Hören. Diskutieren. Und dann: Beten.

Werbung
Werbung
Werbung

"Soviel du brauchst“: In Hamburg trafen sich rund 100.000 Christinnen und Christen zum 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag.

W as braucht der Mensch zum Leben? Wann ist es genug? Und wieviel Wachstum braucht unsere Wirtschaft? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigte sich der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hamburg. Ethisches Wirtschaften, der nachhaltige Umgang mit Ressourcen und soziale Gerechtigkeit wurden unter dem biblischen Leitgedanken "Soviel du brauchst“, entnommen der alttestamentlichen Geschichte vom Himmelsbrot Manna, thematisiert. Bereits der Anfangsgottesdienst am Strandkai in Hamburgs Hafenstadt widmete sich ganz diesem Thema. Unsere Erde sei aus dem Gleichgewicht, es fehle an Mitmenschlichkeit, Armut werde selbst in einer reichen Stadt wie Hamburg größer, erklärte die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs in ihrer Predigt - die in leichter Sprache gehalten und so dem zweiten Schwerpunkt des Kirchentags gerecht wurde: Inklusion. "Wir müssen uns zusammentun. Hinschauen. Mitfühlen. Und dann: Gemeinsam aufstehen“, rief Fehrs der versammelten Kirchentagsgemeinde zu. Und diese tat sich dann auch zusammen. Mehr als 100.000 Teilnehmer, darunter auch viele aus Österreich, pilgerten vom 1. bis zum 5. Mai quer durch die Hansestadt - erkennbar an den blauen Kirchentagsschals - um zu hören, zu diskutieren und zu beten. Der Kirchentag ist politisch und fromm, betonen die Veranstalter.

Politisch und fromm

Boten die Kirchentage vor fünfzehn, zwanzig Jahren noch deutliche "Zeitansagen“ - der Kirchentag 1995 in Hamburg rief noch zum Boykott von Shell auf, weil diese die Erdölplattform "Brent Spar“ im Atlantik versenken wollten - muss man beim Kirchentag 2013 genau schauen, um diese zu finden. "Das Evangelium ist immer eine Zeitansage“, erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, in einem Zeitungsinterview. Viel Konkreteres bekam man kaum zu hören, aber der Kirchentag ist auch ein Kind seiner Zeit. Bei den Auftritten von Politikerinnen und Politikern zeigte sich das Publikum zwar interessiert, bei Widerspruch oder mangelnder Zustimmung gingen die Teilnehmer aber einfach zur nächsten Veranstaltung weiter, statt den offenen Schlagabtausch zu suchen. So passiert bei einem Podiumsgespräch mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Thema "Was ist die Schöpfung in einer globalisierten Welt wert?“. In einer kurzen Musikpause verließen viele Besucher(innen) einfach die Halle. Es gibt ja genug Alternativen im Programm.

Dabei sind die Themen, die der Kirchentag aufgegriffen hat, höchst brisant. Die Wirtschaftskrise ist noch immer nicht überwunden. Vor allem im Süden Europas nimmt die Armut zu, Jugendliche und junge Erwachsene finden kaum noch Arbeitsplätze. In Griechenland werden die Schlangen vor Suppenküchen immer länger, Medikamente sind selbst für die Mittelschicht kaum mehr leistbar. Viele Menschen in Deutschland, aber auch in Österreich haben den Eindruck, dass sich einige wenige viel mehr nehmen, als sie brauchen und in Folge für die Vielen zu wenig da ist. "Soviel du brauchst“ - nicht mehr aber auch nicht weniger - als Gegenmodell scheint aktueller denn je.

Für Kontroversen sorgte lediglich das Thema Kirche als Arbeitgeber. Seit langer Zeit schon tobt ein Streit zwischen Gewerkschaft und Kirche. Konkret geht es um das Recht der Kirche, Arbeitsentgelte selbständig festzulegen und Streiks zu verbieten.

Ansonsten ging es friedlich und freundlich am Kirchentag zu: der Dialog mit Juden und Muslimen wurde intensiv gesucht. Die wenigen verbleibenden "Kirchentagsstars“, etwa die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann oder der Theologe Fulbert Steffensky - ehemaliger Benediktinermönch und Ehemann der verstorbenen Theologin Dorothee Sölle - füllen nach wie vor die Hallen.

Und was bleibt?

Eine für den Kirchentag in Auftrag gegebene Bonhoeffer-Oper sorgte für Furore. Ökumene wurde groß geschrieben, beim Schlussgottesdienst predigte der anglikanische Bischof von Bradford, Nicholas Baines.

Doch was bleibt vom Kirchentag? Was wird mitgenommen? Wie nachhaltig ist dieser kirchliche Event? Antworten auf diese Fragen können erst in ein paar Monaten gegeben werden. Die Kirchentagsbesucher haben Gemeinschaft und eine lebendige Kirche erlebt, sie haben sich mit Menschen getroffen, die sozial engagiert sind und Verantwortung übernehmen wollen. Ob und was sie daraus machen, hängt letztlich aber von jeder und jedem einzelnen ab.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung