"Ich bin der Peter": Zum Tod von Peter Schreier
Trotz seiner herausragenden Bedeutung für die musikalische Interpretationsgeschichte bewahrte sich Peter Schreier seine humorvolle Bescheidenheit. Ein persönlicher Nachruf.
Trotz seiner herausragenden Bedeutung für die musikalische Interpretationsgeschichte bewahrte sich Peter Schreier seine humorvolle Bescheidenheit. Ein persönlicher Nachruf.
Es war im Jänner 2018 im Dresdner Stadtteil Loschwitz. Wir saßen im Hause Schreier, auf dem Elbhang, der die Stadt im Nordosten begrenzt, bei Kuchen und Kaffee und gaben uns musikalischen Fachsimpeleien hin. Dabei ließ es sich nicht vermeiden, dass ein Thema zur Sprache kam, das den Sänger so gar nicht freute: seine eigene Bedeutung innerhalb der musikalischen Interpretationsgeschichte und sein Einfluss auf jene Musikergeneration, die in den 1980er Jahren ihr Studium absolviert hatte. Dabei gestand ich, dass ich seinerzeit auf das eine oder andere Mittagessen verzichten musste, um mir eine Konzertkarte für einen Peter-Schreier-Liederabend kaufen zu können. Der Tenor schaute von seinem Kaffee auf und sagte zu seiner Frau: „Renate, gib ihm das Geld zurück!“
Diese humorvolle Bescheidenheit bildet das komplementäre Element zu dem herausragenden Stellenwert, den Peter Schreier in der Musikgeschichte einnimmt. Dieser liegt nicht nur in seiner stimmlichen und musikalischen Einzigartigkeit begründet, sondern ebenso in dem Weg, der zu diesem Welterfolg führte. Denn dieser hatte keineswegs in ostdeutschen Opernstudios seinen Ausgang genommen, sondern in den Proberäumen des Dresdner Kreuzchores, in welchem, vermittelt durch den legendären Rudolf Mauersberger („Nicht nach Fis ziehen! Das F ist sowieso hoch genug!“), die Tradition von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach auf anspruchsvolle Chormusik der Gegenwart traf. Peter Schreiers unvergleichliche Interpretation Bach’scher Tenorpartien hat ihre Basis in der Arbeit dieser frühen Jahre, in denen Mauersberger für seinen herausragenden Altsolisten auch Sololieder komponierte.
Internationaler Ruhm
Sein Bühnen-Debüt gab Peter Schreier 1959 an der Dresdner Semperoper als Erster Gefangener im Fidelio. Seine größte Herausforderung sei dabei – so Schreier später – das Bestehen vor den gestrengen Kollegen gewesen, die angeblich nur auf einen Fehler von ihm gewartet hätten. Doch dieser dürfte nicht so gravierend gewesen sein: Von seinem Dresdner Engagement wechselte er 1963 nach Berlin. International reüssierte der Tenor an Häusern wie der Mailänder Scala, der New Yorker MET oder dem Teatro Colón, und zwar in jenem Bereich, den der vielfach als „Nachfolger“ des 1966 verstorbenen Fritz Wunderlich Gefeierte auf eine neue Stufe hebt – dem Mozart-Fach. Unter den zahlreichen Aufnahmen, die diese „Neugeburt“ belegen können, seien paradigmatisch jenes unvergleichliche „Un’aura amorosa“ genannt, das in einer von Burt Lancaster präsentierten Geburtstagssendung für Sherrill Milnes zu sehen ist, aber auch sein unerreichter Salzburger Tamino von 1982. Dass ihn in den 1970er Jahren Herbert von Karajan als Loge für seinen Rheingold-Film sowie seine Meistersinger-Einspielung, Carlos Kleiber für den Freischütz-Max, und in den 1980er Jahren Marek Janowski als Mime für seine Ring-Einspielung holten, sei beiläufig erwähnt, ebenso wie seine Darstellung von Hans Pfitzners Palestrina oder des Flamand aus dem „Capriccio“ von Richard Strauss.
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