"Ich weine ihm nicht nach!“

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Kaum ein - sonst noch so frivoler - TV-Sender Polens kommt dieser Tage ohne Johannes Paul II. aus. Die staatlichen Anstalten bewerben seit Tagen mit Rund-um-die-Uhr-Papst-Sendungen die Seligsprechung des Pontifex. Es werden Berichte aus Rom, Krakau, Warschau, Europa und Übersee angekündigt. Im sonst verschlafenen Städtchen Wadowice, dem Geburtsort des Heiligen Vaters, laufen die Vorbereitungen zum Medienansturm auf Hochtouren. Der 2005 verstorbene Papst feiert in Polen eine mediale Wiederauferstehung. Mit ihm die Nation, die seit der Katastrophe von Smolensk 2010 mehr denn je zerrissen und zerstritten ist: Endlich nimmt uns die Welt wieder wahr.

Gefeiert wird die Seligsprechung in Kirchen, Pfarrsälen, Universitäten und Schulen, Vereinen, Klubs und sogar in Diskotheken. Allein mehr als 500 neue Publikationen zu Karol Wojtyla sind auf dem Markt. In Souvenirläden findet sich auch das T-Shirt mit der Aufschrift: "Ich weine ihm nicht nach!“

"Die Botschaft ist zumindest doppeldeutig. Ich bin kein Atheist und kein Papstgegner. Ich will nur eine gründliche Auseinandersetzung mit der Religion, der Rolle der polnischen Kirche in der heutigen Zeit, mit Johannes Paul II. und seinem Erbe. Vielleicht ist es provokant, aber diese Diskussion kann man schwer auf Knien weinend führen!“, sagt ein Warschauer Student und verweist auf einige "ernsthafte Initiativen“, wie Symposien, Kongresse, Sommerschulen, wissenschaftliche Beiträge und eine Internet-Bibliografie.

Johannes Paul II. selbst war ein Anhänger der Diskussion, ob in polnischen Kirchengremien (wo er nicht nur Freunde hatte), in akademischen Foren wie der Katholischen Universität oder in der Sommerresidenz der Päpste Castel Gandolfo, wohin er Gelehrte und Intellektuelle von Weltruf um sich zu Gesprächen geschart hatte, erinnern sich seine Mitarbeiter und Zeitgenossen.

Viele katholische Medien Polens, zahlreiche Vertreter des Episkopates und des einfachen Klerus empfinden Kritikansätze am Pontifikat des neuen Seligen schlicht als Sakrileg und Profanierung des Andenkens des "großen Polen“.Engagierte Katholiken in intellektuellen Kreisen rund um einige Hochschulen sowie laizistische Think-Tanks versuchen immer noch recht kleinlaut ein differenzierteres Eingehen auf die Persönlichkeit und das Werk von Karol Wojtyla.

Derzeit überwiegt jedoch der Trend zu uneingeschränkter Hagiografie und absoluter Verehrung. Auch die vorsichtigen Versuche, den "lokalen Kult“ des Seligen Johannes Paul II. nicht zur Ausartung in Kitsch und Abklatsch seiner "Heiligkeit und Größe“ verkommen zu lassen, finden derzeit kaum Echo: Der Bedarf nach mehr Gedenkstätten, Büsten, Denkmälern, Straßennamen, Postkarten, Lampen und Porzellantassen ist derzeit nicht zu bändigen.

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