später verliebt er sich in ein geheimnisvolles Sumpfmädchen. So erschafft er sich jenen Vater, den er gerne gehabt hätte und schmerzhaft Unverstehbares wird für den Sohn erträglicher. Die Spurensuche gestaltet sich schwierig: "Unter einer Fassade ist eine andere Fassade und dann noch eine und darunter der schmerzende dunkle Ort, sein Leben, etwas, das keiner von uns versteht."

Der Konflikt ist klassisch und zieht sich durch die letzten Generationen der "vaterlosen Gesellschaft", in der Väter die "väterliche Pflicht" des Geldverdienens überbewerten. Der Vater ist stolz, seiner Familie Wohlstand geboten zu haben und einst mit einem "echten Premierminister gespeist" zu haben. Der Sohn wirft ihm vor, sich hinter Äußerlichkeiten zu verstecken, denn nur, "wenn man von einem Mann sagen kann, daß er von seinem Sohn geliebt wird, dann, denke ich, könnte man diesen Mann groß nennen."

Daniel Wallace schildert die Annäherung zwischen Vater und Sohn in all ihrer Kompliziertheit mit der klaren Dringlichkeit des Sohnes. Der wird als der "Vermissende" zurückbleiben und ringt um Erinnerungen. Doch ein "big fish" läßt sich nicht festhalten, das lernt auch der Sohn zu respektieren. Er hört auf, nach Fakten zu suchen und findet in den Geschichten und selbst in den Witzen Facetten seines einst so schillernden Vaters, und damit Trost. Die Vater- und die Sohnrolle vertauschen sich angesichts des nahen Todes immer mehr. Erst als der Sohn den gebrechlichen Vater wie ein Kind in den Armen trägt, verstummen die väterlichen Witze. Erstmals tut es ihm wohl, gehalten zu werden, und erst jetzt kann ihn der Sohn dem "großen Wasser" übergeben. Denn "big fish" wurde ihm mit seiner letzten großen Sorge, trotz allem ein guter Vater gewesen zu sein, zum Vater.

Big Fish Roman von Daniel Wallace, Aus dem Amerikanischen von Margarete Längsfeld, Schneekluth Verlag, München 1999, 220 Seiten, Kt., öS 241,-

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