"Ich nehme das sportlich"

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Linz 09-Intendant Martin Heller über kurze Nächte, gesunde Aufregung, eigene Fehler, den Wunsch, Veränderung zu säen und die Chancen des Kulturhauptstadtjahres.

Mit einer Raketensinfonie zu Silvester wird in Linz das Kulturhauptstadtjahr "eingeschossen". Zuständig für diesen und andere Höhepunkte ist seit September 2005 der Kunsthistoriker und Ethnologe Martin Heller.

DIE FURCHE: In einer Woche wird Linz für ein Jahr lang Kulturhauptstadt Europas sein. Schlafen Sie gut?

Martin Heller: Ich schlafe gut, aber die Nächte sind kurz.

DIE FURCHE: Zurzeit dominieren noch Baustellen das Stadtbild.

Heller: Zum einen kann ich gar nicht so viel darauf einwirken, weil die Baustellen vom Land und von der Stadt geführt werden und zum anderen ist es kein Naturgesetz, dass alles bis Jahresbeginn fertig sein muss. Das Ars Electronica Center wird am 2. Jänner eröffnet, der Südflügel des Schlosses im Juli. Das sind willkommene Schritte in unserer Gesamtdramaturgie, und diesen Plan möchten wir einhalten.

DIE FURCHE: Im Vorfeld von Linz 09 mussten Sie einiges an Kritik einstecken. Von abgesagten Projekten war die Rede, etwa die Auftragsoper "Montezuma" oder die Migrantinnen-Idee "Linz in Torten", auch Ihre Gage (183.000 Euro) wurde thematisiert, die freie Kulturszene fühlte sich zu wenig einbezogen und nicht zuletzt haben Vertreter der Kirche den Adventkranz mit fünf Kerzen und dessen Verwendung zu Werbezwecken als "unverantwortlich" befunden. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Heller: Um beim Letzten anzufangen: Solche Debatten haben immer auch etwas Amüsantes, wenn man als Intendant dasitzt und mit Theologen über den Unterschied zwischen Brauchtum und Glaubensinhalt diskutiert. Ich nehme das sportlich. Eine gesunde Aufregung ist ja an und für sich gut, weil sie Aufmerksamkeit erregt, ohne dass ich darauf abgezielt hätte. Was die Absagen betrifft, die gehören zum Lauf der Dinge. Es wurden insgesamt 2000 Projekte eingereicht und davon 1900 abgesagt.

DIE FURCHE: Im Fall von "Montezuma" hat das Klangforum Wien aber sogar mit einer Klage gedroht.

Heller: Es gibt eine Feststellungsklage gegen die LIVA (Linzer Veranstaltungsgesellschaft), den Produzenten. "Montezuma" ist ein Jahr vor der Premiere abgesagt worden. Da haben doch alle Beteiligten die Chance, etwas anderes auszurichten. Und ein Recht auf die Aufführung, wo ohnehin alle bezahlt wurden, erschließt sich mir nicht. Bei "Linz in Torten" haben wir bei den Initiatoren jeden Unternehmergeist vermisst. Schließlich: Was über mein Gehalt berichtet wurde, entspricht nicht den Tatsachen. Da hat einer vom anderen abgeschrieben. Die Summe, die publiziert wurde, schließt ein, dass ich sämtliche Sozialleistungen und die Altersvorsorge selber bezahle. Aber in meiner Funktion muss man Kritik in Kauf nehmen.

DIE FURCHE: Sehen Sie auch Fehler bei sich?

Heller: Ein Fehler war, zu früh mit der Programmankündigung anzufangen. Nur hätte die Stadt das noch viel früher haben wollen. Im Übrigen ist es durchaus sinnvoll, Konflikte zu haben, wenn man sie offen austrägt.

DIE FURCHE: Konflikte gab es auch mit dem Theater Phönix, das die Zusammenarbeit mit Linz 09 beendet hat. Nun zeigt es die Satire "der Zwerg ruft" von Kurt Palm - ein Stück, in dem Sie auch selbst vorkommen. Ärgert Sie das?

Heller: Nicht im Geringsten. Ich hätte mir bloß das Theater amüsanter gewünscht. Ich habe übrigens auch gefragt, ob eine Diskussion mit Kurt Palm möglich wäre.

DIE FURCHE: Hat sie stattgefunden?

Heller: Nein. Herr Palm macht eine lange Reise und hat keine Zeit. Schade.

DIE FURCHE: Zu Silvester wird das Kulturhauptstadtjahr mit der "Raketensinfonie" und einem dreitägigen Fest eingeläutet. Übers Jahr hindurch wird ein sehr umfangreiches Programm mit insgesamt 220 Projekten geboten. Welche drei sollte man auf keinen Fall versäumen?

Heller: Eine spektakuläre Geschichte ist "Höhenrausch" im Sommer, Kunst auf den Dächern von Linz. Dann würde ich den "Circus" nicht versäumen, weil ein Musikzirkus sehr ungewöhnlich ist und gleich zu Beginn die Premiere des Musiktheaters "Das Buch der Unruhe" mit Klaus Maria Brandauer, weil es eine gute Gelegenheit ist, unsere neue Hafenhalle zu besuchen.

DIE FURCHE: Für Aufsehen hat die Ausstellung "Kulturhauptstadt des Führers" gesorgt, die bereits im September angelaufen ist und den Fokus auf das nationalsozialistische Erbe legt. Woraus leiten Sie die Notwendigkeit ab?

Heller: Zum einen ist Zeitgeschichte ein Schwerpunkt im Programm von Linz 09 und zum anderen sehe ich, dass bisher mehr als 20.000 Besucher in der Ausstellung waren. Das ist keine Van-Gogh-Schau. Das ist eine Ausstellung, die zur Auseinandersetzung zwingt. Und dass so etwas dann so einschlägt und nach außen vermittelt, dass wir Geschichte offen angehen mit besten Reaktionen in den internationalen Medien, dann ist das eine wichtige Sache.

DIE FURCHE: Wann ist Linz 09 für Sie ein Erfolg?

Heller: Es ist dann ein Erfolg, wenn sich das Publikum gerne erinnert an ein wunderbares Jahr. Und danach neugierig bleibt für bisher ungewohnte Formen von Kultur.

DIE FURCHE: Der kommerzielle Aspekt steht also weniger im Vordergrund.

Heller: Da haben wir zum Glück nicht so hohe Auflagen. Ich habe nicht den Zwang, so und soviel an Nächtigungszahlen zuzulegen. Ein weiteres Ziel ist, den Leuten Lust zu vermitteln an größerer Weltoffenheit.

DIE FURCHE: Spüren Sie Weltoffenheit in Linz?

Heller: Natürlich. Und dennoch besteht zwischen der Wirklichkeit, der Wirtschaftsregion und dem Alltag ein Unterschied. Aber das ist nicht weiter schlimm. Wir haben nun die Chance, uns in Bewegung zu setzen.

DIE FURCHE: An Linz ist man früher vorbeigefahren. In den vergangenen Jahren hat die Industriestadt einen Imagewandel zur Kulturstadt durchgemacht. Sie sind seit mehr als drei Jahren Intendant von Linz 09. Wie war Ihr erster Eindruck und wie hat er sich gewandelt?

Heller: Wie gesagt: Linz öffnet sich. Auch städtebaulich - es ist in einigen Stadtbereichen viel geschehen, etwa am Pfarrplatz, beim OK-Platz, im Domviertel. Man spürt auch zunehmend, wie sehr sich die Menschen auftun und realisieren, was die Kulturhauptstadt bietet. Das war am Anfang nicht so.

DIE FURCHE: Worin liegt für Sie die Bedeutung einer Kulturhauptstadt?

Heller: Dass ein kultureller Energieschub stattfindet. Verbunden mit der Möglichkeit, über sich selbst nachzudenken, nicht abgehoben, sondern in Form von Projekten und künstlerischen Werken. Wenn wir mit der Fouché-Oper beginnen, dann deshalb, weil Joseph Fouché, Napoleons Polizeipräsident, einmal hier gelebt hat, genauso wie der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler. Es ist eine Chance, die eigene Geschichte erzählen zu können, dort wo sie interessant ist und auch dort, wo sie unangenehm ist im Bereich Zeitgeschichte, etwa die NS-Problematik. Es bedeutet für die Stadt aber auch, sich neue Ziele setzen zu können, kulturelle Überlegungen, wo wollen wir hin.

DIE FURCHE: Ein Slogan von Linz 09 ist: Linz verändert. Wie soll sich die Stadt bis 2015 verändern?

Heller: Wir versuchen, den Wunsch nach Veränderung zu stärken und festzuhalten, dass es nötig ist, sich darüber Gedanken zu machen. Linz soll die interessanteste Stadt Österreichs werden. Dazu versuchen wir Vorschläge zu machen.

DIE FURCHE: Auch Vilnius ist 2009 Kulturhauptstadt. Gibt es ein Konkurrenzdenken?

Heller: Nein. Die zwei Städte liegen räumlich weit auseinander. Auch gibt es zwischen allen Kulturhauptstädten einen regen Austausch, was die Erfahrungen betrifft, ohne dass wir deswegen abkupfern.

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