Ich bin bloss sehr sensibel

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Am 8. September feiert die Malerin Maria Lassnig ihren 90. Geburtstag. Sie gilt als „Entdeckung des Jahrhunderts“. Die Konzentration auf das Körpergefühl ist das Hauptthema ihrer Kunst.

„Das Leben ist ja wirklich nicht zu Ende, ich fahre Ski, Motorrad auf und ab. Und jeder Tag bringt eine neue Wende, es ist die Kunst, die bringt mich nicht ins Grab. Es ist die Kunst jaja, die macht mich immer jünger, sie macht den Geist erst hungrig und dann satt.“ Vital, unermüdlich und humorvoll, so präsentierte sich die Malerin 73-jährig in ihrer legendären „Maria Lassnig Kantate“ (1992). Wie sehr die Zeilen dieser bänkelsängerartigen – von ihr selbst in einem animierten Film vorgetragenen – Autobiografie der Realität entsprechen, zeigt sich zum 90. Geburtstag, den Maria Lassnig nicht nur hellwach begeht, sondern auch voller neuer Bildideen. So stand man im Frühjahr 2009 in der für sie ausgerichteten Jubiläumsschau im MUMOK wieder einmal völlig überrascht vor einer Fülle jüngster Arbeiten.

Dass Maria Lassnig eine der herausragenden Malerinnen des 20. Jahrhunderts ist, war der Kunstwelt zwar seit Langem bewusst, der große internationale Durchbruch gelang ihr aber erst im Jahr 2008, als die Serpentine Gallery in London und das Contemporary Arts Center in Cincinnati ihr Einzelausstellungen widmeten. Präsentationen, die zu euphorischen Pressereaktionen führten. So sprach die britische Wochenzeitung Observer von der „Entdeckung des Jahrhunderts“, und die Financial Times drückte aus, was sich viele Museumsbesucher ob der Frische dieses Werks dachten: „Sie schwamm gegen den Strom, wurde jetzt aber vom Mainstream eingeholt; ihre Arbeit ist lebendig, beinahe experimentell sowie entschieden zeitgenössisch, obwohl sie gleichzeitig ein meisterhaftes Destillat aus eigener Erfahrung und Auseinandersetzung mit der Tradition ausdrückt.“

Frühe Leidenschaft für die Kunst

Der Weg bis zur weltweiten Anerkennung war ein steiniger. Schließlich wurde Maria Lassnig zu einer Zeit – am 8. September 1919, im Kärntner Kappel am Krappfeld – geboren, als es keineswegs üblich war, dass Frauen sich nicht für ein Leben im trauten Heim entscheiden, sondern für die Arbeit hinter der Staffelei.

Zunächst wächst sie bei der Großmutter auf, übersiedelt aber als Sechsjährige mit der Mutter nach Klagenfurt, wo sie neben dem Realgymnasium wöchentliche Zeichenstunden erhält, wie sie rückblickend ironisch in ihrer „Kantate“ erzählt: „Gott hat bestimmt mich nicht zur Schönheit auserkoren, doch gab er mir ein groß Talent dafür. Ich zeichnete die Leut’ und es ward geboren ein neuer Dürer oder sonst ein großes Tier.“

Trotz der frühen Leidenschaft für die Kunst ergreift Maria Lassnig zunächst einen bürgerlichen Beruf und wird Volksschullehrerin. Nachdem sie die Kinder aber mehr zeichnet als unterrichtet, hängt sie ihren Brotberuf an den Nagel und radelt 1941 mit einer Zeichenmappe unter dem Arm nach Wien. An der Akademie für bildende Kunst wird ihre Begabung sofort erkannt, so dass sie in die Meisterklasse von Wilhelm Dachauer aufgenommen wird. Allerdings hält der Professor ihre Malerei zwei Jahre später für „entartet“ und wirft sie aus der Klasse. „Die akademische Ausbildung in der Nazizeit hat den Schülern nur alte Meister geboten. Die modernsten waren Leibl und Thoma, Egger-Lienz ist schon für gefährlich expressiv gehalten worden“, so die Malerin: „Ich habe mir mein Farbsehen selbst erarbeiten müssen.“

Ein schwieriger Start

Seit damals geht Maria Lassnig ihren Weg eigenständig und unkorrumpierbar, auch wenn sie sich künstlerischen Bewegungen wie dem Surrealismus, dem Informel, der Pop Art oder der Videokunst nicht verschließt. Zugleich war es für sie stets selbstverständlich, sich nichts anderem als der Malerei zu widmen. Ein Leben als Künstlerin war für sie in den männerdominierten Avantgarde-Kreisen der Nachkriegszeit unvereinbar mit der klassischen Frauenrolle. Später thematisierte sie diese Unvereinbarkeit mit leiser Wehmut und bitterer Selbstironie immer wieder in Bildern – etwa in „Illusionen von den versäumten Heiraten“ oder „Illusion von der versäumten Mutterschaft“, beide aus dem Jahr 1998.

1948 entstehen die ersten „Body-Awareness-Paintings“ – die Konzentration auf das Körpergefühl wird sich zum Hauptthema ihrer Kunst entwickeln. Lassnigs Schilderungen von der Entstehung eines Bildes geben Eindruck von der Authentizität und Ich-Bezogenheit ihrer Kunst: „Ich trete gleichsam nackt vor die Leinwand, ohne Absicht, ohne Planung, ohne Modell, ohne Fotografie, und lasse es entstehen. Doch habe ich einen Ausgangspunkt, der aus der Erkenntnis entstand, dass das einzig mir wirklich Reale meine Gefühle sind, die sich innerhalb des Körpergehäuses abspielen.“

Wie ergreifende Werke durch diese unmittelbare Arbeitsweise entstehen, zeigt sich an dem Bild „Weinendes Selbstporträt“ (1994). Zu sehen ist ein erschrockenes Gesicht mit geöffnetem Mund und traurigen Augen. Das in Grüntönen gehaltene Ölbild löst durch seine Direktheit Betroffenheit aus. Es entstand während eines Weinkrampfes, erzählt die Künstlerin. Zum Glück war eine Leinwand in der Nähe – der Gefühlszustand wurde direkt aufs Bild übertragen. Im unteren Teil ist das Gemälde unvollendet, denn Lassnig beendete die Arbeit in dem Moment, wo sich ihre Stimmungslage änderte. In den 1950er-Jahren fährt Lassnig mehrmals nach Paris, tritt in Austausch mit der internationalen Avantgarde; 1961 übersiedelt die Malerin schließlich gänzlich in die Seine-Metropole, in Wien fühlt sie sich von der Kunstszene unverstanden. Auch als Maria Lassnig 1968 ihr Leben nach New York verlagert, bleibt der große Erfolg aus. Ihre Bilder werden in den USA als „strange“ und „morbide“ abgelehnt. Allerdings erweitern sich im Big Apple Formensprache und Arbeitsweise. So besucht Lassnig in der New Yorker School of Visual Arts einen Zeichentrickkurs und produziert erste eigene Zeichentrickfilme. Zugleich findet die Außenwelt in Form der Welt der Tiere und ihrer Vermenschlichung Eingang in ihre Malereien. Lassnigs bekannteste Selbstporträts wie „Einen Fisch essen“ (1975), „Fliegen lernen“ (1976), „Mit einem Tiger schlafen“ (1975) entstehen.

Radikal subjektive Selbstbefragung

Erst 1980, als ihre männlichen Künstlerkollegen längst berühmt sind, wird Maria Lassnig nach Österreich zurückgeholt. In dem Jahr vertritt sie gemeinsam mit VALIE EXPORT Österreich bei der Biennale in Venedig. Gleichzeitig übernimmt sie eine Meisterklasse an der Hochschule für angewandte Kunst – als erste weibliche Professorin für Malerei im gesamten deutschsprachigen Raum.

Nach ihrer Emeritierung im Jahr 1989 widmet sich Lassnig wieder ausschließlich ihrer radikal subjektiven Selbstbefragung, zugleich häufen sich die Ausstellungen und Ehrungen. Zuletzt, im Jahr 2004, wurde Lassnig mit dem alle drei Jahre vergebenen Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet.

An Maria Lassnig fasziniert ihre ungebrochene Neugier auf der Suche nach neuen malerischen Lösungen – genauso wie ihre Biografie, die vielen Frauen Mut machen kann, andere als die vorgezeichneten Wege einzuschlagen. Egal ob Malerei gerade „in“ oder „out“ war, Lassnig hat nie an diesem Medium gezweifelt; wie es sie auch nie gekümmert hat, ob sich die Kunstszene für ihre unter die Haut gehenden Themen interessiert hat oder nicht. Dennoch wirkt ihre Kunst stets aktuell, zeigt Auseinandersetzungen mit Themen, die immer gegenwärtig sind wie „Zärtlichkeit“ (2004) oder „Berührung mit dem Jenseits“ (2000).

Vor allem aber überzeugen die Verletzbarkeit sowie die enorme Ehrlichkeit, mit der Lassnig menschliche Gefühle wie Angst, Schmerz, Trauer und Humor in unverwechselbare Malerei übersetzt. Sie selbst äußert sich in Bezug auf diese Empfindsamkeit zwiespältig, wenn sie meint: „Ich bin ein ganz normaler Mensch. Bloß sehr, sehr sensibel. Also bin ich vielleicht doch nicht ganz so normal.“

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