"Ich will so nicht weiterleben"

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Mit einer guten Palliativversorgung würde auch der Wunsch nach Sterbehilfe schwinden, betont Hans Georg Kress, Schmerz- und Palliativmediziner vom AKH. Kress war Präsident des Palliativkongresses, der kürzlich in Wien stattgefunden hat.

Die Furche: Herr Professor, zuletzt hat Luxemburg als drittes europäisches Land Sterbehilfe legalisiert. Die Europäische Gesellschaft für Palliativmedizin hat sich dezidiert dagegen ausgesprochen. Warum?

Hans Georg Kress: Der Ausspruch von Patienten "Ich will lieber sterben" ist ein Hilferuf, der ausdrückt: Ich will so, also ohne Palliativbetreuung, nicht mehr weiterleben. Wenn man ihnen aber aufzeigt, dass es viele Möglichkeiten gibt, mit der todbringenden Erkrankung umzugehen, die Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität so weit als möglich zu erhalten, dann sinkt auch der Wunsch nach Sterbehilfe. Dann wollen Patienten diese Zeit auch noch nutzen, um in ihrem Leben etwas zu regeln oder etwas nachzuholen.

Die Furche: Sie haben auch auf Studien verwiesen …

Kress: In einer Studie von Dr. Michaela Werni vom Wilhelminenspital haben von 778 befragten Palliativpatienten nur zwei den Wunsch nach Sterbehilfe geäußert und dann davon Abstand genommen.

Die Furche: Eigentlich ein tröstlicher Gedanke, dass man das Leiden Schwerkranker lindern kann.

Kress: Das ist der Zweck der Palliativmedizin, dem Menschen den tröstlichen Gedanken zu vermitteln: Auch wenn du nicht mehr toll funktionierst, sondern von einer unheilbaren Krankheit gequält wirst, auch dann bist du ein wertvoller Mensch. Der Mensch wird in der letzten, schwierigsten Phase des Lebens, wenn er Angst hat, seine Würde zu verlieren, nicht im Stich gelassen. Nur wenn ein kranker Mensch Angst hat, als minderwertig betrachtet zu werden, dann will er lieber sterben. Bei der Sterbehilfe-Diskussion wird auch vergessen, welch moralischer Druck auf dem Kranken lastet.

Die Furche: Der Druck, lieber schnell zu sterben, als jemandem zur Last zu fallen …

Kress: Wenn man Sterbehilfe legalisiert, als eine Möglichkeit, die offen steht, dann wird auch ein indirekter moralischer Druck auf einen Einzelnen ausgeübt. Da muss keiner direkt sagen "Willst du nicht lieber sterben?". Man fängt selber an zu denken: Erwarten die Angehörigen das nicht von mir, da sie doch kaum mehr wissen, wie sie die Pflege bezahlen sollen?

Die Furche: Fürchten Sie, dass auch andere Staaten Sterbehilfe legalisieren könnten?

Kress: Ich denke, dass sich die Palliativbetreuung in den meisten europäischen Ländern gut durchsetzen wird. Aber ich schließe nicht aus, dass das Beispiel der Benelux-Staaten Schule machen könnte, weil es eine ökonomisch billige Lösung ist. Man braucht keine Struktur dafür, keine neuen Palliativbetten und Palliativdienste. Wenn das Kommerz- und Profitdenken zunimmt, dann werden auch andere Länder Sterbehilfe legalisieren.

Die Furche: Sie sehen die Zukunft also eher düster?

Kress: Nein, die Menschen werden sich schon besinnen und sagen: "Eigentlich muss es uns was wert sein, dass wir auch in der letzten Phase des Lebens menschenwürdig behandelt werden." (bog)

Hans Kress ist Lehrstuhlinhaber für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie an der Medizinischen Universtät Wien und leitet die Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie am AKH Wien.

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