Hoffnung in Hermannstadt

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Die Kulturhauptstadt zum EU-Beitritt ist ein Aushängeschild für Europa.

Die Gerüste, die noch vor wenigen Wochen das Stadtbild beherrschten, waren verschwunden, die Baugruben endlich zugeschüttet: Rechtzeitig zu Jahresbeginn präsentierte sich Sibiu, auf Deutsch Hermannstadt, herausgeputzt für den Reigen von Konzerten, Ausstellungen, Workshops und Festivals, der mit der Erhebung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2007 verbunden ist. Damit rückt nicht nur die alte Metropole der Siebenbürger Sachsen wieder auf die Landkarte Europas. Für zehntausende Menschen, die den Jahreswechsel im mittelalterlichen Zentrum Hermannstadts verfolgten, gab es viel mehr zu feiern als den prestigeträchtigen Titel, den man sich mit Luxemburg teilt: Der 1. 1. 2007 symbolisiert die endgültige "Rückkehr" nach Europa durch den zeitgleich erfolgten EU-Beitritt Rumäniens.

Siebenbürger "Sachsen"

Als Bollwerk gegen Eindringlinge aus dem Osten hatten Ungarns Könige ab dem 12. Jahrhundert deutsche Kolonisten auf die von den Karpaten umschlossene Hochebene im Zentrum des heutigen Rumänien angesiedelt. Hermannstadt wurde zum Zentrum der Siebenbürger "Sachsen", wie sie bald genannt wurden, obwohl die meisten Einwanderer aus der Gegend um Luxemburg stammten. Die trutzigen Wehrtürme der Handwerker-Innungen, versehen mit Schießscharten, Pechnasen und anderem Befestigungswerk, erinnern bis heute an eine Ära der Kriege und Plünderungen. Daneben bescherten die tüchtigen "Sachsen" Handel und Handwerk eine Blütezeit.

Aufs engste verknüpft ist ihr Aufstieg mit der Kirche. Kirche bedeutete in Siebenbürgen im wahrsten Sinn des Wortes Überleben. Wenn tatarische oder türkische Heerscharen einfielen, verschanzten sich die Dorfbewohner in ihren mit Mauern, Wehrgängen und Vorratstürmen ausgestatteten Gotteshäusern. Die siebenbürgischen Kirchenburgen symbolisieren nicht nur den wehrhaften Glauben der Sachsen, die um 1545 geschlossen zum Luthertum übertraten, sondern sind auch prachtvolle Zeugnisse abendländischen Kunstschaffens. Jene von Birthälm, Wurmloch und anderen Orten hat die UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.

Als Anker erwies sich die Volkskirche auch nach dem Zerfall der Donaumonarchie, als sich die Siebenbürger Sachsen plötzlich als Minderheit ohne viel Einfluss im Vielvölkerstaat Rumänien wiederfanden, und in der kommunistischen Ära. Ironischerweise war es gerade der Sturz des Diktators Nicolae Ceausescus Ende 1989, der alles auf den Kopf stellte. Ihn nutzten Zehntausende von Rumänien-Deutschen, um Hals über Kopf ihre verelendete Heimat zu verlassen. Der Exodus entvölkerte Dörfer und höhlte das Fundament der sächsischen Kultur viel tiefer aus, als es der Kommunismus je geschafft hatte. In manchen Dörfern, wo keine Sachsen mehr leben, verfallen heute die Wehrkirchen.

Die romanisch-gotische Kirchenburg von Sebes/Mühlbach, 50 Kilometer westlich von Hermannstadt, zählt zu jenen Bauwerken, auf die der Name "Siebenbürgen" zurückgeführt wird. Stolz präsentiert Pfarrer Alfred Dahinten ihr Prunkstück: Den 13 Meter hohen Flügelaltar von Veit Stoß aus dem Jahr 1516. Sonntags könne er etwa 50 Gläubige zum Gottesdienst begrüßen, erzählt der junge Geistliche. Das Bild, das sich dann bietet, ist ähnlich in ganz Siebenbürgen: Die wenigen, zumeist alten Menschen verlieren sich in den längst viel zu großen Gotteshäusern. Was dazu führt, dass die Kirchgänger einander oft mit der teils resignierend, teils ironisch gemeinten Frage begrüßten: "Wieviele seid ihr noch?" Geldsorgen beschäftigen Pfarrer Dahinten ebenfalls. "Wir kämpfen immer noch um die Rückerstattung enteigneter Gebäude", klagt er. Und damit um eine materielle Basis, um das kirchliche Leben aufrecht zu erhalten, denn Kirchensteuern gibt es in Rumänien nicht.

"Wir sind die Letzten"

Großpold/Apoldu de Sus ist eine Gemeinde, die sich noch viel schwerer tut, ihr Erbe aufrecht zu erhalten. Hier leben die letzten Nachkommen einer Gruppe von Landlern - Protestanten, die Kaiserin Maria Theresia um 1750 wegen ihres Glaubens deportieren ließ. Unter 70 Jahren ist kaum jemand, die Jungen sind längst nach Deutschland und Österreich gezogen. Die letzte Taufe fand 2000 statt, erzählt Pfarrer Wilhelm Meitert, der mit 20 bis 30 Menschen Gottesdienst feiern kann und noch sechs weitere Gemeinden betreut.

"Wir sind die Letzten. In ein paar Jahren wird es hier keine Deutschen mehr geben", schätzt Maria Sonnleitner die Lage nüchtern ein. Sie und die übrigen 60 deutschsprachigen Dörfler bemühen sich nach Kräften, ein Gemeinschaftsleben aufrecht zu erhalten. Die Pflege der Gräber zum Beispiel lässt sich gerade noch bewerkstelligen. Kein Betreiber ließ sich hingegen mehr für das nach der Wende eröffnete Café finden. Nur wenn Besucher angemeldet sind, schlüpfen Frau Sonnleitner und Frau Bjasch in die Rolle von Wirtinnen, servieren Kaffee in alten Porzellankannen, stellen sie auf gehäkelte Tischdecken und erzählen unter vergilbten Plakaten vom Zusammenleben mit den Sachsen. Nicht immer sei es spannungsfrei gewesen. "Sächsisch geht links, landlerisch auf die rechte Seite", erinnert sich Frau Sonnleitner an die strenge Sitzordnung in der Kirche. Längst beherrschen andere Sorgen den Alltag. In der Kirche sei eingebrochen worden, sagt Pfarrer Meitert, und der Bau nehme Feuchtigkeit auf.

Hoffnung auf Aufschwung

Etwas hoffnungsfroher präsentiert sich die Lage in Hermannstadt, wo noch etwa 1500 bis 2000 Deutsche leben und damit annähernd eine "kritische Masse" an Gläubigen. Den steinernen Mittelgang der um 1520 fertig gestellten Stadtpfarrkirche haben Generationen von Kirchgängern so ausgetreten, dass er zur Mitte hin eine Mulde bildet - ein schönes Bild für die Kraft des Glaubens. Gut besucht sei die Kirche an hohen Festtagen oder wenn mehrere Reisegruppen in der Stadt sind, erzählt Reiseleiter Horst Schuller. Um Geld in die Kassa zu bekommen, ist man dazu übergegangen, Übernachtungen im Pfarrhof anzubieten. Personalintensives wie z.B. Kirchenführungen ist dagegen an das Tourismusamt ausgelagert worden. Finanzsorgen und der Mangel an ehrenamtlichen Helfern plagen zwar auch die Kirche in Hermannstadt - nur scheinen die Sorgen hier leichter bewältigbar.

Dazu kommt ein psychologisches Moment. Die Rolle als Kulturhauptstadt und der zeitgleich erfolgte EU-Beitritt Rumäniens nähren die Hoffnung auf Aufschwung. Schon jetzt zählt die Stadt am Fuße der Südkarpaten mit ihren 170.000 Einwohnern zu den Boom-Regionen Rumäniens. Zu tun hat dies maßgeblich mit Bürgermeister Klaus Johannis. Aus Unmut über die anhaltende Misswirtschaft hievten ihn die Bürger bei den Wahlen im Jahr 2000 völlig überraschend ins Rathaus. Überraschend deshalb, weil Johannis der winzigen deutschen Minderheit angehört. Seither haben sich deutsche und österreichische Firmen angesiedelt, und die Arbeitslosigkeit ist auf unter sechs Prozent zurückgegangen. Äußerlich macht sich der Aufschwung in der Generalsanierung der Altstadt bemerkbar.

Nirgends entfaltet das kulturelle Erbe der Siebenbürger Sachsen eine stärkere Präsenz als vom Turm der Evangelischen Stadtpfarrkirche aus. Verwinkelte Gassen laufen auf den Großen und den Kleinen Ring zu, die mit ihrer Phalanx an stattlichen Bürgerhäusern, Kirchen und Museen das Zentrum der Altstadt bilden. Die lange Zeit dem Verfall preisgegebenen Prachthäuser der Handwerker-Zünfte und Händler präsentieren sich in neuem Glanz. Renoviert wurden das Brukenthal-Palais, das das älteste öffentliche Museum Südosteuropas beherbergt, sowie andere Bauten der Habsburger-Ära, die Besuchern aus Österreich so manches Déjà-vu-Gefühl bescheren. Auch die katholische Kirche, die dem Widerstand der erzevangelischen Hermannstädter zum Trotz am Großen Ring errichtet und 1733 eingeweiht wurde, ziert eine frische Schicht Farbe.

Deutsch ist wieder begehrt

Die Aufbruchsstimmung strahlt auch auf die Siebenbürger Sachsen aus, die in ihrer Heimat geblieben sind. Sie machen plötzlich die Erfahrung, dass ihre Sprache und ihre 850 Jahre alte Kultur wieder hoch im Kurs stehen. Dem traditionsreichen Brukenthal-Gymnasium, einer Kaderschmiede der Siebenbürger Sachsen, schien der Exodus der 1990er Jahre den Todesstoß zu versetzen - bis rumänischsprachige Eltern die Chance erkannten, die ihren Kindern ein Unterricht auf Deutsch bot. Heute lernen in dem altehrwürdigen Gebäude gegenüber der Stadtpfarrkirche zu 90 Prozent rumänischsprachige Kinder.

Auch abseits von Politik und Schulwesen gedeiht das Zusammenleben. Mehrsprachige Ortstafeln sind selbstverständlich, und in den sächsischen Brauchtumsgruppen tanzen und musizieren längst viele Rumänen mit. All das zeigt, dass das Miteinander der Kulturen funktioniert. Gerade diese gelebte Toleranz macht Sibiu/Hermannstadt zu einem mustergültigen Aushängeschild für ganz Europa.

Der Autor ist freier Journalist

in Wien.

Infos: www.sibiu2007.ro

Literatur:

Hermannstadt. Kleine Geschichte einer Stadt in Siebenbürgen

Von Harald Roth. Böhlau Verlag, Wien 2006, 233 Seiten, gebunden, Euro 22,90

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