"Ich will nach meinem Tod natürlich Verehrung“

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Der Dokumentarfilm "Knistern der Zeit“ von Sibylle Dahrendorf begleitet Christoph Schlingensief nach Afrika, wo er ein so ehrgeiziges wie wahnwitziges Projekt - sein Vermächtnis - verfolgte.

Der im August 2010 verstorbene Allroundkünstler Christoph Schlingensief hatte, als die verheerende Krebsdiagnose sein rastloses Leben zu verkürzen drohte, noch einen Traum. Er wollte sich, wie es seiner unbescheidenen und selbst-ironischen Art entsprach, ein Denkmal setzen. So galten seine letzten Energien, die er seinem von der schweren Krankheit gezeichneten Körper abrang, einem Projekt, mit dem er der Welt etwas Beständigeres, Größeres zu hinterlassen hoffte, als einige flüchtige Theateraufführungen und Filme. Vielleicht sah er darin aber auch ein Erlösungsversprechen. Auf einem Hügel nahe bei Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt, sollte ein Gesamtkunstwerk entstehen: das Operndorf Remdoogoo.

Kunst als Weltverbesserung

Vorgesehen waren neben einer Schule auch Wohnanlagen und eine Krankenstation. Die fünfzig Kinder die dort einmal die Volksschule besuchen würden, sollten aber neben dem Lesen, Schreiben und Rechnen auch Tanzen und sogar Filmen lernen. So wurde auch gleich für Künstlerateliers, ein Kino und ein Theater, das die Form eines Schneckenhauses haben sollte, geplant. Nach den Vorstellungen von Schlingensief sollte Remdoogoo ein Ort sein, wo Kunst nicht mehr vom Leben geschieden wird, sondern in ihm aufgeht - eine soziale Plastik im Beuys’schen Sinne. Denn stets war Schlingensief vom weltverbessernden Potenzial der Kunst überzeugt, träumte davon, dass Kunst nicht in den Tempeln verpufft, sondern ins Leben durchschlägt.

Trotz seiner schweren Erkrankung nahm Schlingensief gewaltige Strapazen in Kauf und reiste seit 2009 immer wieder nach Afrika. Die deutsche Dokumentarfilmerin Sibylle Dahrendorf, seit 1999 Autorin mehrere Filmbeiträge über Schlingensief, hat ihn eineinhalb Jahre mit der Kamera dorthin begleitet.

Entstanden ist ein 106 Minuten langer Film, der mit der Suche nach einem geeigneten Gelände 2009 beginnt, erste Bauphasen verfolgt und mit der Eröffnungszeremonie der Schule im Oktober 2011 durch Schlingensiefs Frau Aino Laberenz, vierzehn Monate nach Schlingensiefs Tod, endet. Der Film beginnt programmatisch mit eigenen Handyaufnahmen Schlingensiefs von sich selbst. "Jetzt bin ich gar nicht mehr zu sehen, was für ein Zeichen für die Zukunft“, scherzt er in die Kamera, weil er sie verkehrt herum hält. Tatsächlich bilden Christoph Schlingensief und seine überbordende Kreativität, sein ansteckender Enthusiasmus, seine so elektrisierende Energie das Zentrum von Dahrendorfs Film "Knistern der Zeit“. Sie bleibt Schlingensief immer dicht auf den Fersen. Durch das viele persönliche Handy-Video-material, das in den Film eingeschnitten wurde, ist der Zuschauer extrem nah dran und erlebt Schlingensief als emotionalen, facettenreichen Charakter. Man sieht ihn immer im Kreise seines Mitarbeiterstabes gestikulierend und vor Ideen sprühend, euphorisch, wenn die Steintreppe fertig ist, eher zurückhaltend, fast naiv im Gespräch mit afrikanischen Stammesführern, dann wieder überzeugend bei der Vertragsunterzeichnung mit der Regierung von Burkino Faso, zweifelnd, ob das Projekt jemals Wirklichkeit werden würde, verärgert, wenn er sich über das afrikanische Arbeitstempo beklagt, und überraschend zuversichtlich, wenn die Krankheit, eher nachdenklich, wenn der nahende Tod kurz in den Sinn kommt. Trotzdem ist der Film weder Filmbiografie noch die Geschichte einer Krankheit. Vielmehr stellt Dahrendorf das Projekt Remdoogoo in den Vordergrund und zeigt, wie eine wahnwitzige Idee langsam materielle Gestalt annimmt.

Die Töne der Stille

Nur sechs Monate nach der Grundsteinlegung verstarb Schlingensief. Dahrendorf zeigt die Lücke, die er hinterlässt, durch den Stillstand auf der Baustelle. Statt dessen weidende Ziegen auf dem Gelände, von Grün überwucherte Mauern und Treppen, stehende Pfützen, wo emsiges Treiben herrschen sollte. Die schönste Stelle ist jene, wo Schlingensief mit dem Architekten Francis Kéré in der Wildnis steht. Ganz plötzlich brechen Dunkelheit und Stille über der Savanne herein, auch der ewig bramarbasierende Schlingensief schweigt. Von der Stille wird er später sagen, es seien Töne zu hören gewesen, das Knistern der Zeit.

Knistern der Zeit

D 2012. Regie: Sibylle Dahrendorf.

Mit Christoph Schlingensief. Stadtkino. 106 Min.

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