"Ich wollte meinen Weg allein gehen"

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Es ist schwer, sich einem Komponisten in dem Bewusstsein zu nähern, ihm unrecht zu tun. Es geht nicht um die Dimension, die man jedem wirklichen Künstler schuldig bleibt, sondern um Gleichzeitigkeiten, die sich nicht erschließen. Hans Werner Henze, der am 1. Juli 80 Jahre alt wird, hat sich zeitlebens einer ideologischen Vereinnahmung verweigert. Wie die Wogen des Meeres bewegt sich seine Musiksprache durch die neuen kompositorischen Errungenschaften und wieder weit dahinter zurück.

Henze hat früh Position bezogen. Als Sohn eines konservativ eingestellten Lehrers aus Gütersloh zeigte er Interesse für Kunst und Musik und rieb sich politisch am Vater. Er nahm als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil, wurde 1945 Korrepetitor am Stadttheater Bielefeld und studierte bei Wolfgang Fortner. Henze wechselte die Theater, war in Wiesbaden Ballettdirigent und schuf 1951 sein erstes bedeutendes Bühnenwerk, "Boulevard Solitude".

Dann hatte er von allen Ideologien Deutschlands genug und übersiedelte mit all seiner Verachtung für Faschismus und Millitarismus und seinem tiefen Vertrauen in die Gegenkraft der Kunst nach Italien, wo er bis heute lebt. Henze schrieb in freier Atonalität und fand zur Tonalität zurück, er verwendete serielle und andere konstuktivistische Methoden und verwarf sie zugunsten eines schönheitstrunkenen Klangempfindens. "Ich wollte nun meinen Weg allein gehen."

Auf einer Tagung der Gruppe 47 tritt sie in sein Leben, die Seelenverwandte, eins mit ihm in sozialistischen Idealen und dem Hass auf Nazideutschland, eins auch in der Konzentration auf die Kunst als Gegenentwurf zu einem Leben, "für das man vielleicht nicht stark genug ist". Die Kärntnerin Ingeborg Bachmann und der Westfale Hans Werner Henze werden einander Lebensmenschen, mit seltsam deckungsgleichen biografischen Voraussetzungen, auch beinahe am selben Tag geboren: sie am 25. Juni, er am 1. Juli 1926. Er hilft ihr über den Bruch ihrer Beziehung mit Max Frisch hinweg, sie korrespondieren, sie arbeiten miteinander. Es ist ein "Pakt gegen die bedrohlich dumme Welt, gegen die Angst". Gemeinsam entstehen die Oper "Der Prinz von Homburg" (1958) nach Heinrich von Kleist und "Der junge Lord" (1964) nach Wilhelm Hauff sowie die "Nachtstücke und Arien" (1957) und die "Chorfantasie (1964).

Henzes Teilnahme an den politisch heftigen 1960er Jahren und sein Rückzug in die "bessere Welt" spiegeln sich in der Wellenbewegung seines Ruvres, das Lieder, Opern ("König Hirsch", "Die Bassariden"), Ballette, Musik für Schauspiel, Hörspiel und Film, Symphonien, Konzerte und Kammermusik umfasst. Er gründet das Festival von Montepulciano, die Mürztaler Musikwerkstätten, die Münchner Biennale.

Die Oper "L'Upupa", 2003 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, ist ein Märchen aus einer anderen ästhetischen Welt. Henze drückt das so aus: "Es gilt für uns Kreative, die Sehnsucht des Menschen nach Frieden, nach Stille und Harmonie zu stellen - oder doch wenigstens zu verstehen - und zu versuchen, diese Sehnsucht so edel und so rein im Kunstwerk zurückzugeben, wie man es nur vermag." Neue Avantgarde oder hoffnungslos rückgewandt? Henzes Musik entscheidet sich nicht mehr zwischen Fortschritt und Tradition.

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