"Ich bin aufgebaut bis zum letzten Tag"

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Zum Tod des Doyens der österreichischen Malerei, Max Weiler.

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Zum Tod des Doyens der österreichischen Malerei, Max Weiler.

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Meine Malerei - nur von ihr kann ich reden, ich weiß von ihr etwas - gibt sich mit Nicht-Ausdenkbarem, Nicht- Durchschaubarem, Nicht-Planbarem, Nicht-Ausrechenbarem und Nicht- Aussprechbarem ab. Ich will, dass sie in einer reinen (puren) Weise Malerei sei, so Malerei an sich, dass sie alle Möglichkeiten der Malerei ausschöpft." Das schrieb der vorige Woche am 29. Jänner in Wien verstorbene große Maler Max Weiler, geboren 1910 in Absam bei Hall in Tirol, Sohn eines Richters, der in jungen Jahren aufbrach und einen langen, kämpferischen Weg eingeschlagen hat, einen Weg, "auf dem vor ihm wenige gegangen sind und kaum einer mit ihm geht" (Otto Breicha).

An seinem 90. Geburtstag, am 27. August 2000, konnte der "einsame Adler aus Tirol" (Friedrich Heer) auf ein Lebenswerk zurückblicken, das sieben Jahrzehnte moderner Malerei des 20. Jahrhunderts in Österreich umspannt. Weilers unverwechselbare Bildsprache, sein hinreißendes Farbempfinden waren ihm aus einem Gefüge von zeitkünstlerischen Strömungen zugewachsen; Stilformen, von denen er sich mehr und mehr emanzipierte, um schließlich einen eigenständigen, international anerkannten Platz einzunehmen.

Mensch der Berge Max Weiler, ein im Heimatboden verankerter, allen modischen Wettern trotzender Monolith der zeitgenössischen Malerei, war hochbegabt und schon in jungen Jahren groß. "Unerschütterliches Vertrauen in die Welt", ein "großer Brocken Geduld", wie er betonte, und die hohen spirituellen Ideale der katholischen Jugendbewegung "Neuland", begleiteten ihn in unsentimentaler Annäherung an die Kunst unserer Zeit durch das Studium an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei Professor Karl Sterrer, durch den Kriegsdienst von 1942 bis 1945 und durch die Auf- und Umbrüche seines Künstlerlebens. "Ich bin auf etwas aus, das werde ich erreichen, über alle Umwege, dem bellenden, bissigen Hund zum Trotz", schwor er sich in seinen "Tag- und Nachtheften".

Weiler war und blieb Tiroler, ein Mensch der Berge, wenn ihm auch Wien zur zweiten Heimat wurde. Hatte er doch viele Jahre eine Professur an der Meisterklasse der Akademie inne, wirkte in seinem Atelier in der Wiener Neubaugasse und bewohnte ein schönes Heim in der Mahlerstraße, das seine Frau und Managerin Yvonne J. Weiler zu einer beeindruckenden "Privat-Galerie" ausgestaltet hat.

Aber "die Berge Tirols vermittelten ihm das zentrale Paradigma seiner Kunst - dort wurde ihm klar, dass die Schöpfung nicht hinter uns liegt, sondern immerfort auch heute geschieht" (Gottfried Böhm).

So sind Max Weilers Bilder "Neuschöpfungen der Natur ohne jede Naturähnlichkeit, ein neues Hervorbringen von Bergartigem, Grasartigem, Wolkenartigem", wie er in seinen "Tag- und Nachtheften" notierte. Diese seine Arbeiten sind "nichts Abgemaltes, nichts Abgeklatschtes", sondern innige Verbindung von Natur und Spiritualität; sie richten sich an die Menschen und gehören ihnen. Und wer Augen hat, zu sehen, der sieht.

Das bestätigen unter anderem Weilers öffentliche Bildwerke in Tirol, mit denen sich der Künstler als einer der ersten Wegbereiter der Moderne im Nachkriegsösterreich profilierte.

In seinem expressiv-farbfrischen Freskenzyklus der Passion Christi in der Theresienkirche auf der Hungerburg/Innsbruck von 1947 - entstanden als Konsequenz politischer Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg - verlegte er Golgatha nach Tirol, hatte daraufhin einen Prozess wegen angeblicher "Herabwürdigung des Bauernstandes" durchzustehen und musste die Arbeiten acht Jahre lang verhängen. Zu viele Prominente hatten sich darin wiedererkannt ... Heute wird dieses Weilersche Frühwerk als "nachhaltige Sensibilisierung der Bevölkerung für die Anliegen der Moderne" als vorbildhaft gepriesen.

Ein ganzer Reigen öffentlicher Auftragsarbeiten zieht sich seit den fünfziger Jahren durch Innsbruck und seine Umgebung (Innsbrucker Bahnhofsfresken, Bildstöckel an der Haller Bundesstraße, Glasmalereien in der Kirche Maria am Gestade, Eiserner Vorhang im Landestheater, Casino-Tryptichon und viele andere). Sie alle stehen für Weilers neue Sicht der Geschichte, der bildenden Kunst wie vor allem auch für sein ausgeprägtes Gefühl für die beseelt empfundene Natur.

Geistig lebte der Maler nie in der Provinz, auch nicht als junger Mensch. Er komponiert seine Bilder aus einem zeitlosen Weltgefühl heraus. Weiler - ein stiller Einzelgänger, der künstlerische Wahlverwandte wie Caspar David Friedrich, Matthias Grünewald, aber besonders die Maler der chinesischen Sung-Dynastie liebte, ins Gespräch holte und die Natur auf seine Weise zur "inneren Figur" machte, was sich bereits in seinen frühen, spirituellen Kultbildern ankündigte.

Kosmische Einheit 1960/61 erfolgte Max Weilers meditative Auseinandersetzung mit dem Meister-Eckhart-Ausspruch aus dem Buch der Weisheit "Als alle Dinge in tiefem Schweigen lagen ...". Sie regten den farbsinnlichen Maler in ihm dazu an, philosophisch-religiöse Gedanken und Emotionen in die abstrakt-gestischen, bebenden Formen einer glühenden Farbpalette zu fassen, bevor er sich wieder der Natur zuwandte. Sie war für Weiler nicht Landschaft allein, sondern "Wie eine Landschaft" - eine kosmische, unendliche Einheit: "Ich sage, dass das Leichte schwer, das Schwere leicht ist, dass es im Säuseln ist, dass das Wasser durch die Finger rinnt, dass Wasser und Luft die Felsen verändern, die Felsen aber Wasser und Luft nicht verändern" (Aus den "Tag- und Nachtheften").

Der Künstler verwendete beim Malen unendlich viele, unterschiedliche Pulverfarben; das Bindemittel: Eitempera; die Leinwand, fast immer sehr großformatig: auf dem Boden. Weiler malte, auf einer Rollbrücke stehend, mit verlängerten Pinseln. Während der Arbeit war seine Beziehung zur Natur unerhört konzentriert, präzise kontrollierend, andrerseits aber auch ein schier unbegreifliches inneres Sehen und der Versuch, das Leben der Berge, Steine, Gräser, des Wassers - kurz, der ganzen Landschaft und ihr Wesen in aller Farbenpracht als Tief-Erfühltes, als Teil von ihm selbst zu erkennen und zu verströmen. "Ein Gefühl der Vereinigung mit der Natur erfasst mich ... ich bin einbezogen in ihr webendes Sein ..." schrieb er.

Weilers grandioses Spätwerk steigert die Erfahrung des "Prunkes der Natur" nicht selten bis zur Farbekstase. Man ist tief berührt von der Kraft und ästhetischen Faszination, die in diesen Bildern liegt; Bilder, die uns sagen: Das Leben ist schön!

Von ebenso hoher künstlerischer Qualität sind auch Max Weilers Porträtarbeiten, die sein unglaublich reiches Îuvre lebenslang durchzogen: Clemens Holzmeister, Josef Georg Oberkofler, Ludwig v. Ficker, Eduard Wallnöfer, Silvio Magnago ... die Liste ist schier unendlich.

Doch war der Meister nicht nur ein großer Maler, er war auch ein bedeutender Zeichner visuell-philosophischen Naturempfindens, das an die großen Könner des chinesischen Tuschpinsels erinnert.

Weiler sagte dazu: "Aus dem Blatt und den Linien wird Natur erzeugt ... aus Anempfindung, alter Kenntnis, alter Bekanntschaft, gezeichnet nach Gefundenem." Es entstanden hochsensible Grafiken, die beinahe die Farben darunter erahnen lassen.

Max Weiler! - Ein Leben für die Kunst, geprägt von eigenwilligem Streben und Wollen, von großen Retrospektiven in aller Welt, von höchsten Ehrungen, Publikationen, Filmen, vom späten Durchbruch in die weltweite Internationalität, an der nicht zuletzt Weilers Gattin Yvonne, die er nach dem Tod seiner ersten Frau kennen und lieben gelernt hatte, größten Anteil hat.

"Max Weiler ist ganz ruhig hinübergegangen", sagte die gebürtige Wienerin, als sie sein Scheiden aus der Welt bekannt gab. Was schreibt der große Weiler in seinen "Tag- und Nachtheften" dazu? "Ich bin aufgebaut bis zum letzten Tag. Ich bin ein Formalist, alles ist präzise Form, alles ist gemacht."

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