Ich morde, also bin ich

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Mit Stephan Kimmigs Inszenzierung von "Macbeth" beschließt das Burgtheater seinen Zyklus "Kontinent Shakespeare". Eine Aufführung, die den Zuseher etwas ratlos zurücklässt.

"Macbeth" gilt als Shakespeares letzte der großen Tragödien, und sie ist zweifellos eine seiner blutigsten und dunkelsten. Ganz in letzterem Sinne kann man nun der Inszenierung von Stephan Kimmig am Akademietheater, mit der das Haus am Ring seinen sich über drei Spielzeiten erstreckenden Shakespeare-Zyklus abschließt, eine gewisse Werktreue attestieren. Denn Kimmigs alles in allem anspruchsvolle, unaufgeregte, leise Inszenierung ist vor allem eine Einübung ins Dunkle. Damit sind indes nicht nur die knapp zweistündige Aufführung, die ganz der Vorlage entsprechend in finsterster Nacht spielt und wenig zu sehen gibt, oder die häufigen Schwarzblenden gemeint, durch die die einzelnen Szenen immer wieder voneinander abgetrennt werden, oder auch das Programmheft, das als Negativ konzipiert mit weißer Schrift auf schwarzem Papier aufwartet, sondern leider auch über weite Strecken die Deutung. Denn Kimmig - das spürt man - will zwar viel, vermag am Ende aber recht wenig. Seiner auf einer drastisch gekürzten Textversion basierenden Inszenierung ist kaum zu entnehmen, wo die Akzente seiner Interpretation zu verorten sind, worum es ihm eigentlich zu tun ist.

Studie über das Tier Mensch

Einerseits gewinnt man den Eindruck, die Inszenierung sei eine Studie über das Tier Mensch. Der Bühnenbildner Martin Zehetgruber hat einen verspiegelten Glaskäfig auf die Bühne gebaut, der die Figuren ausstellt, sie gleichzeitig isoliert und vervielfacht. In dieser geschlossenen Welt, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint, tigert der Königsmörder Macbeth (Dietmar König), geplagt von seinem Gewissen, umher. An ihm - von seiner resoluten, karrierebewussten und ihrerseits von lästigen Anfechtungen des Gewissens freien Lady (Birgit Minichmayr) zum Mord an König Duncan getrieben - lassen sich die Abgründe des Menschen, seine Fähigkeit zum Bösen studieren.

In der Paarbeziehung ist das Stück ein Kammerspiel über die Liebe. Denn Macbeth vollzieht den ersten Mord nur als Bestätigung seiner Männlichkeit. Und das erste Verbrechen macht immer weitere notwendig. Hier, in der Verstrickung von Liebe und Verbrechen, entwirft Shakespeare - und Kimmig folgt ihm nur zögerlich - ein Bild der Liebe, die allein, über alle moralischen Beschränkungen hinweg, jenseits von Gut und Böse, der Welt einen Sinn, das heißt eine Ordnung zu geben vermag. Kimmig macht die angedeutete Verschiebung der Geschlechterrollen deutlich. Am Ende ist es, anders als bei Shakespeare, nicht die Lady, die wahnsinnig durch die überfluteten Hallen watet, sondern Macbeth selbst, dem der Schlaf abhanden gekommen ist, weil er Alpträume gebiert, die Erinnerung an den Mord. Regisseur Kimmig deutet verkürzt: Hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine erfolgshungrige Frau. Oder aber, postfeministisch gewendet: Frauen sind auch nur die besseren Männer.

Andererseits skizziert Kimmig auch ein Sittenbild realpolitischer Verhältnisse und schreckt dabei vor konkreten Aktualisierungen nicht zurück. Sein Schottland ist ein ganz realer Ort, die Horde der Königsmörder trägt goldene Cowboyhüte, ist in schlecht sitzende Anzüge mit Schlaghosen und protzigen Gürtelschnallen gekleidet. Allesamt wirken sie wie texanische Ölbarone, die sich zynisch zur großen Politik berufen fühlen. Am Ende tritt der neue König Malcolm (Markus Meyer) als politische Erlöserfigur auf, die mit der pathetischen (und hohlen) Rhetorik ihrer Rede sowie dem gemeinsamen Gebet nicht wenig an ehemalige und zukünftige amerikanische Präsidenten erinnert.

Dunkle Litanei auf verwirrte Welt

Kimmigs ambitiöse, aber letztendlich zwiespältige Inszenierung ist ein nihilistischer Abgesang auf den Glauben an eine sinnhafte Ordnung der Welt. Jeder tötet, sei es aus Liebe, also aus Egoismus, oder aus höherer Notwendigkeit, um der Welt gleich zu werden, weil es eine Welt ist, aus der alle sittliche Ordnung verbannt zu sein scheint, weil es eine Welt ist, in der getötet wird, in der Mord möglich ist. Daher mordet jeder, um sich zu bestätigen: Ich morde, also bin ich!

Ist das die fürchterliche Erkenntnis, um die es Kimmig geht? Die menschliche und die politische Logik? Das Verbrechen ist eine menschliche Sache, und es ist als legitimes Mittel Sache der Politik. "Macbeth" als dunkle Litanei auf eine verwirrte Welt, wo nicht nur die Geschlechterordnung durcheinandergerät, sondern auch die Unterscheidung zwischen Gut und Böse immer schwieriger zu machen ist.

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