"Ich herrsche nicht, ich befehle"

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Mit "Bernarda Albas Haus", der "Frauentragödie in spanischen Dörfern" von Federico García Lorca, gelang Johannes Reitmeier eine dichte, beklemmende Inszenierung am Tiroler Landestheater.

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Mit "Bernarda Albas Haus", der "Frauentragödie in spanischen Dörfern" von Federico García Lorca, gelang Johannes Reitmeier eine dichte, beklemmende Inszenierung am Tiroler Landestheater.

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Es war erstaunlich, dass der Choreograf Torsten Händler 2008 für einen ekstatischen Abend am Tiroler Landestheater "Bernarda Albas Haus" wählte, die Titelfigur männlich besetzte und den im Stück einzigen, unsichtbar bleibenden Mann sexistisch auf die Ballettbühne holte. Nun ist die "Frauentragödie in spanischen Dörfern" von Federico García Lorca wieder da, inszeniert von Johannes Reitmeier, eine dichte, beklemmende, hervorragend gespielte Aufführung, mit der die Spielsaison eröffnet wurde. Beziehungsfäden führen ins Freiheitsthema des "Fidelio", mit dem die Opernsparte (szenisch glücklos) begann, und zur Oper "Tiefland", die im Vorjahr gespielt wurde. Sie basierte auf einem Text von Angel Guimerá, dessen Entwicklung des spanischen Bauerndramas Lorca inspirierte.

Scharfe Dialogsequenzen

Lorca erreicht 1936, wenige Wochen vor seiner Ermordung durch spanische Falangisten, in seinem letzten Stück eine archaische Kraft, um seinem Kampf für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit Ausdruck zu verleihen. Als Themen wählte er in allen seinen Stücken Liebe und Tod, mit Frauen als Protagonistinnen, die als Opfer unmenschlicher Konvention um das Leben betrogen werden. In "Bernarda Albas Haus" erreicht er in der Vervielfachung der Sehnsüchte und Unterdrückung fünf junger Frauen durch die tyrannische Mutter eine Versteinerung, der nicht zu entkommen ist - es sei durch den Tod, den die Jüngste wählt.

Es ist nicht allein Spaniens Glut, die die Atmosphäre zwischen den Frauen auflädt, sondern die von den emotional ausgehungerten Töchtern gefährlich projizierte Präsenz des einzig nahen Mannes. Der junge Pepe el Romano ist mit Angustias, der ältesten und einzig vermögenden, verlobt, verführt aber die jüngste, der das Treffen gelingt. Mit äußerster Härte - "Ich herrsche nicht, ich befehle" - hat Bernarda Alba, die soeben Witwe geworden ist und acht Jahre Trauer verhängt, die Mädchen völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Mit "schöner Fassade" rechtfertigt sie die moralische Unterdrückung. Die junge Adela provoziert die unausweichliche Tragödie, aber selbst ihr Suizid erweicht Bernarda nicht. Es geht um den Schein. In der Atmosphäre aus Angst und Erregung sind Denunziation und Gewalt, verordnetes Schweigen und scharfe Dialogsequenzen zu Ritualen des Eingeschlossenseins geworden. Lorcas Symbole und Naturmythen sind nur noch in Spuren vorhanden. Reitmeier inszeniert das schonungslos, knapp und schnörkellos wie die Sprache, fast choreografisch. Die Rhythmen von Totengebeten und Nähmaschinen verstärken den Sog. Wunderbar in der Rückbesinnung auf Lorcas poetische Kraft und der Wahrheit im Wahnsinn die nächtens bräutlich halluzinierende Mutter Bernardas (Andreas Wobig).

Tragik und zarte Verschmitztheit

Hintergründig-wirkungsvoll das Bühnenbild von Helfried Lauckner, der den schmalen Raum mit traditioneller, erotischer, verletzlicher schwarzer Spitze auskleidet und dahinter, mit einem Hauch Surrealismus, die Zimmer der Mädchen sichtbar macht. Lanzen verwunden die Wände dieses Hauses. Eleonore Bürcher ist eine atemberaubend autoritäre, eiserne Bernarda Alba, die an die Töchter wohl eigene Verletzungen kalt weiterreicht. Die einzige, die ihr entgegentritt, die Magd La Poncia, hat in der bald 84-jährigen Julia Gschnitzer ein Juwel. Ihre Beherrschung des Unausgesprochenen und der Durchdringung von Tragik und zarter Verschmitztheit gibt dieser Figur eine besondere Aura. Präzise gezeichnet und stark besetzt die Töchter mit Antje Weiser (Angustias), Sara Nunius (Magdalena), Ulrike Lasta (Amelia), Marion Fuhs (Martirio) und Lisa-Maria Sexl (Adela), dazu Janine Wegener als Magd und Petra-Alexandra Pippan als Prudencia.

Bernarda Albas Haus

Tiroler Landestheater

7., 13., 14., 18. November

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