"Ich will jedenfalls kein Ersatzpolitiker sein"

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Die Wahl fiel dem Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Österreichs nicht schwer: Nach einem Jahr voll bioethischer Debatten wurde der evangelische Theologe Ulrich Körtner zum Wissenschafter des Jahres 2001 gekürt. Die furche bat ihn zum Interview.

die furche: Sie wurden als erster Theologe zum Wissenschafter des Jahres gewählt. Ein Votum mit Signalwirkung?

ulrich h. j. körtner: Persönlich freut es mich natürlich, dass es einen Theologen getroffen hat, zumal noch einen evangelischen. Die evangelische Theologie ist ja in Österreich ein Minderheitenprogramm. Zweitens bin ich ein Zugereister, und es freut mich, dass man ausgerechnet mich als einen Imageträger österreichischer Wissenschaft versteht. Der dritte Punkt ist aber: Es wird zwar eine Theologe geehrt, doch primär, weil er sich mit Bioethik beschäftigt, weniger, weil man an Theologie als solcher interessiert ist. Das zeigt die Zwiespältigkeit der öffentlichen Rolle von Theologie. Ich bin Vorsitzender der Rudolf-Bultmann-Gesellschaft für hermeneutische Theologie und habe im Bereich Hermeneutik und Fundamentaltheologie sehr intensiv gearbeitet. Da schlägt eigentlich mein Herz. Die Bioethik betreibe ich als eine Art politischer Diakonie.

die furche: Besteht aber nicht ein großer Reiz für die Theologie, wenigstens in der ethischen Debatte wahrgenommen zu werden?

körtner: Es ist sicher eine große Versuchung zu glauben, über den Bedarf an Ethik in der Gesellschaft die eigene Relevanz unter Beweis stellen zu können. Doch es wäre für die Theologie desaströs, wenn sie nur als eine Art Ethikinstanz wahrgenommen wird. Das eigentliche Zentrum der Theologie liegt in den Glaubensfragen und in der Gottesfrage. Ethikbooms kommen und gehen.

die furche: Momentan sind Ethikdebatten jedenfalls en vogue - zumal in Deutschland vor der Bundestagsentscheidung über den Import embryonaler Stammzellen am 30. Jänner. Allgemein rechnet man mit der Erlaubnis des Imports unter strengen Auflagen. Womit rechnen Sie?

körtner: Ich rechne auch mit einer solchen Lösung, wobei die einzig interessante Frage ist, ob jetzt eine befristete Einfuhr erlaubt sein soll oder eine unbefristete. Das ganze Thema ist aber eher ein europapolitisches. Die bioethische Debatte hat einen derartigen Stand erreicht, dass alle denkbaren Argumente am Tisch liegen. Jetzt geht es darum, was politisch umgesetzt wird, und da entwickelt sich ein gesamteuropäischer Trend heraus. Es zeigt sich dabei, dass die deutsche Haltung im Vergleich zu anderen ohnehin sehr restriktiv ist.

die furche: Auch Kommissionspräsident Prodi hat jüngst den "Flickenteppich" von Einzelvorschriften beklagt, der Europa daran hindere, im biotechnologischen Wettlauf Schritt zu halten. Bis 2005 soll dieser Markt immerhin auf 100 Milliarden Euro wachsen. Ist angesichts dessen ein europaweiter Konsens zu erwarten?

körtner: Nein, aber eine Grundlinie schon. Reproduktives Klonen wird niemand befürworten, das ist auch in der EU-Grundrechtscharta verboten. Es gibt auch deutliche Vorbehalte gegenüber dem therapeutischen Klonen, wobei diese eher aus der Risikoabschätzung kommen. Auch im sechsten EU-Rahmenprogramm (das für Forschungsprojekte bis 2006 insgesamt 17,5 Milliarden Euro vorsieht; Anm. d. Red.) sollen diese Forschungen nicht gefördert werden. Worüber debattiert wird, ist die Beforschung überzähliger Embryonen, und hier wird es weiter Unterschiede geben. Damit wird man gegebenenfalls leben müssen.

die furche: Sie haben der österreichischen Biopolitik "mangelnde Europareife" vorgeworfen. Warum?

körtner: Ich halte es einfach für wirklichkeitsfremd, politische Optionen zu diskutieren, die vom internationalen Rahmen absehen, in dem wir uns bewegen. Wenn man etwa in Österreich eine zu rigoristische Position einnimmt, wird das nur zu einem Forschungstourismus führen und zu einer Form der Doppelmoral. Sobald nämlich diese Forschungen zu positiven Ergebnissen kommen, werden Patienten in Österreich einen Rechtsanspruch darauf haben. Es wird auch niemand die Pässe österreichischer Wissenschafter einkassieren, wenn sie über die Grenze wollen. Wenn man etwas gestalten will, muss man auf europäischer Ebene versuchen, mitzuspielen.

die furche: Über dieser Frage scheiden sich nicht nur die politischen, sondern auch die konfessionellen Geister. Während sich der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) gegen Embryonenforschung ausgesprochen hat, haben Sie gemeinsam mit acht anderen evangelischen Theologen in der FAZ vom 23. Jänner gegen ein pauschales Forschungsverbot an embryonalen Stammzellen votiert und den "Pluralismus" als evangelisches Markenzeichen hochgehalten.

körtner: Wir wollten deutlich machen, dass die Diskussionslage innerhalb der evangelischen Kirche pluraler ist, als es sich nach außen darstellt. Im Deutschen Bundestag sitzen ja viele, die empfinden das, was von der EKD gesagt worden ist, als Bevormundung. Da versuchen Leute in einer Art von katholischer Manier anderen ins Gewissen zu reden und nehmen sie nicht ernst als Subjekte, die fähig sind, eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. Darum sagen wir: Pluralismus ist ein evangelisches Markenzeichen, weil die Mitglieder der Kirche als in ihrem Glauben verantwortliche Menschen ernst genommen werden müssen.

die furche: Sehen Sie in dieser "katholischen Manier" der EKD, klar und unisono gegen diese Forschung aufzutreten, nicht auch Vorteile?

körtner: In einer Mediengesellschaft hat man damit natürlich große Vorteile. Es geht ja um die Frage: Welche politische Einflussnahme will ich haben. Wissenschafter werden schnell unter den Generalverdacht gestellt, sie hätten irgendwelche anrüchigen Interessen. Die Kirchen haben aber auch Interessen. Wenn man also von der Instrumentalisierung der Embryonen spricht, kann man zugespitzt sagen, dass sie auch von der Gegenseite instrumentalisiert werden, weil man sehen will, wie weit der eigene Einfluss reicht. Diese Positionierung ist der Versuch einer Profilbildung der Institution Kirche in einer Medienlandschaft, wo mit einfachen Ja-Nein-Alternativen gearbeitet wird. Einfach nein sagen ist simpel. Mit einer rigoristischen Position löst man aber die Probleme nicht, denn was machen die Kirchenvertreter nach dem 30. Jänner, wenn sich der Bundestag doch für den Import von Stammzellen entscheiden sollte? Sie können zwar sagen, wir sind immer dagegen gewesen, aber damit ist das Gespräch zu Ende. Pluralismus ist eine Tatsache, die belastet, aber einfach da ist. Wenn die Kirche - und das meine ich überkonfessionell - ihre Rolle darin sieht, auf kritische Entwicklungen hinzuweisen, dann unterstütze ich das unbedingt. Aber wenn der Eindruck entsteht, das sei nur eine religiös gewendete Variante eines allgemeinen kulturellen Unbehagens und einer Technikfeindschaft, dann mache ich mir wirklich Sorgen um die Zukunft der Kirche und ihr intellektuelles Niveau.

die furche: Das Unbehagen hat auch die Politiker erfasst, die sich mit dem vermehrten Einsetzen von Bioethikkommissionen behelfen...

körtner: Eigentlich müssten wir hier über die Zukunft der repräsentativen Demokratie nachdenken. Dass es jetzt eine Ethikkommission nach der anderen gibt - ich werde ja im Moment alle paar Monate oder gar wöchentlich damit konfrontiert, dass noch eine Kommission gegründet wird -, zeigt eine prinzipielle Veränderung politischer Entscheidungsprozesse. Die Materie ist natürlich nicht nur in der Bioethik extrem komplex. Die Politiker sind also auf Expertenberatung angewiesen. Es sind aber auch die Parlamentarier damit überfordert, und so wird immer öfter nur ein gesetzlicher Rahmen geschaffen, innerhalb dessen Experten entscheiden.

die furche: Ihnen wird es also noch öfter blühen, Kommissionsarbeit zu leisten. Wird man dieser Diskussionen nicht irgendwann überdrüssig?

körtner: Ja, zweifellos. Ich frage mich oft: Welche Rolle spiele ich hier eigentlich? Es gibt nämlich auch die Gefahr, dass wir so genannte Experten in die Rolle von Pseudo-Politikern gedrängt werden. Wenn wir jetzt etwa von der Bioethik-Kommission des Kanzlers aus Gespräche mit Behindertenorganisationen führen, hat man teilweise gemeint, man müsste mit uns verhandeln. Wir sind aber keine Unterhändler - von wem auch immer. Ich will jedenfalls kein Ersatzpolitiker sein. Ein Wissenschafter sollte ein anderes Selbstverständnis haben.

die furche: Weg von der Bioethik - zurück zu Bultmann?

körtner: Nicht von der Ethik an sich, aber von der Gremienarbeit. Ich hoffe, dass es auch einmal eine Zeit gibt, wo man mich wieder aus dieser Verantwortung entlässt.

Das Gespräch führte Doris Helmberger

Zur Person: Pfarrerssohn und Workaholic

Sein Ruvre ist schon jetzt opulent: 20 Bücher, mehr als 300 Aufsätze - und bis Ende 2001 auch zahllose Kolumnen für die furche hat Ulrich H(einz) J(ürgen) Körtner bislang verfasst. Damit nicht genug, arbeitet der evangelisch-reformierte Theologe in zahlreichen Gremien mit: unter anderem in den Ethikkommissionen der Medizinischen Fakultät der Uni Wien, des AKH Wien und der Österreichischen Ärztekammer sowie in der Bioethikkommission des österreichischen Bundeskanzlers. Das Herz des 1957 in Hameln geborenen Pfarrerssohns schlägt jedoch für die Hermeneutik - vor allem für den Vater der entmythologisierenden Bibelauslegung, Rudolf Bultmann. Aufgewachsen in Enger (Nordrhein-Westfalen), studierte Körtner Evangelische Theologie in Bethel, Münster und Göttingen. 1982 folgte die Promotion, 1987 die Habilitation an der Kirchlichen Hochschule Bethel. Von 1986 bis 1990 war Körtner Gemeindepfarrer in Bielefeld, anschließend Studienleiter an der Evangelischen Akademie Iserlohn. Seit 1992 ist der verheiratete Theologe und Vater zweier erwachsener Kinder Vorstand des Instituts für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien sowie seit kurzem auch Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin. Ulrich H. J. Körtner wurde als erster Theologe zum "Wissenschafter des Jahres" gewählt. Vor ihm erhielten Hildegunde Piza (2000), Christoph Badelt (1999), Herbert Budka (1998), Heinrich Wänke und Rudolf Rieder (1997), Anton Zeilinger (1996), Stefan Karner (1995) und Georg Wick (1994) diese Auszeichnung.

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