"Ich hab’ zwei Welten in mir vereint“

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Vier Jahre lang hat sich Gabriele Begusch in Nicaragua für missbrauchte, benachteiligte Jugendliche engagiert - und bei diesem Einsatz ihren späteren Ehemann getroffen. Wie Entwicklungszusammenarbeit die Welt verändern kann. Und erst Recht ein individuelles Leben.

Rund elf Wochen noch, dann wird der kleine Knirps das Licht der Welt erblicken. Hier, im kulturellen Schmelztiegel Wien, wird er seine ersten Schreie tun, hier, in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung im tiefsten Ottakring, wird er langsam krabbeln, gehen, sprechen lernen. Von seiner Mutter wird er Deutsch vernehmen, von seinem Vater langsam Spanisch lernen - und auf den Gassen wird er dann und wann auch Mazedonisch hören, jene Sprache, in der die Mutter seiner Mutter groß geworden ist.

Es ist eine bunte Welt, in die Gabriele Beguschs Sohn hineingeboren wird. Wo er in fünf, sechs Jahren leben wird, ist noch lange nicht geklärt. Vielleicht wird er hier in Österreich die Schulbank drücken, vielleicht aber auch in Nicaragua. Nur eines ist für seine Mutter gewiss: dass er sich irgendwann in "beiden Heimaten“ Zuhause fühlen soll.

Man schreibt das Jahr 2005, als sich die damals 29-jährige Psychologin in ein Flugzeug setzt, um in eine unbekannte Welt aufzubrechen. Die dreieinhalb Jahre zuvor hat sie als Sozialpädagogin im SOS-Kinderdorf Graz gearbeitet. Nun sucht sie eine neue Herausforderung - und stößt auf eine Annonce von HORIZONT3000, die wie für sie geschrieben scheint: Psychologin oder Pädagogin mit Erfahrung in der Kinder- und Jugendarbeit gesucht. Einsatzort: Ciudad Sandino, ein von Armut und Gewalt geprägter Vorort der nicaraguanischen Hauptstadt Managua.

Zuhören statt erklären

Gabriele Begusch, Tochter einer Mazedonierin und eines Österreichers, geboren in Deutschland, aufgewachsen in der Obersteiermark und deshalb in Sachen Interkulturalität seit Kindheit geprägt, springt ins kalte Wasser: Sie nimmt am dreitägigen Auswahlverfahren teil - und bekommt prompt den Job. Zwei Monate lang absolviert sie einen Vorbereitungskurs, einen Monat lang lernt sie Spanisch - und im Juli 2005 fliegt sie ab.

Als sie am anderen Ende des Globus das Flugzeug verlässt, geht das Lernen und Zuhören noch einmal von vorne los: In einem "In-Country-Training“, organisiert vom Regionalbüro von HORIZONT3000 in Managua, lernt sie Land, Leute und die nicaraguanische Spielart des Spanischen kennen. Sie erfährt, dass in Ciudad Sandino rivalisierende Jugendbanden durch die Straßen ziehen, dass sexueller Missbrauch an der Tagesordnung steht, dass 90 Prozent der Kinder von ihren Eltern geschlagen werden - und dass sie selbst nach Einbruch der Dunkelheit besser nicht mehr das Haus verlässt. In der Großfamilie, die sie zwei Jahre lang beherbergen wird, lernt sie nicht zuletzt, was Alltag auf nicaraguanisch bedeutet.

Auch in ihrem eigentlichen Zuständigkeitsbereich, der lokalen NGO "CECIM“, die sich der Förderung und Unterstützung benachteiligter Jugendlicher widmet, muss Begusch erst ihre Rolle finden. "Die große Herausforderung in der Entwicklungszusammenarbeit besteht ja darin, sich am Anfang bewusst zurückzunehmen und einmal zu beobachten“, erklärt die Psychologin. "Es ist ja nicht so, dass alle Leute auf dich warten und sagen: Super, dass du endlich da bist, jetzt machen wir etwas.“ Es gehe insgesamt nicht darum, den Menschen die Welt zu erklären, sondern ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und persönlich bei ihnen "anzudocken“. Umso empörter sei sie in Nicaragua gewesen, als sie wahrnahm, dass manche "Entwicklungshelfer“ aus anderen Ländern und Organisationen ein ziemlich luxuriöses, beinah kolonialistisches Leben führten. "Das hat mich abgestoßen“, sagt Begusch verärgert.

Sie selbst habe ihre Rolle immer bei den Menschen gesehen. Im Schulzentrum von "CECIM“ sensibilisiert sie Jugendliche, Eltern und Lehrende zum Thema Gewalt. Und im benachbarten Jugendzentrum "Los Quinchos“, ebenfalls ein "CECIM“-Projekt, bietet sie Mädchen und Burschen psychosoziale Betreuung an. Als sie realisiert, dass sexueller Missbrauch zwar oft angezeigt, dies aber meist folgenlos bleibt, initiiert sie die Gründung einer Wohngemeinschaft für betroffene Mädchen. Zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Ciudad Sandino öffnet dieser neue Zufluchtsort seine Pforten.

Es ist jene Zeit, in der auch ihr eigenes Leben eine Wendung nimmt: Die Österreicherin geht eine Beziehung ein - mit ihrem Kollegen Ismael Gutiérrez Castillo, dem stellvertretenden Direktor der Schule. Es war von beiden ein lange überlegter Schritt, erinnert sich Begusch: "Ich bin ja mit der Überzeugung aus Österreich weggegangen, dass ich wieder zurückkomme - doch wenn man eine Beziehung eingeht, bleibt man sein Leben lang mit dem anderen Land verbunden.“

Vier Jahre lang lebt sie insgesamt in Nicaragua. Erst 2009 kehrt sie nach Österreich zurück - gemeinsam mit ihrem Partner, den sie bald darauf heiratet. "Es ist nicht leicht, weil einer von uns beiden immer im Ausland leben muss“, ist sie sich der Herausforderung einer interkulturellen Ehe bewusst. Während sie nach ihrer Rückkehr in Wien als Sozialpädagogin tätig ist, muss ihr Mann erst Deutsch lernen, Freunde finden und sich als Soziologe beruflich neu orientieren.

Doch nun ist ohnehin alles im Fluss. In rund elf Wochen wird ihr Sohn geboren - und wer weiß, vielleicht leben sie in fünf Jahren schon wieder in Nicaragua. "Durch meinen Projekteinsatz habe ich jedenfalls zwei Welten in mir vereint“, sagt die junge Frau. "Und das ist schön.“

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