Ich bin, was ich kaufe"

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US-Professor Benjamin Barber kritisiert das allgegenwärtige aggressive Marketing. Es verführe Kinder, infantilisiere Erwachsene und untergrabe die Demokratie.

Die Furche: Herr Professor, Sie behaupten, dass sich unsere kapitalistische Welt am besten als Konsumkapitalismus begreifen lässt. Was heißt das genau?

Benjamin Barber: Im frühen Kapitalismus gab es reale Bedürfnisse. Doch das System war so erfolgreich, dass die meisten dieser Bedürfnisse bald befriedigt wurden. Heute werden deshalb nicht mehr Güter produziert, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern Bedürfnisse produziert, um Güter zu verkaufen.

Die Furche: Warum kaufen wir aber überhaupt Dinge, die wir eigentlich nicht brauchen?

Barber: Weil es ein Ethos gibt, das dieses System unterstützt. Max Weber hat gezeigt, wie der frühe Kapitalismus sich in enger Verbindung mit einer protestantischen Werthaltung entwickelte. Die damaligen Tugenden waren: Arbeiten, sparen, anderen dienen. Heute gibt es diesen produzierenden Kapitalismus nicht mehr. Stattdessen haben wir einen Kommerzialismus und Konsumismus - und das neue Ethos lautet: Nicht sparen, sondern ausgeben; nicht arbeiten, sondern Freizeit haben. Erwachsene werden dabei zu Kindern mit ihrem ständigen "Ich will, ich will, ich will".

Die Furche: Und die Kinder…

Barber: … werden wie erwachsene Verbraucher behandelt. Dabei wird ihnen ihre Kindheit weggenommen.

Die Furche: Aber gerade an der Jugend sieht man auch, dass sie nicht bloß passiv konsumiert. Ihr Umgang mit Kleidern etwa ist mitunter sehr fantasievoll. Sie entwickelt eigene Codes, die wir Erwachsene oft gar nicht lesen können. Das ist doch ein kreativer Akt der Selbstschöpfung.

Barber: Unter dem Konsumismus beginnt man zu glauben: Ich bin, was ich kaufe. Man definiert sich durch Labels: Ich bin, was ich anziehe. Ralph Lauren. Calvin Klein. Oder: Ich bin, was ich trinke. Zum Beispiel ein Mitglied der Pepsi Generation. Das ist eine Identität. Ich bin Kobe Bryant (Anm. US-Basketballspieler), weil ich eine bestimmte Schuh-Marke trage.

Die Furche: Es schafft aber auch eine Art Zugehörigkeit. Ist es nicht toll, wenn sich ein österreichischer Teenager mit einem schwarzen US-Basketballspieler identifizieren kann?

Barber: Stimmt - es ist besser als ihn zu töten. Nein ernsthaft: In welchem Sinn existiert da eine Beziehung? Wenn ein junges Mädchen wie Britney Spears sein möchte, dann ist das doch eine grundlose und leere Beziehung.

Die Furche: Was sagen Sie jemandem, der meint, Sie seien ein Kulturkonservativer?

Barber: Gute Frage. Meine Kritik hat nichts mit kulturellen Werten zu tun. Ich mag Popmusik, Jazz, Beethoven, Bach… Das Problem ist nicht, dass die Popkultur die Hohe Kultur beherrscht. Das Problem ist, dass wir nur mehr Popkultur haben. Für mich ist das Ziel: Pluralismus. Auch die Jugendkultur ist sehr schön. Der Film "Shrek" etwa ist wunderbar. Aber wenn mir nur mehr solche Filme haben - "Shrek 1, 2, 3 …" - und das Erwachsenenkino fast verschwindet, ist das ein Problem. Ich mag auch Shopping. Aber muss es 24/7 (Anm. 24 Stunden pro Tag; 7 Tage die Woche) sein?

Die Furche: Sie stören sich lediglich am Übermaß?

Barber: Ja. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Religion etwa ist sehr wichtig. Doch wenn Religion jeden Teil unseres Lebens beherrscht - von der Kunst bis zum Privatleben - so nennen wir das Theokratie. Wenn Politik jeden Sektor durchdringt, dann sprechen wir von Totalitarismus. Wenn aber Kommerz alles beherrscht, dann nennen wir das Freiheit. Das verstehe ich nicht.

Die Furche: Wir können natürlich aus immer mehr Gütern auswählen. Wo liegt da die große Gefahr?

Barber: Die Gefahr liegt darin, dass man glaubt, es reich, ein guter Verbraucher zu sein, um ein engagierter Bürger zu sein. Der Verbraucher trifft eine private Wahl. Er fragt: Was will ich? Der Bürger hingegen trifft eine öffentliche Wahl. Er fragt: Was braucht die Gemeinde? Was die Gesellschaft? Was unsere Kinder? Das können sehr unterschiedliche Dinge sein. Ein Beispiel: Wenn Sie nach Los Angeles kommen und die Stadt erkunden wollen, haben Sie eine tolle private Wahl. Sie können 200 verschiedene Autos kaufen, leasen oder mieten: Chevrolet, Audi, Toyota … - was immer Sie wünschen. Aber auf dem Menüplan stehen nicht öffentliche Verkehrsmittel. Das kann man sich nicht kaufen, selbst wenn man Milliardär ist. Dazu bedarf es einer aktiven Bürgerschaft, die sagt: Wir wollen Straßenbahnen, U-Bahnen und Busse haben, weil uns eine saubere Luft wichtig ist.

Die Furche: Die Demokratie wird also untergraben, weil der Kommerz eine "Ich will"-Mentalität hervorruft. Was lässt sich dagegen tun? Und: Müssten wir dann nicht unsere Kinder vor Marketing schützen?

Barber: Ja. Wir brauchen neue Gesetze. Ein Erwachsener kann frei entscheiden, aber ein Kind? Es ist doch ein Skandal, dass es Werbung für zweijährige Kinder gibt. Wir haben Baby Einstein (Anm. Multimedia-Produkte wie "Lern"-DVDs für drei Monate bis drei Jahre alte Kinder) und Baby First TV. Später gibt es Edutainment-Fernsehen an Schulen - mit vielen Werbeeinschaltungen. Das ließe sich verbieten, tut man aber nicht.

Die Furche: Vielleicht weil sich ein gesetzliches Verbot nach einer recht radikalen Lösung anhört?

Barber: Mag sein, dass sich das so anhört. Kein Wunder nach 30 Jahren Privatisierung. Da glaubt man, der Markt kann alles regeln. Aber der Markt ist zu einem Monopol geworden. Wir brauchen wieder eine Balance - zwischen Staat und Markt.

Die Furche: Neue Gesetze schaffen, kann schwierig sein. Die betroffenen Industrien drohen dann mit Abwanderung, was Arbeitsplatzverluste zur Folge hat …

Barber: Die Kräfte des Marktes sind global. Die meisten Gesetze werden aber immer noch innerhalb von Staaten verfasst. Das ist richtig. Deshalb müssen wir die Demokratie globalisieren oder die Globalisierung demokratisieren. Wir haben bereits Ärzte ohne Grenzen, reden von Kriegen ohne Grenzen. Was wir zurzeit wirklich brauchen, sind Bürger ohne Grenzen.

Das Gespräch führte Thomas Mündle.

Benjamin Barber war vorletzte Woche zu Gast im Bruno Kreisky Forum in Wien, wo er sein neues Buch präsentierte.

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