"Ich habe meine Gründe"

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150 Jahre nach seinem Tod werden die Deutschen und andere Elogen auf ihn schreiben. Heinrich Heine braucht sie nicht, meint der Lyriker SAID. Wir aber brauchen Heine: den politischen Kritiker, den sinnlichen Poeten, den süffisanten Spötter, den angefeindeten Ironiker, den zwangsassimilierten Juden, den künftigen Dichter. Redaktion: Cornelius Hell und Brigitte Schwens-Harrant Karl Kraus hätte Peter Henisch zu den schlimmen Folgen von Heine gezählt, meint Peter Henisch.

Wenn ich mich frage, wann ich zum ersten Mal von Heine gehört habe, so tippe ich vorerst auf einen Spaziergang mit meiner Großmutter. Einer jener frühen Spaziergänge, auf denen mein literarisches Interesse geweckt wurde. Anfangs durch Märchen. Aber nicht nur durch Märchen. Auf jenen Spaziergängen durch das zerbombte Wien, seine verwilderten Gärten und Parks, erzählte mir die Großmutter so gut wie alles, das sie seit ihrer Jungmädchenzeit gelesen hatte.

Und das war einiges: Von Marlitts Romanen angefangen bis "Vom Winde verweht". Tragödien wie die vom Prinzen Hamlet oder vom Doktor Faust. Geschichten wie die von Madame Bovary und Anna Karenina. Zwischen so genannter Trivialliteratur und so genannter Weltliteratur machte sie keinen Unterschied.

Am Rande

Es stimmt, diese Großmutter und der Einfluss, den sie auf mich genommen hat, ist schon Teil meines persönlichen Mythos'. Aber im Mythos ist ja alles begründet. Im Mythos, und sei es der persönliche, findet man die Anfänge. "Aus den frühesten Anfängen", sagt Heine im Fragment seiner Memoiren, "erklären sich die spätesten Erscheinungen".

Eben. Also wie war das? Auf Heine kam die Großmutter natürlich im Zusammenhang mit der Loreley. Womöglich war das, als ich Keuchhusten hatte. Also auf keinem Spaziergang, sondern auf der Fahrt mit dem Schiff. Ja doch, wir fuhren auf einem Schiff auf der Donau.

Ich hatte Keuchhusten und rang nach Luft. Doch gegen Keuchhusten nützte die Brise am Wasser. Wir saßen ganz unten am Bug, dass uns das erlaubt wurde, war der Überredungskunst meiner Großmutter zu danken. Und da fing sie nun an zu erzählen oder zu singen, von jenem Märchen aus alten Zeiten, und da fiel auch der Name Heine.

Allerdings fiel er vorerst nur am Rande und eigenartig verschämt. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten. Das sei zwar von Heine, sagte die Großmutter. Aber ihr Mann habe gesagt, das sei eigentlich ein altes deutsches Volkslied. Und Heine, wie es so die Art seiner Art sei, habe sich das nur angeeignet.

Nein, in diesen Worten hat sie es dem vier-oder fünfjährigen Kind wahrscheinlich noch nicht gesagt. Obwohl sie mich nie unterschätzte. Sie sprach mit mir immer wie mit einem kleinen Erwachsenen. Die Großmutter, die ihre Herkunft ein halbes Leben lang verdrängt hatte. Oder zumindest zum Tabu gemacht unter dem Einfluss jenes Gatten.

Zuneigung und Abneigung

Jedenfalls bekam ich schon etwas mit von der Ambivalenz, mit der sie von Heine sprach. Stimmt dieses Wort? Doch. Doppelwertigkeit bestimmter Phänomene oder Begriffe, steht dazu im Duden. Zum Beispiel, lese ich, Zuneigung und Abneigung zugleich. Genau das war es, was ich bezüglich Heine von Anfang an mitbekam.

Nicht nur über die Großmutter übrigens, deren erster Mann nebenbei erwähnt ein Friseurgeschäft in der Heine-Straße gehabt hatte. Bevor er verschwand, aber das war noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ein Märchen aus alten Zeiten also, das ist so lang her, sagte die Großmutter, dass es schon gar nicht mehr wahr ist. Die Heine-Straße war dann in Ritter-von-Schönerer-Straße umbenannt worden, das war etwas weniger lang her, doch inzwischen war man dazu übergegangen, diese Zeit lieber zu vergessen.

Auf schlechtem Papier

Ein paar Monate später muss es gewesen sein, ich konnte immer noch nicht lesen, da bekam mein Vater ein Buch geschenkt. Und zwar von einem Redakteur der kommunistischen Weltillustrierte, für die er damals zu fotografieren begann. Er tat das, weil ihm die anderen Zeitungen nichts mehr abnahmen, ich verstand damals noch nicht, warum. Das Buch war hässlich, ein frühes Taschenbuch, gedruckt auf schlechtem Papier, aber das war "Das Buch der Lieder".

Ich weiß nicht mehr, ob mein Vater darin gelesen hat. Aber es stand dann in seinem Bücherschrank. Es stand sehr am Rande. In der Mitte standen die Bücher mit schöneren Rücken. Trotzdem gehörte es zu den wenigen Büchern, die ich mir, zehn, zwölf Jahre später, aus der Bibliothek meines Vaters lieh.

Ich gab es, muss ich gestehen, nicht zurück. Als ich Gedichte zu schreiben begann, war mir Heine ein willkommener Gefährte. Nicht unproblematisch natürlich. Einer der so gut und gefühlstief reimen kann. Gefühlsoberflächlich, fand Karl Kraus, aber den kannte ich damals noch nicht.

Hätte er mich gekannt, so hätte er mich sicher zu den schlimmen Folgen von Heine gezählt.

"Der kleine Witz der kleinen Melancholie" - damit hätte er schon recht gehabt. Doch war auch ganz anderes von Heine zu lernen. Einiges, wofür er eigenartigerweise keinen Sinn hatte.

Karl Kraus. Der große Heine-Hasser. Es gibt oder gab auch eine Menge anderer, kleinerer. "Ich habe meine Gründe", schreibt Heine. Wahrscheinlich haben sie alle auch ihre Gründe.

Heine ist tatsächlich ein Typ, der zum Widerspruch reizt.

Bis heute. Was man ja nicht von vielen Autoren des 19. Jahrhunderts sagen kann. Hebbel zum Beispiel. Der seinen Heine auch nicht leiden konnte. Hebbel wird niemand mehr zum Widerspruch reizen. Heine hingegen hat was. Darauf sind manche eifersüchtig.

Nach wie vor. Ist das nicht schön?

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