"Ich hab es selbst verschuldet"

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Für evangelische Christen kommt dem Karfreitag ein besonderer Rang zu: Denn das Kreuz ist der Ort, an dem Gottes Liebe unverstellt erfahrbar ist. Für Antijudaismus darf an diesem Tag kein Platz sein.

In der Frömmigkeit evangelischer Christen und Christinnen kommt dem Karfreitag ein besonderer Rang zu. Vielfach gilt er sogar als der höchste Feiertag des Kirchenjahres und vor allem als einer der wichtigsten Abendmahlstage. Der Kirchenraum ist ohne Schmuck, selbst der Altar in der lutherischen Kirche kann an diesem Tag ohne Kerzen und Blumen bleiben. Eine eigene Gottesdienstordnung mit einer ausführlichen Karfreitags-Litanei wird vorgeschlagen. Mit dieser liturgischen Hervorhebung des Tages setzt der Protestantismus einen eigenen Akzent. In den ersten christlichen Jahrhunderten wurde der Karfreitag gar nicht gottesdienstlich begangen. Die römisch-katholische Kirche kennt bis heute keine Eucharistiefeier am Karfreitag, sondern lädt für das Gedenken an Jesu Leiden und Sterben zu einem nachmittäglichen Wortgottesdienst, in dem die eigens für den Tag gestalteten Fürbitten eine besondere Rolle spielen.

Gerade eine dieser Fürbitten ist seit Monaten, seit dem Motu Proprio von Benedikt XVI. im Sommer 2007 zur lateinischen Liturgie, heftig umstritten. Sie berücksichtigt nach Meinung ihrer Kritiker nicht, welche grundlegende Wende im katholisch-jüdischen Verhältnis durch das II. Vatikanum erreicht wurde. Der jüdische Wissenschafter Micha Brumlik spricht nach seiner Analyse dieser "Karfreitagsfürbitte" kurz und bündig von einer Rückkehr der katholischen Kirche zum theologischen Antijudaismus.

Theologie des Kreuzes

Der theologische Hintergrund für die Bedeutung des Karfreitags in der evangelischen Kirche ist in den reformatorischen Überlegungen zum Kreuz Jesu Christi zu finden. Denn gerade dort, wo es am wenigsten zu vermuten und nach menschlichem Ermessen zu erkennen ist, nämlich im Leiden und Sterben Jesu am Schandmal des Kreuzes, will Gott gegenwärtig sein. Martin Luthers Rede von einer theologia crucis gegenüber einer Theologie der Glorie drückt dies aus. Deshalb ist das Kreuz der Ort, an dem Gottes Liebe unverstellt erfahrbar ist. Nach biblischem Verständnis kann Versöhnung nur als ein Friedenstiften von Gott her verstanden werden. Dies geschieht in Jesus Christus, konzentriert im Kreuz. Im Kreuz Jesu versöhnt Gott die Welt mit sich selber. Das bleibt nicht folgenlos: Aus dem "gottgewirkten Versöhnungsgrund entspringt die Freiheit zum zwischenmenschlichen Versöhnungsgeschehen" (Gerhard Ebeling). Karfreitag als der Tag der Versöhnung.

Wer ist schuld am Tod Jesu?

Nun ist der Karfreitag in besonderer Weise mit der Gefahr des christlichen Antijudaismus belastet. Auf die Frage: "Wer ist schuld am Tode Jesu?" war als Antwort durch Jahrhunderte zu hören: Die Juden. Als Beleg stand Matthäus 27,25, der sogenannte "Blutruf". So galten bald, schon bei den Kirchenvätern, die Juden ganz pauschal und für alle Generationen als "Gottesmörder" und der Todestag Jesu, den Christen und Christinnen als Tag der Versöhnung begingen, wurde für Jüdinnen und Juden zu einem Tag des Schreckens. Die rituelle Ohrfeige, die sich jüdische Repräsentanten im Mittelalter von ihrem Bischof holen mussten, brachte auf ausgesucht demütigende Weise den Überlegenheits- und Wahrheitsanspruch des Christentums gegenüber dem Judentum zum Ausdruck.

Auch Evangelische tragen an der Geschichte des Antijudaismus. Martin Luthers Haltung ist in dieser Frage besonders wichtig. Der junge Luther hat sich - etwa in seiner Schrift "Dass Jesus ein geborner Jude sei" (1523) - sehr positiv über das Judentum geäußert. Die alten Vorurteile bezeichnet er als "Narrheiten". Allerdings war Luthers Haltung getragen von der Erwartung, dass sich nun - durch die Reformation - die Juden zum Evangelium bekehren würden. Das ist nicht eingetreten und schon wenige Jahre später finden sich kritische Töne in seinen Schriften, der Teufel hätte die Juden verstockt, weil sie beharrlich dem Evangelium die Anerkennung verweigerten. Das kulminiert in der Schrift "Von den Juden und ihren Lügen" von 1543, die die krasse Kehrtwendung in Luthers Haltung in 20 Jahren dokumentiert.

Diese Schrift ist in verhängnisvoller Weise geschichtsmächtig geworden. Sie hat mit den Boden für den rassischen Antisemitismus bereitet und war im Nationalsozialismus viel zitierte Schützenhilfe für die Ideologie, die die Verfolgung und Ausgrenzung der Juden, bis hin zu ihrer Ermordung, möglich machte. Die Evangelische Kirche in Österreich hat sich 1998 in der Erklärung der Generalsynode "Zeit zur Umkehr" in unmissverständlicher Weise von diesen Aussagen Luthers distanziert, ja diese sogar "verworfen".

Verhältnis von Christen und Juden

Die "Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)" hat im Jahr 2001 eine Studie unter dem Titel "Kirche und Israel" vorgelegt. Damit haben die reformatorischen Kirchen Europas erstmalig gemeinsam in historischer, dogmatischer und praktischer Hinsicht ihr Verständnis des Verhältnisses von Christen und Juden formuliert und miteinander beschlossen.

Evangelische Karfreitagsfrömmigkeit wird auch in der Musik deutlich. Auf die Frage, wer das Leiden und Sterben Jesu Christi verschuldet habe, antwortet der Choral mit den Worten Paul Gerhardts: "Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast." So in der vierten Strophe des bekannten "O Haupt voll Blut und Wunden". Nicht nur beim Lutheraner Paul Gerhardt im 17. Jahrhundert findet sich diese Überzeugung, die ungarischen Reformierten singen zur selben Zeit "Nur unsretwegen hattest du zu leiden".

Differenzierter ist der Eindruck, der durch Johann Sebastian Bachs Passionsmusik gegeben ist. Im Unterschied zu anderen findet sich bei Bach nirgends im Text offener Antijudaismus, wie etwa bei Georg Philipp Telemann, der ganz offen von den Juden als den "Gottesmördern" singen lässt. In Bachs Passionen finden sich drei Schichten:einmal die biblische Erzählung nach dem jeweiligen Evangelium, dann die Arien und Rezitative, die die Aneignung des Evangeliums durch das fromme Ich ausdrücken, und schließlich als Antwort der Gemeinde die Choräle. Arien und Choräle sind frei von antijüdischer Polemik. Schon der Einleitungschor der "Matthäuspassion" macht das deutlich. Da ruft der eine Chor zum Sehen auf, der zweite fragt "Wohin?" und bekommt als Antwort zu hören: "Auf unsere Schuld." Also findet sich auch bei Bach dieser Grundzug des evangelischen Karfreitagsverständnisses, das die Schuld nicht bei den Juden sucht, sondern in der Sündhaftigkeit des/der einzelnen Christen/ Christin. Auf der Ebene des Textes findet sich also der Antijudaismus in den zitierten Bibeltexten, weshalb diese bei heutigen Aufführungen nicht unkommentiert bleiben sollten. Ob es - wie manchmal vermutet - in der Musik Bachs subtile antijüdische Anspielungen gibt, kann allerdings nicht ausgeschlossen werden.

Predigen in Israels Gegenwart

Mit Choral und Musik sind wir bei der Frage, wie Evangelische Gottesdienst gestalten und feiern, ohne die überkommenen antijüdischen Klischees weiterzutragen. Jürgen Seim nennt es das "Predigen in Israels Gegenwart" und meint damit, dass Predigt, Lieder, Gebete und Lesungen im Gottesdienst so sein sollen, dass ein/e jüdische/r Hörer/in "ohne Kränkung, Bitterkeit, oder das Gefühl, ausgeschlossen zu sein" zuhören kann. Dies ist nicht auf bestimmte Anlässe beschränkt, sondern eine generelle Aufgabe.

Es gibt keine Inhalte, keine Form christlicher Theologie, kirchlichen Lebens und gottesdienstlicher Feier, die vom Blick auf Israel und das Judentum ausgenommen wären. In ihrer Verkündigung, in Gottesdienst und Festkalender bringt die evangelische Kirche ihre Verbindung mit dem Judentum zum Ausdruck. Sie tritt jeder Form der "Israelvergessenheit" entgegen. Der Ruf zur Umkehr zu dem einen Gott verbindet Kirche und Israel miteinander. Wenn das Vertrauen auf die Versöhnung, die Gott allein bewirkt und ermöglicht, den Karfreitag prägt, wird selbst dieser belastete Tag ein Zeichen der Verbindung sein.

* Der Autor ist Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich

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