Ich bin ein Nachfahre des Modernismus"

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Beide schossen übers Ziel, so der Münchner Religionsphilosoph Eugen Biser, 89: Die "Modernisten" sahen zu einseitig auf den Glauben, Rom zog auf viel zu rigorose Weise dagegen zu Felde.

Die Furche: Herr Professor Biser, der Modernismus versuchte vor 100 Jahren, die Theologie mit dem damaligen Stand der modernen Wissenschaft und Philosophie zu verbinden. Wie schätzen Sie ihn von heute aus ein?

Eugen Biser: Er war tatsächlich eine Gefahr und wurde von der Kirche auch so gesehen. Dabei ist man teilweise über das Ziel hinausgeschossen und hat ihn stärker angeprangert, als es nötig gewesen wäre. Seine Anfrage war, ob der Glaube durch Argumente gestützt werden kann oder einem inneren Bedürfnis des Menschen entspricht. Die Kirche hat auf diese Anfrage bitter, wie ich meine: allzu bitter reagiert.

Die Furche: Gibt es ein bleibendes Verdienst dieser Strömung?

Biser: Der Modernismus war vom Interesse geleitet, die innere Disposition im Glaubensakt herauszustellen, also zu betonen, dass er nicht durch eine Fremdbestimmung verursacht ist. Darin besteht zweifellos ein bleibendes Verdienst.

Die Furche: Sind deutschsprachige Theologen dieser Richtung gefolgt? Gibt es heute noch "Modernisten"?

Biser: In Deutschland gab es einzelne Theologen, die das vertreten haben, etwa Herman Schell in Würzburg. Ihr Schicksal war allerdings tragisch: Obwohl sie wirkliche Probleme des Menschen angesprochen haben, wurden ihre Bücher indiziert. Heute sehe ich keine Vertreter des Modernismus mehr, auch Hans Küng nicht, der ganz andere Interessen hat und höchstens am Rande mit den Modernisten zu vergleichen ist. Wenn überhaupt, dann bin nur ich selbst ein später Nachfahre des Modernismus.

Die Furche: Sie??? Inwiefern?

Biser: Indem ich stets auf die subjektiven Bedingungen des Glaubens abgehoben habe. Ich habe immer vertreten, dass die Antwort der göttlichen Offenbarung auf ein inneres Bedürfnis des Menschen stoßen muss. Ohne diesen Dialog zwischen Gott und Mensch kommt der Glaube nicht zustande. Durch ihn wird der Mensch immer tiefer in ein Verhältnis zu Gott und zu sich selbst hineingeführt. Insofern habe ich einiges vom Modernismus gelernt.

Die Furche: Wo hatte der Modernismus die größten Auswirkungen?

Biser: Eindeutig in Frankreich. Dort hat er auch am schnellsten Fuß gefasst. Sein bekanntester Vertreter war Alfred Loisy, aber der war auch aus meiner Sicht zu radikal. Ungleich größere Bedeutung hat für mich Maurice Blondel, der mit seiner Schrift L'Action im Brennpunkt der Auseinandersetzung stand. In Frankreich sind die entscheidenden Schlachten geschlagen worden. Das hängt mit den vorangehenden Jahrhunderten und der führenden Rolle der Aufklärung zusammen. Die Modernisten standen auf den Schultern von Voltaire, Diderot und anderen Aufklärern.

Die Furche: Der Modernismus hat - erstmals in der katholischen Kirche - die historisch-kritische Exegese in Bibelauslegung und Dogmengeschichte favorisiert und wurde daher angefein-det. Gibt es da Parallelen zu heute?

Biser: Auch heute wird die historisch-kritische Exegese wieder zunehmend in Frage gestellt, nicht zuletzt durch das Papst-Buch Jesus von Nazareth. Die Voraussetzungen dieser Methode werden heute wesentlich kritischer gesehen als noch in den 70er und 80er Jahren.

Die Furche: Gibt es ein Zurück hinter die historisch-kritische Exegese?

Biser: Kein Zurück, höchstens eine Überwindung. Die historisch-kritische Exegese befasst sich lediglich mit den literarischen Problemen der biblischen Texte, aber die Heilige Schrift hat nicht nur literarische, sondern ganzheitliche Aspekte. Sie ist ungleich reicher als das, was ihr mit Hilfe der exegetischen Methoden entnommen werden kann.

Die Furche: Pius X. hat den Modernismus als "Sammelbecken aller Hä-resien" verteufelt. War das übertrieben?

Biser: Der Modernismus war keine geschlossene Phalanx. Im Grunde haben die Päpste ihn sogar neu erfunden, vor allem Pius X. in seiner Enzyklika Pascendi, die vor allem gegen Alfred Loisy gerichtet war. Er hat das Häretische am Modernismus erst herausdestilliert, "Sammelbecken aller Häresien" war eindeutig übertrieben.

Die Furche: Inwiefern war der Modernismus tatsächlich häretisch?

Biser: Indem er zu einseitig auf den Aspekt setzte, den Glauben als Erfüllung menschlichen Bedürfnisses zu interpretieren. Die objektive Seite des Problems hat er dagegen nicht gesehen. Beides aber müsste zusammengefasst werden. Der Glaube ist ein Geschenk Gottes an die Welt, die Offenbarung seine Selbstmitteilung. Diesen göttlichen Anteil haben die Modernisten völlig unterschlagen; er müsste auch heute noch weiter herausgearbeitet werden. Es ist bedenklich, dass die Diskussion über den Modernismus so einseitig verlaufen ist.

Die Furche: 1910 führte Pius X. den Antimodernisteneid ein, mit dem jeder Kleriker dem Modernismus abschwören musste. Er blieb dann immerhin bis 1967 in Kraft.

Biser: Der Antimodernisteneid brachte viele Theologieprofessoren in schwere Gewissenskonflikte, an denen mancher zerbrach. Eine ganze Reihe von ihnen wurde gemaßregelt und abgestraft. Die Kirche ist auf viel zu rigorose Art und Weise gegen sie zu Felde gezogen.

Die Furche: Haben Sie selbst den Antimodernisteneid geleistet?

Biser: Nein. Ich bin auf seltsame Art und Weise und ohne mein eigenes Zutun darum herumgekommen, während andere unter dieser Bedrängnis bis in die Gegenwart hinein zu leiden hatten.

Die Furche: Das II. Vatikanum wollte den Anspruch Jesu durch Überzeugungsarbeit im Dialog verbreiten, anstatt Lehrverurteilungen einzelner Sätze auszusprechen.

Biser: Das war ein ganz großer Fortschritt, der vor allem Papst Johannes XXIII. zu verdanken ist. Ich wage allerdings nicht zu entscheiden, ob es nicht heute in der Kirche auch wieder möglich ist, Lehrverurteilungen einzelner Sätze auszusprechen. Manche Töne gehen in diese Richtung.

Die Furche: Kommt Benedikt XVI. den Traditionalisten zu weit entgegen?

Biser: Tatsächlich hat er in seinem jüngsten Motu proprio den Traditionalisten ein Zugeständnis gemacht und sich ihnen angenähert. Zu meinen, dass man sie damit einfangen kann, ist allerdings illusionär, denn ihnen geht es um mehr als nur die Anerkennung der lateinischen Messe.

Die Furche: Ist die Kirche heutzutage - 100 Jahre nach dem Modernismus - mit der modernen Welt versöhnt?

Biser: Zu Beginn dieses Pontifikates sah es so aus. Ob es auch jetzt noch zutrifft, wage ich zu bezweifeln. Es gibt unter Benedikt XVI. eine rückläufige Bewegung. Stattdessen sollte man lieber die in die Zukunft weisende Dimension des Glaubens betonen.

Die Furche: Wie ist es gegenwärtig um das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie bestellt?

Biser: Es wird dringend Zeit, dass dieser Zusammenhang wieder auf den Tisch gebracht wird. Die Naturwissenschaft ist ein Teilaspekt der Wahrheit; das ist aber von der Theologie nicht genügend wahrgenommen worden. Die Evolutionslehre ist heute unumstritten, aber sie muss rezipiert und mit dem Glauben in Zusammenhang gebracht werden. Die Wahrheit hat viele Augen, auch die der Naturwissenschaft.

Die Furche: Hat die katholische Kirche mit der Demokratie und der Aufklärung ihren Frieden gemacht?

Biser: Mit der Demokratie ja. Die Kirche weiß inzwischen, dass sie nur in einer Demokratie überleben kann. Mit der Aufklärung dagegen noch nicht ganz. Vieles ist da noch überzogen und überreizt. Es war kein Zufall, dass damals die Gegenbewegung der Romantik entstand. Die Kirche muss eine noch engere Fühlung mit der gegenwärtigen Welt aufnehmen. Das muss bald geschehen; sonst fallen wir in autoritäre Denkmodelle zurück.

Die Furche: Kann man den rechten Glauben überhaupt durch einen Antimodernisteneid oder durch ein Glaubensbekenntnis absichern?

Biser: Durch solch einen formalen Akt wird der Glaube nicht ausgeschöpft. Er ist stets reicher, fruchtbarer und großartiger als solche Verwaltungsakte. Das wie in einer Behörde in eine Formel zu pressen, ist amtlich und zu eng gedacht. Reaktionäre Reaktionen sind ihm nicht angemessen.

Die Furche: Sollte etwas vom Modernismus erhalten bleiben?

Biser: Alfred Loisy und der Modernismus sind heute vergessen, das liegt in der Natur der Dinge. Aber es gibt im Modernismus Wahrheitsmomente, die nicht untergehen können, weil sie nicht untergehen dürfen. Manches, was ich eben erwähnt habe, verdient, der Vergessenheit entrissen zu werden. Leider hat die Theologie in Frankreich, die vor 100 Jahren führend war, diesen Standpunkt nicht gehalten. Sie ist, wenigstens partiell, von der deutschen überflügelt worden. Für beide wäre die Besinnung auf Blondel und seinen Ansatz eine Hilfe.

Das Gespräch führte Gerd Felder.

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