Hoch zu Fisch ins Unbekannte

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Hieronymus Bosch malte, was auch den heutigen Menschen bedrängt.

Hoch oben auf der Innenseite des rechten Flügels schweben sie dahin und schauen nicht so drein, als wüssten sie, wohin der Ritt auf dem Fische geht. Fischmündig der Mann, von dumpfem Entsetzen der Gesichtsausdruck der Frau - oder doch eher von entsetzlicher Dumpfheit? Adam und Eva anno 1501, oder 2001, die grandiosen Bilderfindungen Hieronymus Boschs berühren uns nicht weniger als die Zeitgenossen. Ihr Herdfeuerchen haben die Leutchen immerhin an einer langen Stange dabei. Ein kleiner Trost. Doch die Zeit, in der Bosch lebte, war von Gewaltsamkeit, Unsicherheit und Ahnung kommenden Unheils geprägt wie unsere. Auch der Fisch schaut nicht, als wüsste er, wohin es geht.

Die Menschheit auf der Reise, könnte man meinen. Falls Bosch das Detail der "Versuchung des hl. Antonius" so gemeint hat, war es nicht gerade die niedlichste Vision des Antonius, der am Fuß des rechten Flügels wenig vergnügt auf das Treiben ringsum blickt. Oben am linken Flügel kommt er noch einmal vor, genau gegenüber der Reise auf dem Fisch. Hier hat er Tuchfühlung mit den Dämonen, doch insgesamt machen nicht die Teufel, sondern die Menschen die Welt zum Tollhaus und zur Hölle. Tollhaus Welt als Vorhof der Hölle. Auf der Mitteltafel steht im Hintergrund eine Frau in ihrer Tür, neben ihr sitzt ein Mann, eine andere schwemmt Wäsche im Bach, ein Bild des Friedens. Dahinter brennt ein Dorf, neben dem Idyll stürzt der Kirchturm ein. 150 Jahre nach seiner Entstehung mögen die Menschen angesichts dieses Bildes an die Schrecken des dreißigjährigen Krieges gedacht haben, weitere 300 Jahre später an Coventry und Dresden, wir denken an Bosnien und den Nahen Osten.

Das Werk wurde möglicherweise vor genau 500 Jahren gemalt. Die Jahresringe der Holzbretter deuten auf das Entstehungsjahr 1501 "oder später". Wieder einmal verdanken wir einer Ausstellung - Rotterdam war Schauplatz - ein Buch, das unser Wissen über einen großen Maler auf jüngsten Stand bringt: "Hieronymus Bosch - Das Gesamtwerk", von drei holländischen Bosch-Fachleuten, die einander in mancher Frage widersprechen. Über Boschs Bilderfindungen, seine gemalten Alpträume wird seit Jahrhunderten gerätselt. Das Thema wird eingehend behandelt, aber da es verbindliche Deutungen kaum je geben wird, bleibt jedem überlassen, wie er ihn verstehen will. Seine artifiziellen Brandkatastrophen, seine fliegenden Teufel und kunstvoll ausufernden Teufeleien faszinierten die Mit- wie die Nachwelt.

Heute geht es um Zuschreibungen und Datierungen. Boschs Urheberschaft ist bei keinem Werk dokumentarisch gesichert. Über keinen großen europäischen Maler weiß man so wenig. Die Erfassung einander überdeckender Abfolgen von Jahresringen verrät den Zeitpunkt, vor dem die Bäume, auf deren Holz ein Bild gemalt wurde, keinesfalls gefällt wurden. Berücksichtigt man die Trocknungszeit des Holzes und die Entfernung der weichen und damit jüngsten Teile und hat man das Glück, dass die Bretter einer Tafel von mehreren etwa zur gleichen Zeit gefällten Bäumen stammten, kann man einer glaubwürdigen Datierung sehr nahe kommen.

Bei Bosch wird die Entstehung mehrerer Hauptwerke heute früher als einst angesetzt. Damit wurden Zuschreibungen hinfällig, die sich auf die Annahme stützten, es handle sich um frühe, für sein späteres Können nicht repräsentative Werke. Auch Boschs Größe zeigte sich schon in jungen Jahren. Die schwächere Qualität mancher Bildteile hingegen ist auf die Mitarbeit anderer Maler in einer gemeinsamen Werkstatt zurückzuführen. Das Buch zeigt alles von Hieronymus Bosch, was nach heutigem Stand wirklich von ihm ist, in hervorragender Bildqualität, einschließlich des graphischen Werks.

HIERONYMUS BOSCH.

Das Gesamtwerk. Von Jos Koldeweij, Paul Vandenbroeck und Bernard Vermet. Belser Verlag, Stuttgart 2001. 170 Seiten, Tafeln, Abbildungen, Ln., öS 715.-/e 51,99

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