Hoffnung und Leid mit allen teilen

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Andauernde Konflikte in der Diözese Chur führten heuer zur Versetzung von Bischof Wolfgang Haas. Wie geht dessen Nachfolger das Werk der Versöhnung an?

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Andauernde Konflikte in der Diözese Chur führten heuer zur Versetzung von Bischof Wolfgang Haas. Wie geht dessen Nachfolger das Werk der Versöhnung an?

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dieFurche: Herr Bischof, ein Dekan Ihres neuen Bistums Chur hat Ihre Transferierung von Fribourg nach Chur als Zumutung für Sie bezeichnet. Gehen Sie gerne nach Chur?

Amedee Grab OSB: Eine Zumutung für wen? Nach schweizerischem Brauch vielleicht für das Bistum, das einen auswärtigen Bischof erhält. Für mich persönlich gibt es im Dienst der Heiligen Kirche keine Zumutung. Die Aufnahme im neuen Bistum scheint mir unverdient gut.

dieFurche: Sie sollen in Chur die Wunden eines heftigen Kirchenkampfes heilen, dessen Wurzeln für Außenstehende schwer zu erkennen sind. Was war nach Ihrer Ansicht der wesentliche Grund für die Kampagne gegen Ihren Amtsvorgänger, Erzbischof Haas?

Grab: Neben persönlichen und theologischen Gründen knüpfte die Ablehnung des jungen Bischofs Haas vor zehn Jahren an die Tatsache, daß er Bischof Johannes Vonderach als Koadjutor gegeben wurde, wodurch eine Bischofswahl unmöglich wurde.

dieFurche: Etwa die Hälfte des Churer Domkapitels soll Erzbischof Haas nahestehen. Einer der Domherren, Christoph Casetti, hat die "Wegbeförderung" von Haas in das neugeschaffene Erzbistum Liechtenstein als eine der traurigsten Erfahrungen seines Lebens bezeichnet. Er sieht ein Mobbing gegen Haas "wegen seiner kirchlichen Gesinnung". Stimmen Sie dieser Ansicht zu?

Grab: An der kirchlichen Gesinnung meines Vorgängers zweifle ich keineswegs. Das Problem besteht darin, daß man seinen Gegnern nicht pauschal jede kirchliche Gesinnung absprechen kann. Nur sind im Bistum Chur die im deutschen Sprachraum allgemein vorhandenen Spannungen wegen persönlichen Gründen zu einem Kirchenkampf geworden. Daß dabei gegen Liebe, Toleranz und Gerechtigkeit viel gesündigt wurde, muß auch ich annehmen.

dieFurche: Die Schweizerische Bischofskonferenz, deren Vorsitzender Sie sind, hat nach Ihrer Ernennung der Hoffnung Ausdruck gegeben, "daß der neue Bischof in allen Teilen der Diözese eine gute Aufnahme" finden werde. Was ist Ihr Eindruck nach den ersten Gesprächen in Chur?

Grab: Die erste Aufnahme ist ausgezeichnet. Ich werde wahrscheinlich nicht alle Erwartungen erfüllen können und vielleicht auch Gegner bekommen. Das hilft, demütig zu bleiben und erhält die Gesprächsbereitschaft.

dieFurche: Sie gelten als besonders dialogfähig. Wie wollen Sie Ihr neues Bistum befrieden, die zerstrittenen Lager miteinander versöhnen?

Grab: Ich will die normalen vorhandenen Wege gehen: Mit dem Bischofsrat alles brüderlich teilen, eine gute Zusammenarbeit mit dem Domkapitel, mit den Dekanen, mit dem neu zu konstituierenden Priesterrat anstreben. Ich will mir auch Zeit nehmen, einzelne anzuhören, die den Kropf leeren möchten. Vor allem will ich beten und möglichst oft mit den Gemeinden Eucharistie feiern. Jesus Christus ist der Hirt; sein Geist bringt uns Einsicht und Trost, Mut und Ausdauer; zu Maria, die in zahlreichen Kirchen und Kapellen des Bistums besonders verehrt wird, will ich mit den Worten des Salve Regina beten: "Spes nostra salve." Ich hoffe auf die Fürsprache und die gütige Führung der Mutter der Kirche.

dieFurche: Da Sie in sieben Jahren die Altersgrenze erreichen, bei der Sie dem Papst Ihren Rücktritt anbieten müssen, sehen viele in Ihnen nur eine Übergangslösung. Liegt darin nicht die Gefahr, daß beide Seiten Boden gewinnen wollen für die Zeit nach Ihrem Weggang?

Grab: Ich muß meinen Rücktritt zwar dem Papst anbieten, aber dieser muß ihn nicht unbedingt annehmen. Jedenfalls hoffe ich, daß wir uns in den kommenden Jahren wieder auf den gemeinsamen Grund unseres Glaubens besinnen.

dieFurche: Wichtiger Streitpunkt in Chur sind das Priesterseminar und die Theologische Hochschule. Die Kritiker Ihres Amtsvorgängers monieren, dort würden nur Theologen mit konservativer Spiritualität ausgebildet. Sie fordern, daß der dem Opus Dei angehörende Leiter des Priesterseminars abgelöst wird. Sie, Herr Bischof, haben dagegen vor drei Jahren eine günstige Expertise über die diözesanen Ausbildungsstätten in den Vatikan gesandt ...

Grab: Dieser Punkt ist der brisanteste. Ohne gründlichere Aussprachen werde ich nichts beschließen. Die Ausbildung der Priesteramtskandidaten im Sinne der Heiligen Kirche ist mir ein unaufgebbares Anliegen. Ich will auch keine Lieblosigkeiten unterstützen, die jene betreffen, die sich im Auftrag meines Vorgängers für diese Ausbildung voll eingesetzt haben.

dieFurche: Ist das Bistum Chur von Opus Dei und anderen konservativen Gemeinschaften besonders geprägt?

Grab: Nein.

dieFurche: Sehen Sie im Opus Dei oder in geistlichen Gemeinschaften wie dem Neokatechumenat oder der Legion Mariens eher eine Gefahr oder eine Hoffnung für die Kirche?

Grab: Alles, was der Heilige Geist entstehen läßt und was die Kirche anerkennt, bereichert die Familie Gottes. In der Praxis kommt es darauf an, wie weit eine diözesane Pastoralplanung bei den Bewegungen eine Unterstützung findet und ob einander entgegengesetzte Kräfte einander und somit dem Ganzen schaden. Grundsätzlich stehe ich zu dem, was der Heilige Vater im Frühsommer bei der ersten großen Zusammenkunft der neuen Bewegungen in Rom gesagt hat.

dieFurche: Der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar hat einmal von einem "antirömischen Affekt" der Schweizer gesprochen. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen dem Vatikan und den Schweizer Katholiken?

Grab: Den von Hans Urs von Balthasar monierten "antirömischen Affekt" gibt es. Es gibt aber auch eine große Liebe zum Papst und eine enge Zusammenarbeit mit der Weltkirche. Ich denke zum Beispiel an das, was Caritas Schweiz oder das Fastenopfer der Schweizer Katholiken für und mit den jungen Kirchen im Süden leisten. Es ist schädlich, wenn man einfach stets die gleichen Vorwürfe wiederholt.

dieFurche: Die Freude an Glaube und Kirche dürfte bei vielen Katholiken Ihres neuen Bistums durch die jahrelangen Querelen nicht größer geworden sein. Welche Perspektive zeigen Sie den Menschen auf?

Grab: Es stimmt: Manche haben sich leise zurückgezogen. Andere sind gerade durch die Auseinandersetzung aufmerksam geworden auf die zentrale Bedeutung des Glaubens und haben sich fragen müssen, wo sie stehen. Ich lade ein, sich immer wieder zum Evangelium zu bekehren und bin mir dabei bewußt, daß ich es als erster tun muß. Die Perspektive ist die des Reiches Gottes. Ohne jede Anmaßung soll die Kirche versuchen, diese Perspektive aufzudecken. Sie hat ja die Mittel zum Heil.

dieFurche: Worin sehen Sie die wichtigsten Aufgaben in den nächsten Jahren?

Grab: Stichwortartig: Glaubensverkündigung in der Katechese, aber auch darüber hinaus; Brücken schlagen zur Jugend, damit sie den Weg sieht und zum Willen gelangt, den Weg mit der Gemeinschaft der Gläubigen zu gehen; Förderungen aller Berufungen, zunächst einmal der grundsätzlichen aller Getauften und Gefirmten. Nur wenn Christsein zu einem lebensfüllenden Auftrag und als Teilnahme am Leben den Dreieinigen Gottes entdeckt und erlebt wird, können die besonderen Berufungen gefördert werden, die die Kirche benötigt. Eine ganz wesentliche Aufgabe besteht darin, Leid und Hoffnungen der heutigen Welt zu teilen, den Glauben zu leben, daß er ein Zeichen auch menschlicher Hoffnung werden kann, ohne sich zu verweltlichen. Die Kirche kann nichts Größeres anstreben als die Verherrlichung Gottes. Sein Meisterwerk ist aber der Mensch.

Das Gespräch führte Michael Ragg.

Zur Person: Dialogfähiger Benediktiner Amedee Grab kam am 3. Februar 1930 in Zürich zur Welt und wuchs in Genf auf. Im Stift Einsiedeln studierte er Philosophie und Theologie. 1953 legte Grab die feierliche Profess ab und wurde zum Priester geweiht.

Von 1958 bis 1978 amtierte der Benediktiner als Direktor des Collegio Papio in Ascona. Nach fünfjähriger Tätigkeit an der Stiftsschule Einsiedeln wurde Grab 1983 Sekretär der Schweizer Bischofskonferenz.

1987 ernannte ihn der Papst zum Weihbischof, 1995 zum Bischof von Lausanne, Genf und Fribourg. Seit 1998 ist Amedee Grab Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Am 9. Juni 1998 wählte ihn das Churer Domkapitel zum Bischof von Chur.

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