Erwin Wagner arbeitet am Institut für Molekulare Pathologie in Wien - und forscht in Österreich wahrscheinlich als Einziger an humanen embryonalen Stammzellen.
Die Furche: Herr Professor Wagner, Sie arbeiten mit humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen). Wozu?
Erwin Wagner: Seit Mitte der 1980er Jahre forsche ich an embryonalen Stammzellen der Maus. Dort kennen wir zahlreiche Gene - etwa jene, die aus einer pluripotenten Zelle eine Knorpelzelle werden lassen. Irgendwann muss ich mich doch als Wissenschafter fragen: Sind die Mechanismen beim Menschen ähnlich?
Die Furche: Mäuse und Menschen haben zu 96 Prozent die gleichen Gene. Die Unterschiede dürften folglich nicht allzu groß sein …
Wagner: Das könnte man meinen. Tatsächlich wissen wir aber auch, dass die Umwandlung einer normalen Zelle in eine Tumorzelle beim Menschen ganz anders verläuft als bei der Maus. Deshalb ist es ein logischer Schritt mit menschlichen Zellen zu experimentieren.
Die Furche: Im November 2006 haben Sie erstmals hES-Zellen importiert. Diese Einfuhr ist zwar nicht explizit verboten, aber die Arbeit mit hES-Zellen fällt in Österreich in einen legistischen Graubereich. Hatten Sie keine Angst, etwas Unrechtes zu tun?
Wagner: Ich wollte nichts Illegales machen und habe mich deshalb von Ethikern und Juristen beraten lassen. Sie haben mir bestätigt, dass ich gesetzeskonform handle. Auch habe ich mein Tun nie verheimlicht. Am Institut wussten viele, was ich vorhabe. Darüber aufgeregt hat sich niemand.
Die Furche: Seit Kurzem sind die induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) in aller Munde. Diese ethisch unbedenklichen Zellen sollen ähnliche Eigenschaften wie die ES-Zellen haben. Könnte man Ihre Experimente mit iPS-Zellen machen?
Wagner: Natürlich. Alles, was man zur Herstellung von iPS-Zellen braucht, sind vier Viren, um die Gene einzuschleusen. Das ist methodisch recht einfach. Ja, das lernt heute jeder Student der Molekularbiologie.
Die Furche: Bedeutet das, dass die iPS-Zellen die ES-Zellen ersetzen können?
Wagner: Genau das ist die große Frage. Aus ES-Zellen etwa Knorpelzellen oder Hautzellen machen, das können wir schon sehr gut. Wenn ich nun an den iPS-Zellen die gleichen Modifikationen vornehme, kriege ich dann auch das gleiche Ergebnis? Wer weiß, vielleicht sind die iPS-Zellen für bestimmte Dinge sogar besser. Doch die definitive Antwort können nur gezielte Vergleiche liefern. Prinzipiell könnte man hierfür auch embryonale Mauszellen heranziehen, ich halte aber den direkten Vergleich mit humanen Zellen für sinnvoller. Viele Forscher denken da wie ich - und plädieren dafür, dass vorerst weiterhin an den ES-Zellen geforscht wird.
Die Furche: Das Fachmagazin "Science" verkündete unlängst den Tod des therapeutischen Klonen. Demnach werden ES-Zellen wohl nie zu Therapiezwecken verwendet werden.
Wagner: Ich kenne den Artikel und stimme zu. Auf längere Sicht - und das betont auch der Autor des Aufsatzes - werden wir mit den iPS-Zellen wohl all das tun können, was wir mit ES-Zellen tun können. Auch andere Probleme, die uns die iPS-Zellen derzeit bereiten, werden wir lösen. Ich bin etwa überzeugt, dass wir schon in einem halben Jahr iPS-Zellen ohne das Einschleusen von Viren erhalten können. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung therapeutische Anwendung.
Die Furche: Wann kommt diese Therapie? Shinya Yamanaka, der Entdecker der iPS-Zellen, meinte unlängst in einem Standard-Interview: "Das wird wohl eine Utopie bleiben."
Wagner: Vielleicht ist das auch eine Art Zweckpessimismus, um keine verfrühten Hoffnungen entstehen zu lassen. Mit der Gentherapie war es ja genau umgekehrt: Man hatte hohe Erwartungen geschürt - und die Enttäuschung war dann umso herber. Ich würde die Möglichkeit einer Therapie nicht ausschließen, glaube aber auch, dass es noch eine gute Weile dauern wird: Vielleicht noch zehn Jahre.
Die Furche: Der Humangenetiker Markus Hengstschläger, der selbst an adulten Stammzellen forscht, ist ebenfalls skeptisch bezüglich eines therapeutischen Einsatzes. Er meint, dass bei der Verwendung von den mächtigeren (nicht adulten) Stammzellen zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich Tumore bilden.
Wagner: Das ist ein Risiko, keine Frage. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass sich auch dieses Problem beheben lässt. Aus meiner Arbeit mit embryonalen Mauszellen weiß ich, dass sich dort das Tumor-Potenzial bereits sehr gut kontrollieren lässt. Auch gilt es zu bedenken, dass wir bei ernsthaften Krankheiten oft mögliche schwere Nebenwirkungen in Kauf nehmen - wenn wir denn nur ein paar Monate länger leben können.
Die Furche: Es heißt: Sie wandern bald nach Spanien aus …
Wagner: Das steht in keinem Zusammenhang mit meiner hiesigen Forschung an den ES-Zellen. Trotzdem wünsche ich mir, dass Österreich forschungsfreundlicher wird.
Das Gespräch führte Thomas Mündle.