Ich brauche kein Motto

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Der Pianist Rudolf Buchbinder über seine Tätigkeit als Intendant des Musik-Fests Grafenegg, über Entwicklungen von Konzertbetrieb und Feuilleton - und über "Pomp and Circumstance“. Das Gespräch führte Walter Dobner

Binnen eines halben Jahrzehnts hat Rudolf Buchbinder das Musik-Festival Grafenegg zu einem der international renommierten Musikfestspiele gemacht. Er setzt auf Offenheit, lässt seinen Künstlern Freiheit bei der Programmierung und offeriert dem Publikum die ganze Weite zeitgenössischer Musik. Der Erfolg gibt ihm recht.

Die Furche: Herr Buchbinder, wie ist es zu Ihrem Engagement in Grafenegg gekommen?

Rudolf Buchbinder: Als internationaler Künstler wird man immer wieder gefragt, das eine oder andere Festival zu übernehmen. Ich habe das immer abgelehnt, weil ich - aus verschiedensten Gründen - nie meine Wünsche verwirklichen konnte. Als man an mich wegen Grafenegg herantrat, hat sich bereits in den ersten Gesprächen herausgestellt, dass man an ein hochqualitatives Festival denkt, und zwar ohne Beschränkung, vor allem ohne Kompromisse. Mittlerweile haben wir es geschafft, dass die großen Orchester, Dirigenten, Solisten alle nach Grafenegg kommen, und vor allem - das ist das Besondere und Schöne - dass sie alle wiederkommen wollen. Eingeladen, diese Aufgabe zu übernehmen, hat mich Landeshauptmann Pröll.

Die Furche: Sie kannten Grafenegg aus seiner früheren Geschichte, von den sogenannten Schlosskonzerten. Wie ist es zu seiner Neukonzeption gekommen?

Buchbinder: Unsere Idee waren drei Wochenenden, und zwar jeweils von Donnerstag bis Sonntag. Das hat sich sehr gut bewährt. Im Wesentlichen wurde dieses Konzept mit dem damaligen Geschäftsführer des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters, Johannes Neubert, der heute diese Funktion bei den Wiener Symphonikern ausübt, sowie Fürst Albrecht Metternich-Sándor als Hausherrn entwickelt.

Die Furche: Festivals sind längst ein flächendeckendes Phänomen, auf der anderen Seite liest man immer wieder, dass Kultur einen weniger großen Stellenwert einnehme als früher. Wie sehen Sie das?

Buchbinder: Hier sind zwei prinzipielle Themen angesprochen: Der Konzertbetrieb bewegt sich immer mehr in Richtung Event, was eine Katastrophe ist. Die zweite Katastrophe ist, dass sich das Feuilleton immer mehr in Richtung Klatschspalte entwickelt. Das sind zwei Wege, wo man sehr aufpassen muss. Das Publikum will immer mehr das Live-Erlebnis. Wo immer ich hinkomme, sind die Konzerte ausverkauft. Probleme hat die Schallplattenindustrie - aber die hat sie sich selbst zuzuschreiben.

Die Furche: Aus Ihrer Sicht welche?

Buchbinder: Wie gute Agenturen plant auch die Schallplattenindustrie zu wenig langfristig. Die Sensationsgier wird immer schlimmer. Sensationen kann man nicht wiederholen, also muss die nächste Sensation her. Damit wirkt das Programm der Plattenfirmen längst wie ein gemischter Salat mit einem Allerweltsdressing. Die Zeiten, in denen ein Manager wie der legendäre Sul Hurok in New York für seine jungen Künstler auf zwanzig und mehr Jahre hinaus ge-plant hat, sind Vergangenheit.

Die Furche: Im Gegensatz zu einem Saisonbetrieb kann ein Festival nicht mit demselben Publikum rechnen. Wie berücksichtigt man dies, gibt es Untersuchungen über die Publikumsstruktur?

Buchbinder: Das Erfreulichste ist, dass 47 Prozent des Publikums aus Niederösterreich kommen. Das zeigt, dass sich die Menschen mit "ihrem“ Festival identifizieren. Man kann davon ausgehen, dass ein Teil davon zum ersten Mal in einem Konzert war dank des Wolkenturms, des Auditoriums, der Atmosphäre des gesamten Areals. Ich glaube, wir leisten hier eine gute Erziehungsarbeit. Der Rest des Publikums kommt von den Nachbarn, das reicht bis nach Tschechien, in die Slowakei, die Schweiz, nach Deutschland. In einem Zeitalter, in dem man die einzelnen Adressen der Besucher im Computer hat, lässt sich dies gut und einfach erfassen - neben den Publikumsbefragungen, die wir immer wieder durchführen.

Die Furche: Sie haben sich von Anfang an gegen ein Motto gewehrt. Das bedeutet aber keineswegs Zufälligkeit, wenn man etwa an die musikalischen Länderporträts beim diesjährigen Musiksommer denkt …

Buchbinder: Wir versuchen immer wieder den Einfluss fremder Kulturen nach Grafenegg zu bringen - sei es durch Programme oder Künstler. Das spielt sich hauptsächlich im Sommer ab. Ich war immer gegen ein Motto. Entweder man akzeptiert, was ich spiele, oder nicht. Wie entsteht überhaupt ein Motto? Es gibt einen wunderbaren Spruch des früheren Wiener Staatsoperndirektors Ioan Holender: "Bekanntlich passt jedes Motto zu allem.“ Im Übrigen macht man meist zuerst das Programm und sucht dann das Motto.

Die Furche: Neben dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich als Orchestra in Residence ist jedes Jahr auch ein Composer in Residence mit dabei. Wie wird diese zeitgenössische Schiene angenommen?

Buchbinder: Wir versuchen die gesamte Palette der zeitgenössischen Musik nach Grafenegg zu bringen. Man braucht sich nur die Namen der bisherigen Komponisten in Erinnerung rufen, die verschiedener nicht sein könnten - wie Halffter, Dan Tun, Penderecki, Holliger, HK Gruber. Wir suchen immer einen dirigierenden Komponisten, um ihn in das Festival zu integrieren. Wir wollen, dass er ein Konzert macht, ein Auftragswerk schreibt, aber auch mit jungen Leuten arbeitet. Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten. Das ist gut angekommen, dafür gibt es auch einen erstaunlichen Publikumszuspruch.

Die Furche: Ein weiteres Markenzeichen Ihrer Intendanz ist die vom ORF live übertragene Sommernachtsgala. Wie kamen Sie auf die Idee, sie jeweils mit dem ersten "Pomp and Circumstance“-Marsch von Elgar zu beschließen?

Buchbinder: Ganz einfach: Das Feuerwerk passt am besten dazu!

Die Furche: Beim Musikfest, das im August beginnt und in den September hineinreicht, gibt es diesmal einen Bruckner-und-Mahler-Schwerpunkt mit prominenten Interpreten. Hat sich das ergeben, wurde es angestrebt?

Buchbinder: Nein, ich schreibe niemandem ein Programm vor. Gibt es mehrere Vorschläge, versuchen wir Doubletten zu vermeiden, obwohl ich auch dagegen nichts habe. Es kann durchaus vorkommen, dass sich ein Künstler unmittelbar vor seinem Auftritt entscheidet, das ursprüngliche Programm umzustellen, etwa statt des angekündigten Beethoven einen Mozart zu spielen.

Die Furche: Wer etwas ernsthaft betreibt, ist mit dem Erreichten nie völlig zufrieden. Was wünschen Sie sich für die weitere Entwicklung von Grafenegg?

Buchbinder: Man kann es mit einer Karriere vergleichen: Es ist leichter hinaufzukommen als oben zu bleiben. Wir müssen versuchen, mindestens dieses Qualitätsniveau zu halten. Wenn uns das gelingt mit einigen kleinen Steigerungen, die immer noch möglich sind mit Programmen und Interpreten, bin ich schon sehr zufrieden. Es gibt Überlegungen, das eine oder andere Orchester als Orchestra in Residence enger an Grafenegg zu binden. Man darf aber nie vergessen: Wir sind kein Festival mit fünfzig oder mehr Konzerten, sondern ein kleines, aber exklusives Festival, bei dem einander Spitzenleute die Hand geben.

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