Karl-Markus Gauß: "Ich schreibe, um zu leben“

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Zum 60. Geburtstag von Karl-Markus Gauß.

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Zum 60. Geburtstag von Karl-Markus Gauß.

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Karl-Markus Gauß ist ein wahrer Homme de lettre, ein Anwalt der Sprache, ein scharfer Kritiker gefährlicher Kleingeistigkeit, ein skeptischer Hinterfrager unserer aktuellen europäischen Lebensrealität und ein Reisender zwischen den Welten. Alle diese Rollen prägen seit vielen Jahren Gauß’ publizistische Tätigkeit, in allen diesen Rollen zeigt sich Gauß auch in seinem neuesten Essayband "Lob der Sprache, Glück des Schreibens“, der einen Querschnitt seiner Arbeit der letzten zwanzig Jahre präsentiert.

Der Band versammelt Glossen, Feuilletons, Polemiken und Reden, die für ganz unterschiedliche Anlässe in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erstveröffentlicht worden sind und Gauß’ literarische Hauptthemen klar umreißen. Selbst donauschwäbischer Abstammung sind ihm vor allem die kleinen, randständigen europäischen (Sprach-)Minderheiten, die verstreut in verschiedensten Ländern leben, ein besonderes Anliegen. In "Wer die Donauschwaben waren. Ein Nekrolog“ bedauert Gauß das Verschwinden dieses eigenen, facettenreichen Dialekts, der ihm aus der Kindheit noch im Ohr ist; die schwierige Lebenswirklichkeit kleiner ethnischer Minderheiten dient ihm in einem Essay für Lettre International zur Beweisführung, "warum die Union die kleinen Nationalitäten braucht“. Wenn Gauß aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen kommentiert, dann reicht die Bandbreite von verlogenen Charity-Events über die Mühsal wechselnder Mülltrennungsmethoden und die Privatisierung des Wassers bis zur Lesezwangsverpflichtung jugendlicher Straftäter in Südamerika als originelles Mittel der Justiz.

Das Schreiben selbst reflektieren

Am heitersten lesen sich Gauß’ Reiseberichte - etwa die Klage über japanische Bürokratie oder eidgenössische Gewitter oder sein "Outing“, den kleinen, feinen Ort Unken - obwohl in seinem Bundesland liegend - noch nie besucht zu haben. Ernsthafter klingen in dem Band jene Texte, die das Schreiben selbst reflektieren, die Möglichkeiten des Wortes, der Sprache und der Literatur. In ihnen wird deutlich, was Gauß seit so vielen Jahren bei seiner schriftstellerischen Arbeit treibt: Das Gauß’sche Credo heißt nicht, leben, um zu schreiben, sondern umgekehrt: "Ich schreibe, um zu leben.“ Im Schreiben könne er sich am ehesten dem annähern, der er gerne wäre. Das Schreiben mache ihn auch klüger, es sei die einzige Möglichkeit, heißt es, in typischem Gauß-Understatement: "um nicht zu verblöden“, schließlich beginne man erst in der schriftlichen Auseinandersetzung mit einem Gegenstand etwas von der Sache zu verstehen.

Ob Gauß nun in einer kurzen Glosse über das kleine Wort "eigentlich“ räsoniert, einen Nachruf auf Gerhard Amanshauser schreibt oder weit ausholend über den großen Begriff der Toleranz nachdenkt, er trifft immer den richtigen Ton. Und nicht zuletzt das ist es, was seine Texte auszeichnet, was sie unverwechselbar macht. Gauß ist bei allem, was er sagt, klug, aber nie belehrend, besorgt, aber nie verbittert, gewitzt, aber nie pointiert um jeden Preis. Es gibt keinen einzigen schwachen Text in der Sammlung, keine auffälligen Redundanzen, selbst wenn manche Themen sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen, und allzu simple, schwache Argumentationsketten schon gar nicht. Alles, was in dem Band steht, ist Feuilleton-Kunst auf höchstem Niveau. Und es wird kaum jemanden geben, der in dieser Sammlung von 39 Texten nicht fündig werden wird, so variantenreich sind diese kleinen Text-Kunstwerke, so variabel ihre Tonart.

Gauß’ Kunst ist es, zu den unterschiedlichsten Themen das sagen zu können, was man selber gerne rhetorisch geschliffen und fundiert begründet sagen können würde, nur eben leider nicht kann. Schreiben heißt für Gauß, der am 14. Mai seinen sechzigsten Geburtstag feiert und gerade mit dem Österreichischen Kunstpreis für Literatur ausgezeichnet worden ist, "immer aufs Ganze gehen“. Und das merkt man seinen Texten an, und zwar jedem einzelnen.

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