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Witz, Skurrilität, aber auch die Tragik des Alltags kennzeichnen die - hochpolitischen - Aktionen des tschechischen Künstlers Jirí Kovanda.

Kunst entsteht immer in einer spezifischen Umgebung, ist eine Reaktion darauf und gleichzeitig auch eine Mitgestalterin dieser Umgebung. Diese Binsenweisheit bescherte dem Blick des Publikums diesseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs auf die Arbeiten von Kunstschaffenden jenseits desselben eine verführerische Prägung: Kaum stößt man gemäß dieser Prägung auf ein Werk, das sich nicht als offensichtlicher Sozialistischer Realismus zeigt, lässt es sich spielend leicht auf die Rubrik "aufrührerische Politkunst" reduzieren. Bei manchen mag das ja zutreffen, allgemein gültig ist diese Einschätzung sicher nicht. Nicht zuletzt das Œuvre von Jirí Kovanda versteht sich als eine permanente Zurückweisung dieser einfachen Einteilung.

Jirí Kovanda ist ein Aktionskünstler, in vielen seiner Aktionen setzt er seinen Körper in gleicher Weise als "Werkstoff" ein wie ein Maler seine Pigmente. Und trotzdem sind Kovandas Performances weit von dem entfernt, was viele andere Körperaktionisten betreiben, man könnte sogar sagen, dass er sich wie ein Antipode dazu versteht. Gehen jene mit ihrem Körper nämlich in einer Art und Weise um, die möglichst auffällig wirkt, die sich möglichst von "Otto Normalverbraucher" abhebt, so peilt Kovandas Strategie genau das Gegenteil an. Er plant seine Aktionen so, dass sie möglichst unauffällig vonstatten gehen, wie im Geheimen läuft alles ab, sodass unmittelbare Zeugen dieser Kunstereignisse oft nicht den Funken einer Chance haben, gewahr zu werden, was sich hier abspielt. Kovanda liebt das Versteckspiel, das Unsichtbare. Seine Kunst tritt zumeist erst in einem zweiten Schritt ins Bewusstsein, dann wenn er seine Handlungsanweisungen samt Dokumentationsfotografien präsentiert.

Alles verschwindet

Programmatisch dafür seine Anweisung für eine Aktion vom September 1977, wenn es dort heißt: "Ich verstecke mich." Er tut dies im Türeingang, hinter einer Bauabsperrung oder einem Leitungsmast. Und er tut dies ohne Verfolger, Nutzlosigkeit und Absichtslosigkeit gesellen sich zu seinen Absichtserklärungen hinzu. Zwei Fotografien vom 19. Mai 1977 zeigen ihn am Ufer der Moldau, die Hände zu einem Gefäß geschlossen. Das Drehbuch verrät mehr über das Geschehen: "Ich trage etwas Wasser in meinen geschlossenen Händen und leere es einige Meter flussabwärts wieder aus." Das von Kovanda getragene Wasser zeichnet sich nunmehr durch eine besondere Qualität aus, die aber niemand mehr bewerten kann. Am gleichen Tag bestätigt er Paul Cézannes besorgten Ausruf, dass alles verschwindet. Kovanda bildet gemäß seiner zuvor gesetzten Handlungsanweisung auf den Knien in aufrichtiger Handarbeit einen kleinen Haufen aus Straßenschmutz; sobald das geschafft ist, richtet er sich auf, um seinen Haufen mit den Füßen wieder gleichmäßig zu verteilen.

Der Mensch, der sich selbst im Weg steht

Es ist viel Witz und Skurrilität in diesen Aktionen, gleichzeitig entgehen sie nicht der Tragik des Alltags. Wenn Kovanda vor einem Telefon sitzt und auf einen Anruf wartet und dies als Kunstwerk ansieht, dann mag er damit auch ein Lächeln ernten. Aber immer auf einen Anruf warten, der nicht kommt, ob da das Lächeln noch anhalten kann? Oder wenn er im Park mit Murmeln spielt, dabei aber seine andere Hand zwischen die Kugel und das angepeilte Zielloch als unüberwindliches Hindernis hält, dann berichtet er vom Menschen, der sich selbst im Weg steht. Da hilft es auch nichts, wenn er sich verkehrt auf die Rolltreppe stellt und der Person auf der Stufe darunter in die Augen zu schauen versucht.

Kovanda legt aber auch Spuren aus. Er spannt einen weißen Bindfaden quer durch ein Wohnzimmer oder über einen Bach, markiert ein Dreieck im Kopfsteinpflaster mit dreieckigen Keilen, verstärkt eine Ecke und eine Rundung einer Balustrade mit einer rund und eckig ausgestreuten Salzbahn oder hinterlässt zwei aufgestellte Zündholzschachteln, eine gefüllt mit roten getrockneten Rhododendron-Blüten, die andere mit weißen getrockneten Rhododendron-Blüten. Auch wenn Kovanda beschwört, dass es bei seinen Aktionen immer nur um seine Person geht, sind sie dennoch hochpolitisch - bloß nicht so, wie man sich das landläufig vorstellen mag.

Ein Porträt von Hartwig Bischof

* Teil 3 der FURCHE-Serie "Kunst in Kontakt" - in Zusammenarbeit mit der Erste Bank Gruppe

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