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Mit einem Roman über das Schreiben und Entwürfe weiblicher Identitäten meldet sich die Kärntner Schriftstellerin Lydia Mischkulnig wieder zu Wort.

Mein Ich ist ein Zufall", heißt es an einer Stelle am Beginn des jüngsten Romans von Lydia Mischkulnig, und später einmal: "Ich bin heute wer und werde folglich einmal wer gewesen sein. Wer genau, ist fraglich."

Diese Unsicherheit ist nicht neu und zählt bis heute zum Repertoire des intellektuellen Diskurses. Sie durchzieht die abendländische Literatur in ihrer Suche nach Identität ebenso wie die Problematisierung der Aufspaltung in Geist und Körper. Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts wissen wir: Ich ist ein Anderer. Das bürgerliche Subjekt bleibt aber noch in seiner Auflösung männlich.

Doch Lydia Mischkulnig ist eine Schriftstellerin und sie weiß: Ich ist eine Andere, aber nicht im Singular, sondern im Plural: Ich bin Andere. Subjekt und Identität, Sprache und Sinn sind in Bewegung. Die Persönlichkeit ist multipel und die Sprache mehrdeutig. Mischkulnig nützt diese Erkenntnis in ihrem Roman "Umarmung" und entwirft sich weibliche Verkörperungen der "Ichigkeit", erfindet sich ihre Geschichten und erinnert an die Geschichte weiblicher Identitätssuche. Literarische Vorgängerinnen wie Gertrude Stein und Virginia Woolf spielen dabei eine wichtige Rolle, aber auch die Verortung im österreichischen Kanon mit Hinweisen auf Ingeborg Bachmann und Robert Musil.

Lydia Mischkulnig seziert in "Umarmung" das Phänomen der literarischen Einbildungskraft aus weiblicher Perspektive. Sie untersucht in ihrem Buch die spielerischen und sprachlichen Möglichkeiten des In-die-Hauteiner-Anderen-Schlüpfens. Und sie lotet auf subtile Weise auch die Koordinaten von Raum und Zeit aus. Die Hauptakteurinnen sind die Ich-Erzählerin, LM und Agathe. LM - das sind nicht zufällig die Initialen von Lydia Mischkulnig.

Aber noch raffinierter wird die Konstruktion, nachdem LM, ebenfalls Schriftstellerin, in die Haut von Agathe schlüpft. Und zwar ganz wörtlich, indem sie zuerst die Puppe Agathe aufschlitzt: "Sie war besichtigbar wie ein enges, leeres Frauenzimmer, das auf einen Untermieter wartet. Ich legte meine Hand an die fleischig weichen Innenwände und stellte fest, sie waren warm. Ich könnte Agathe betreten, dachte ich, und das tat ich auch." LM wird zur Verkörperung ihrer literarischen Erfindung, die Identifikation ist vollkommen, aber aus der Lust daran wird am Ende der Zwang, in einem anderen Körper zu stecken, aus dem es kein Entkommen gibt.

Auf virtuose Weise spielt Lydia Mischkulnig in ihrem Roman mit den Differenzen zwischen Erzählerin und Autorin und zwischen den Ich-Stimmen ihrer dreieinigen "Ichigkeit" (nicht ganz zufällig wohl die Konstruktion einer weibliche Trinität).

Doch auch dem Körper ist heute nicht mehr zu trauen, längst ist nicht mehr sicher, wo die Körpergrenzen sind. Lydia Mischkulnig thematisiert in ihrem Roman auf äußerst kunstvolle und immer wieder ironisch gebrochene Weise die verschiedenen Diskurse von Körperlichkeit, von Leben und Tod in ihrer zeitgenössischen und historischen Dimension. Den Frauen steht es ja seit Jahrtausenden zu, auf ihr Äußeres zu achten, ihre Haut zu pflegen - da spannt der Roman den Bogen bis zu Ägyptens Nofretete -, während die Erzählerin und ihre Akteurinnen mit Vorliebe ins Körperinnere blicken und zwar bis auf die Knochen, den beständigsten Teilen des menschlichen Körpers. Auf andere Art und Weise besorgt den Blick ins Innere auch die moderne Medizin beispielsweise mit ihren Computertomographen. Die Doppelbedeutung von modern als neu und verfaulen durchzieht wie ein roter Faden den Text und verweist auf die Ambivalenz der Betrachtung des Körpers und der Realität. Und immer wieder geht es um die Reflexion der Schreibenden: "Ich leide an Unikatsverlust. Wir Frauen wissen das längst. Zurück zu Geburt, du Tod. Staune. Ich will, daß du seist. Liebe LM, steckst in Agathe. Was kann dagegen mein Körper? Den Stift halten? Das Heft aufschlagen und Bücher lesen? Ins Gesicht schlagen? Mit den Lidern zucken? Die Augen sehen. Wäre ich blind, könnte ich dann aus deiner Perspektive schreiben?"

Die Selbstentwürfe von heute taugen nicht viel, die Grenze zwischen Mumienwelt und Zombies ist fließend, am Ende verwirft die Erzählerin ihre Entwürfe, Auflösung statt Bestattung: "Ich sah LM gerade noch in einem Nest von Schaum verschwinden." Wie wir aus den Mythen wissen, entstiegen die Göttinnen dem Meer, aber in diesem Fall geht es nicht um die Erscheinung, sondern LM scheidet prosaisch aus der Romanwelt. Und - das ist nachzutragen - in dieser fiktiven Romanwelt gibt es auch noch einen Mann: Er gehört zu Agathe, heißt Roger und ist Tierpräparator, Vater eines Kindes. Aber er bleibt eine literarische Existenz aus weiblicher Gnade.

Lydia Mischkulnig hat mit "Umarmung" einen ebenso spröden wie gelungenen Roman über weibliches Schreiben und die Entwürfe weiblicher Identitäten vorgelegt, indem sie ohne Wehleidigkeit ironisch die sprachlichen Rollenzuweisungen zur Kenntlichkeit entstellt.

Umarmung

Roman von Lydia Mischkulnig,

Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2002,

272 Seiten, geb., e 23,60

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