"Ich war ein Weib und kämpfte WIE EIN MANN!"

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In den Literaturgeschichten findet sie sich kaum mehr, dabei galt Betty Paoli (1814-1894) als bedeutende Lyrikerin ihrer Zeit. Ein imaginäres Gespräch.

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In den Literaturgeschichten findet sie sich kaum mehr, dabei galt Betty Paoli (1814-1894) als bedeutende Lyrikerin ihrer Zeit. Ein imaginäres Gespräch.

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Im Vorjahr begann die Reihe "Autorinnen feiern Autorinnen": Jährlich wird eine Autorin eine Festrede zu Ehren einer bedeutenden verstorbenen Wiener Schriftstellerin verfassen und veröffentlichen. Im Vorjahr sprach Marlene Streeruwitz über Bertha von Suttner (als Buch im Verlag Mandelbaum erschienen), heuer wird die Schriftstellerin Marlen Schachinger über Betty Paoli sprechen. Die FURCHE bringt im Folgenden exklusiv einen Auszug aus jener literarischen Rede, die Marlen Schachinger am 10. Februar im Wiener Rathaus halten wird.

"Darf ich hoffen, Sie heut abends zu Hause zu finden? Mir ist wahrlich als hätte ich Sie seit Jahrhunderten nicht gesehen. Erlauben Sie mir heute zu kommen? [...] Von ganzen Herzen die Ihre. Betty Paoli."

Es wäre mir eine Ehre, schreibe ich Dir zur Antwort auf Dein Billett; teile es N. mit, dass heute Nacht ein anderes Spiel am Programm stehe. "J'ai tant de choses à vous dire que je ne sais vraiment pas par où commencer [...]" (1), schreibe ich beiden.

N., die eben beendete Lesereise noch in den Augenringen, nimmt auf der Chaiselongue Platz: "Dann erzähle mal " - //

... wie solle man schreiben, habe man fortwährend zu präsentieren?, und was solle man alsbald lesen, schreibe man nicht, ich habe noch zwei Wochen Gnadenfrist, wir sind Scheherazade, und haben Sorge, unser Erzählen, könnte dahingehend verkommen, dass es nur noch eines um zu überleben wäre, //

und ich - derweilen N. mit geschlossenen Augen ein wenig ruht -, ich spreche nicht vom "Auf-und Untergang", sage kein Wort von Elisa, die in meinem Gedächtnis spukt, ich erzähle von ungleichen Brüdern, bis Du kommst.

Noch in der Tür stehend, erkundigst Du Dich, welches Werk ich heute Nacht zur Debatte stellen wolle, einen Abschnitt meines Romans vielleicht?,

heute lieber keinen, denke ich, nach manchen Arbeitstagen lockt selbst mich kein Bad im Drachenblut, Du siehst N. an, der sich erhoben hat, um Dich zu begrüßen //

"Das ist doch auch einer von unserer Zunft?", fragst Du mich leise,

"Ja ...", sage ich,

"Will er vielleicht?",

und ich weiß, N. wird niemals eine Arbeit zur Diskussion stellen, er fürchtet ja schon meine spitze Zunge, die Deine würde ihn vollends erschöpfen, und bevor er noch sein ,lieber nicht, ihr würdet mir doch nur alles zerpflücken' unterbringen kann, frage ich, was Du trinken wollen würdest und proponiere eine Partie: "Wir haben Sie seit über einem Jahrhundert nicht mehr gesehen, in meinen Literaturgeschichten finde ich Sie kaum mehr,

eine ist die löbliche Ausnahme, bitte: Nur ein Mal ... Spielen Sie mit uns!"

Den Whiskey, welchen ich in unsere Gläser gieße, betrachtest Du mit Staunen, sei das denn ein Getränk für Damen?

"Ja", sage ich, "absolut, und ohne Eis ", füge Wassergläser und Karaffe hinzu. Aber wir wären doch bloß zu dritt!, wo bliebe denn der vierte Spielende?, fragst Du, und ich setze Dich an den Tisch, meinem barocken Eckspiegel schräg vis-à-vis, nun flackert in ihm nicht mehr nur das Licht der Kerzen, und Du lachst, ob der Aufschrift, die meine Hand aufs Glas setzte: "La littérature comparée: la discipline des passages" (2) "Zauberbild", sage ich, "und aufgrund dieses Zauberbilds, ein wenig schräg und überaus facettenreich, sind wir vier: Sie rechts von mir, N. an meiner anderen Seite, die Geschichte und ich ""Kann er denn spielen?", fragst Du, ich nehme die Karten vom Tisch,

"Natürlich", sage ich // bin mir dessen nicht sicher: Alle drei betrachten wir N., welcher verkniffen durch sein Brillenglas auf den Stapel, der in meiner Hand gemischt wird, starrt. //

"Quizspiele sind ihm vertrauter", füge ich Deinem Ohr zugewandt hinzu, "Spielen! spielen! Wir sind nicht da, um uns zu unterhalten", sagst Du, "Spielen! Spielen!", stimmt N. ein. So denn : jeder und jedem die ersten sechs, zwei Mal drei in den Talon, die nächsten sechs,

N. murmelt: "Vorhand ", und ohne das Blatt zu ordnen, sagt der Spiegel an: "Besserrufer, Herzkönig",

- "Welchen Vogel?",

"Pagat Ultimo!",

"Den kenne ich nicht ", N. beklagt sogleich einen Mangel in Brehm's Tierleben, glückverheißende Lektüre seiner Philomathie, "Tarock I", flüstere ich nach rechts, Pagat sei einer der drei bouts, auch 'le petit' genannt, in Italien Bagatto, eine Bagatelle,

"... ein Dreck also", schlussfolgert N., wie meine Karten!, damit ist keinesfalls ein positives Spiel zu bestreiten, betteln könnte ich gehen, sogar 'ouvert', mich durchfechten, bald schon wird die Mokerie die anderen reiten, hecken werden meine Bohnen nicht - wäre ich in der Vorhand, könnte ich Trischacken. Das würde sich zumindest den nächsten vier Spielen zu Gute schlagen; falls mir das Blatt alsdann gewogener wäre: woher ward mir Rettung als durch mich? (3) Über den Besserrufer Deines Spiegelbilds schüttelst Du den Kopf:'Niemals!', befiehlst sogleich einen Dreier, sagst obendrein die Trull an,

N. stößt mich unter dem Tisch: "Was bitte ist eine Trull? - Ich habe mein erstes Spiel eben nicht mit sechs Jahren absolvieren dürfen", und N. verweist auf meine Nase, er sähe an meinen flatternden Flügeln genau, was ich dächte.

"Gstieß, Mond, Pagat, das ist die Trull." Und der Mond sei die Tarock XXI: Sie zeige eine türkische Szenerie, zuerst bekommt der König noch ein Tässchen Kaffe von Scheherazade serviert // "Oh Hoffnung, du Scheherazade", murmelst Du in meinen Satz; derweilen - fährst Du an meiner statt zu erzählen fort - schlafen die anderen beiden Schönen, der Papagei auf der Hand der einen Schönheit flattert bereits auf, bald schon fliegt er zum Mond ja, über allem throne dieser, beleuchte die Szenerie. In Wahrheit aber habe der Kartenname nichts damit zu tun, denn ursprünglich hieß diese 'El monde', das habe man hierzulande bloß nicht verstanden, und so wurde die Welt zum Mond,

... und Scheherazade erzählt ... bis sie sich erinnert:

"Gibt es in diesem Zeitalter keine spanischen Zigarren mehr?"

Verdeckt lege ich mein Blatt auf den Tisch, Dir ist ja zu trauen, dem Spiegelbild vermutlich auch - nur bei N. bin ich mir nicht so sicher ... Ich nehme die Cohibas aus der Kommode, biete reihum an, Dir einen Damenfilter obendrein, den Du - beinahe konsterniert - ablehnst, lege das geöffnete Zigarillo-Etui alsdann neben den gläsernen Aschenbecher in die Mitte des Tisches, N. lacht: Ob wir es schon gehört hätten?, jüngst sei einem per Gerichtsbeschluss verboten worden, auf dem Balkon seiner Wohnung zu rauchen, denn der Zigarrenrauch ziehe ins nachbarliche Schlafzimmer, bald, so scherzt N., werde man uns noch in den eigenen Behausungen den Tabak verbieten, und Du - die Cohiba wandert kurz aus dem Mund -: "Wie schreibt ihr denn dann?, ohne diesen inspirierenden Genuss?",

"Erschwert. Dafür nicht mehr mit der Hand",

entgegnet N., und dass dem ja durchaus etwas abzugewinnen sei, vor allem die Literaturwissenschaftler/innen würden sich darüber freuen.

Ich sehe, wie Du zu einer - vermutlich scharfzüngigen - Entgegnung ansetzt, bitte keine Brouillerie!, rasch bringe ich das Thema auf die Problematik der kurzlebigen Nachrichten unserer Generation, keiner korrespondiere mehr wirklich, und die Texte in unterschiedlichen Fassungen, vielleicht sogar noch mit handschriftlicher Korrektur, wer verfüge über so viel Wohnraum, diese heute noch zu archivieren? //

In Gedanken jedoch gebe ich N. recht, sehe mich vor mir, im Handschriftenlesesaal der Wienbibliothek, die dünnen Papierumschläge öffnend, darin verborgen Deine Korrespondenz, froh über jede einzelne Zeile in Französisch oder Italienisch, denn in jenen Sprachen wechseltest Du nicht nur in unsere Schreibschrift, sondern mahntest offenbar auch deine Hand zur Ruhe, die Buchstaben wurden größer aufs Papier gesetzt, ja, ich konnte Deine Textabschriften bestaunen, die Korrekturen am Papier, und missfiel Dir eine Strophe, setztest Du senkrechte Striche, fünf oder sechs davon parallel, über ebenjenen Abschnitt reichend, manchmal schriebst Du diesen neu auf ein Extrablatt, klebtest es über das Misslungene -einzelne Wörter hingegen wurden ausgekratzt -. Und unter die Gedichte: Deinen Namen. Im Alter wird Deine Schrift wahrhaftig krankheitsgeplagt, und was zuvor schon schwer zu entziffern, wird nun - mir zumindest - unleserlich: ein Wort flutet Dir ins nächste, stellenweise verwischt das Zittern die Buchstaben: "Es ist mir ein wahres Herzeleid", denke ich, eine Literatin, welche die Feder kaum mehr führen kann und die Angst, es werde zunehmen, selbst wenn die Fühllosigkeit der Kuppen, die Schwellung der Gelenke unser Tippen weitaus geringfügiger behindert - wie sehr musst Du ohne die nachgiebigen Tasten unserer Computer darunter gelitten haben ... / nicht mehr schreiben, nicht mehr sehen - das sind die Angstgespinste unserer Zunft // "Die Vorhand fängt an", sagst Du,

ich sehe N. an: "Die Liebe ist ein Abgrund, in dessen Tiefe Vergebung unsterblich lebt" (4) N. spielt den Herz-König, Dein Spiegelbild spricht von Ruinen,

Du konterst: "Ich habe kein Herz!", und Dein ist dieser Stich ...

(1) aus Brief Betty Paolis, 1.3.1844, an Dr. J. Kuranda, Handschriftensammlung, Wienbibliothek im Rathaus.

(2) la littérature comparée: est la discipline des passages (http://www.universalis.fr/encyclopedie/litterature-la-litterature-comparee/)

(3) aus Betty Paolis Gedicht "Rettung"

(4) aus Betty Paolis Novelle "Honorine"

Die Autorin ist freiberufliche Literatin und Dozentin für "Literarisches Schreiben"; im März erscheint ihr Buch "Albors Asche" im Otto Müller Verlag.

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