"Ich kann mich nicht lebenslang zudröhnen“

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Die Psychotherapeutin, Erziehungs- und Unternehmensberaterin Martina Leibovici-Mühlberger über die gängige "Burnout-Lüge“ - und ihr Motto "Love, Work, Pray“, das als Kompass aus der Sinnleere dienen soll.

Es war 1974, als der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger auf ein interessantes Phänomen aufmerksam machte: Menschen, die jahrelang hoch engagiert in Sozialberufen gearbeitet hatten, verfielen plötzlich in einen Zustand von Antriebslosigkeit und emotionaler wie physischer Erschöpfung. Das "Burnout“ war geboren. Mittlerweile scheint dieses diffuse Syndrom fast alle Gesellschaftsschichten erfasst zu haben: Spitzenmanagerinnen und -manager, Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Eltern. Was steckt hinter dieser Volksseuche, die laut Ärztekammer bereits 500.000 Menschen in Österreich befallen hat und weitere 1,1 Millionen gefährdet? Die Erziehungs- und Unternehmensberaterin Martina Leibovici-Mühlberger hat sich diese Frage gestellt - und in ihrem Buch "Die Burnout-Lüge“ eine umfassende Systemkritik formuliert.

Die Furche: Frau Leibovici-Mühlberger, worin besteht beim Thema Burnout die Lüge? Darin, dass dieses vielbeschworene Syndrom gar nicht existiert?

Martina Leibovici-Mühlberger: Nein, die Symptome sind umfassend beschrieben. Die Lüge bezieht sich vielmehr auf die Gründe, die meist als Auslöser genannt werden. Der erste Verdächtige ist immer der Betroffene selbst, der als nicht gut oder hart genug dargestellt wird und deshalb selber schuld sein soll. Der zweite Verdächtige ist das böse Unternehmen, das seine Mitarbeiter durch Ausbeutung krank macht. Doch das greift für mich viel zu kurz, zumal die Arbeitszeitbelastung im historischen Vergleich deutlich gesunken ist. Ich sehe die eigentliche Ursache eher darin, dass im Untergebälk unserer Gesellschaft das Sinnfundament bröckelt: Wir leben in einer Welt, in der Geld und Konsum die einzigen Kulturwerte sind, die als sinnvoll transportiert werden. Dazu kommt eine Hyper-Individualität, bei der Bindungen immer schwächer werden. Das kann nicht glücklich machen.

Die Furche: Manche sehen eher in der stetigen Beschleunigung das Problem. Der deutsche Historiker Philipp Blom hat in einem "Falter“-Essay mit dem Titel "Das Leben im Hochgeschwindigkeitszug“ das Burnout von heute mit der "Neurasthenie“ (Nervenschwäche) verglichen, die vor 1914 als Modekrankheit galt. Wie damals würden auch die Menschen heute die (kommunikations-)technologischen Umwälzungen nicht mehr verkraften …

Leibovici-Mühlberger: Das ist sicher auch ein Aspekt. Vor allem die unglaubliche Kurzlebigkeit der neuen Technologien überfordert uns biologisch. Mein aktuelles Handy habe ich etwa vor eineinhalb Jahren bekommen - und noch immer nicht verstanden, doch das nächste Modell kommt schon im Mai auf den Markt. Wir kommen gar nicht mehr dazu, kritisch zu reflektieren, wie sehr diese Technologien unser Leben verändern. Im Bereich der Familie ist das ganz dramatisch. Vielfach sehen wir heute eher Wohngemeinschaften von zwei Erwachsenen und zwei Kindern, in denen jeder in friedlicher Symbiose mit Kühlschrank und Smartphone zubringt. Die Kommunikationsrate geht gegen null, weil es keine gemeinsamen soziale Räume mehr gibt. Auch das gemeinsame Essen oder andere Rituale sind ja häufig aufgelöst. Viele Kinder treten ab einem Alter von sieben Jahren in diese Parallelwelt ein, und ab zwölf Jahren lehnen sie die Führungs-Autorität ihre Eltern ab und orientieren sich lieber an der Peergroup, wo der Blinde den Einäugigen führt …

Die Furche: Apropos Eltern: Die fühlen sich wohl eher durch ihre tägliche, ganz reale Doppelbelastung an den Rand des Burnouts geführt. Lässt sich das in der "Rush-Hour des Lebens“ überhaupt verhindern?

Leibovici-Mühlberger: Sagen wir so: Ich selbst bin in großer Gemütlichkeit aufgewachsen. Meine Mutter hat ihren Beruf aufgegeben, und mein Vater hat die Familie versorgt. Für beide hat dieses Rollenspiel gepasst. In der extremen Konsumgesellschaft von heute zählt aber nur noch das Kapital, das eine Familie produziert - und so etwas wie Familienmanagement gar nichts mehr. Lieber lagern wir die Kinder niederpreisig aus, damit Mama und Papa etwas Sinnvolles machen können - nämlich Geld verdienen.

Die Furche: Aber was ist die Alternative: Frauen zurück an den Herd?

Leibovici-Mühlberger: Ganz und gar nicht. Hier wäre ein partnerschaftlicher Ansatz wichtig, indem etwa beide Eltern Teilzeit arbeiten. Man könnte auch ein Lebensleistungskonto einrichten, auf das Mütter und Väter in ihrer Rush-Hour, in der oft auch ein höherer Kapitalbedarf besteht, zugreifen können. Das sind utopische Modelle, aber dass sich etwas ändern muss, ist klar. Derzeit ist es so - und hier sind wir wieder beim Burnout -, dass ich mein menschliches Potenzial, nämlich Vater oder Mutter zu werden, nicht mehr guten Gewissens leben kann und sogar als dumm gelte, wenn ich es tue. Als ich zum dritten Kind schwanger war, haben mich alle Leute gefragt: Wie ist euch denn das passiert, du bist doch Gynäkologin? Als ich dann zum vierten Mal schwanger war, haben sie nur noch die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Unsere Gesellschaft ist eigentlich antibiologisch, doch wenn ich nicht mehr lebendig sein darf, weil alles unter dem Primat von Geldproduktion und Konsum steht, rinnt irgendwann der Sinn davon.

Die Furche: Ihr Rezept aus dem drohenden "Burnout“ lautet nicht "Nehmt Euch Auszeiten!“ oder "Geht wellnessen!“, sondern: "Love - Work - Pray“. Was bedeutet das?

Leibovici-Mühlberger: Unter "Love“ verstehe ich den Beziehungs-Anteil in meinem Leben. Die Suche nach Individualität ist ja an sich nichts Negatives, aber heute ist sie derart narzisstisch überladen, dass viele Probleme haben, wirklich mit anderen in Beziehung zu treten. Jeder konzentriert sich nur auf sein eigenes Micky-Maus-Leben. Deshalb stelle ich in meinen Burnout-Prophylaxe-Workshops immer die Frage: Wie sieht mein individueller Bindungs-Kosmos aus - und vor allem: Was trage ich dazu bei? "Work“ bezieht sich hingegen darauf, was ich in meiner Arbeit tue oder produziere -und wie ich das mit Sinn befüllen kann.

Die Furche: Ist das nicht eine Luxusfrage, die sich viele gar nicht leisten können?

Leibovici-Mühlberger: Nein, das kann überall funktionieren. Ich bin einmal mit dem Pförtner der Schule meiner Kinder ins Gespräch gekommen, der in der Früh immer alle freundlich begrüßt. Ich habe ihn gefragt, warum er das tut, und er hat gemeint, er sei früher Garagenwart gewesen und habe sich irgendwann entschieden, an eine Schule zu wechseln und dort für die Kinder der "Manager des ersten Augenblicks“ zu werden. Man muss also keine Führungsposition haben, um den Sinn in seiner Arbeit zu finden.

Die Furche: Bleibt noch der dritte Teil Ihres ambitionierten Anti-Burnout-Programms: "Pray“ - wobei Sie selbst schreiben, dass "die Weltreligionen von Amtsseite her die Übersetzung in die Moderne verpasst“ hätten. Die Alternative ist eine individuelle - und eher anstrengende - "Bastelreligion“ …

Leibovici-Mühlberger: Richtig, insofern sind jene in einer glücklichen Position, die im Rahmen ihrer Sozialisierung ein religiöses Zugehörigkeitsgefühl mitgenommen haben. Aber viele sind im Rahmen der neuen Aufgeklärtheit und Selbstbestimmtheit mit verwalteter Amtsreligion nicht mehr bedienbar. Dort wollte ich hinschauen und sagen: Ich kann mich nicht lebenslang zudröhnen! Ich muss mich der Frage nach dem Sinn meiner Existenz irgendwann stellen: Sei es, indem ich die Antwort in Gott suche - sei es, indem ich mich sozial engagiere. Aber diese Frage brandet einfach auf. Unweigerlich.

DIE BURNOUTLÜGE. Was uns wirklich schwächt. Wie wir stark bleiben.

Von Martina Leibovici-Mühlberger. Verlag edition a, Wien 2013. 222 Seiten, geb., e 19,95.

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