Homer und (k)ein Ende

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Die Ausstellung „Das Phänomen Homer in Papyri, Handschriften und Drucken“ des Papyrusmusems zeigt den Weg der Homer-Verehrung von der Antike über die ambivalente Haltung des Mittelalters bis zur Lust des Barocks, die Götter ins Diesseits zu holen.

„Die Bedeutung von Homer für uns heute braucht ebenso wenig diskutiert zu werden wie die Bedeutung von Shakespeare“, schreibt der populäre Nacherzähler der klassischen Sagen des Altertums, Michael Köhlmeier (Presse, 23. 5. 2009). Von welcher Bedeutung spricht der Schriftsteller? Es stimmt: Homer lebt in Filmen. In mehr oder weniger trivialen und schwierigen Romanen (wer hat „Ulysses“ von James Joyce im Original gelesen?). Als Stofflieferant und Deutungshintergrund für allgemein menschliche Erfahrungen: die Ehre in der „Ilias“, die Besessenheit von einer Idee, das Fremdsein, die Lüge, die Treue in der „Odyssee“. Es stimmt auch, dass diese beiden Werke, geschrieben von einem biografisch nicht greifbaren Autor (oder waren es mehrere?) im 7. Jahrhundert v. Chr., Bilder enthalten, die in der Sprache der heutigen Gebildeten noch Assoziationen hervorrufen: der listenreiche Odysseus, die schöne Helena, das Urteil des Paris. Doch wo lebt Homer in unserem Bildungssystem? Sollten wir uns den Bruch der Bildungstradition nicht eingestehen? Homer war früher etwas für Leute, die Muße hatten, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, und nicht kämpfen mussten, damit etwas Essbares auf ihrem Teller war: Durch die Kenntnis Homers definierte sich in Europa die soziale Oberschicht. Selbst diese materiell abgesicherten Leute haben heute keine Zeit mehr, 28.000 Verse zu lesen …

Die Ausstellung „Das Phänomen Homer in Papyri, Handschriften und Drucken“ des Papyrusmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien zeigt den Weg von der Homer-Verehrung in der Antike über die ambivalente Haltung des Mittelalters und die Lust des Barocks, die Götter ins Diesseits zu holen: 1668 führte man in Wien „Il Pomo d’oro“ von Antonio Cesti anlässlich des 17. Geburtstags von Margarita Teresa von Spanien, der Frau Kaiser Leopolds I., auf. Thema ist das Urteil des Paris, der unter den drei Göttinnen der Aphrodite den goldenen Apfel überreichte, weil sie die schönste sei.

Cornelia Römer, die Direktorin des Papyrusmuseums und Verantwortliche der feinen, kleinen Schau, führt Homer dann als typischen Gegenstand strenger deutscher Wissenschaftlichkeit im 18. Jahrhundert vor und als Objekt der Verehrung für die Romantiker. Sie präsentiert die Geschichte der Übersetzungen bis herauf zu Raoul Schrott, dessen abstruse These, Homer sei ein Assyrer gewesen, zu heftigem Blätterrauschen im deutschen Feuilleton führte und der sprachlich unsäglich vulgär ist („dem hat doch zeus ins hirn geschissen“).

Statussymbol Papyrusrolle

Eine Homerbüste aus dem Kunsthistorischen Museum deutet an, dass der stets als blind und steinalt dargestellte Sänger nicht nur die Schriftkultur, sondern auch die bildende Kunst beflügelt hat.

Im Mittelpunkt jedoch steht Ägypten: Im trockenen Klima haben sich über 1500 Papyrusfragmente antiker Buchrollen mit den Versen von „Ilias“ und „Odyssee“ erhalten. Nachdem Alexander der Große im Jahr 332 v. Chr. Ägypten erobert hatte, beherrschten Griechen das Land am Nil. Tausende von griechisch sprechenden Soldaten und Kaufleuten aus dem ganzen Mittelmeerraum standen den Zeugnissen einer uralten Kultur gegenüber. Was lag näher, als sich selbst auch durch Kultur aufwerten zu wollen? Ein Vehikel dafür war die Kenntnis von „Ilias“ und „Odyssee“. Papyrusrollen gehörten in die Regale der Häuser der griechischsprachigen Oberschicht in der Zeit der Ptolemäerkönige und der römischen Kaiser. Schulbücher für die kleinen Griechen enthielten Passagen aus Homers Werken. Auswendiglernen von Homer-Versen war angesagt, selbst noch im 5. Jahrhundert n. Chr., als ganz Ägypten schon christlich war. Aber die Griechen brauchten für die altertümliche Sprache Wörterbücher und Kommentare. Diese schrieben bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. Gelehrte in der Bibliothek von Alexandria.

Ein Homer für jedes Adelshaus

Homer lebte weiter, als nicht mehr auf Papyrus, sondern, ab dem 5. Jahrhundert n. Chr., auf Pergament geschrieben wurde. Dann kam ein Bruch: Zwei Jahrhunderte lang entstanden nur mehr christliche Texte im byzantinischen Reich. Erst im 9. Jahrhundert erwachte wieder das Interesse für die klassische griechische Literatur und auch für Homer. Im Mittelalter las man den Dichter in lateinischen Übersetzungen und Nachdichtungen, in denen die Welt der Antike in die eigene hereingeholt wurde. Die Erfindung des Buchdrucks bedeute einen gewaltigen Bekanntheitsschub für die ersten Werke der europäischen Literatur. Nachdem der erste Druck von „Ilias“ und „Odyssee“ im originalen Griechisch 1488 in Florenz erschienen war, wollte jedes Adelshaus Europas seinen Homer haben. Die Nationalbibliothek in Wien besitzt eine Erstausgabe aus der Bibliothek des Prinzen Eugen.

Die Schau lenkt dann die Aufmerksamkeit auf die deutsche Rezeption: Unzweifelhaft ist die Vereinnahmung Homers als Geistesverwandter der deutschen Seele. Seine Dichtung, sagte Goethe in „Dichtung und Wahrheit“, strahle „die abgespiegelte Wahrheit einer uralten Gegenwart“ in die Jetztzeit herüber.

Am Ende schockiert ein Kupferstich von Jürgen Czaschka aus dem Jahr 1998, ein „offizielles“ Bild des Königspaares Odysseus und Penelope: Leere, geistlose Gesichter mit Pappkronen auf dem Kopf. Ist dieses Bild ein Symbol für unser Nicht-Verhältnis zu Homer?

Das Phänomen Homer in Papyri, Handschriften und Drucken

Papyrusmuseum der ÖNB, Neue Burg, Heldenplatz 1, 1010 Wien, Eingang Mitteltor

bis 15. Jänner 2010, Mo, Mi–Fr 10–17 Uhr

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