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Sowjetische Unterwäsche als Gobelin des Lebens: ein Stück Alltags- und Körpergeschichte.

Am Anfang ein Schock: In einer Vitrine aufgespannt ein Liebestöter aus grobem Stoff, im Zwickel mit einem alten rot-weißen Handtuch (?) ausgebessert. Nicht zum erstenmal. Der Flicken ist auf einen früheren, himmelblauen, aufgenäht. Mit diesem "Gobelin des Lebens" verursachte der Künstler Alexandr Petljura in St. Petersburg, wo die Ausstellung "Körpergedächtnis. Unterwäsche einer sowjetischen Epoche" zuerst gezeigt wurde, einen Skandal. Zu tief sitzt noch die Scham in den Menschen über Jahrzehnte der Armut, der zerstörten Ideale, des Mangels, der Hässlichkeit.

Scham der Hässlichkeit

Das Staatliche Museum der Geschichte St. Petersburgs bietet jetzt österreichischen Besuchern Einblick in einen Grenzbereich zwischen Persönlichkeit und Gesellschaft in der einstigen Sowjetunion. 1917: Der neue Sowjetmensch sollte auch "unten drunter" der Raffinesse abschwören. Die Unterwäsche wurde "ehrlich", geschlechtsneutral, jeder feinen Sinnlichkeit beraubt, streng asketisch. Das Modell lieferte die Sportwäsche. Damen, die nicht nur warm angezogen sein wollten, trugen ihre vorrevolutionären Mitgift-Dessous bis in die fünfziger Jahre. Für die Herren veränderte sich der Schnitt und die Nesselwebart von Trikots und Leibchen bis 1991 überhaupt nicht. Werbung und Mode im westlichen Sinn waren verpönt, die Größenauswahl blieb auf ein Minimum beschränkt. Obwohl jeder vom andern wusste, was er auf dem Leib trug, trieb die Scham groteske Blüten: In der Wiener Ausstellung verraten Texte, dass junge Frauen lieber ihre Unschuld behielten als sich ihrer grauenvollen Schlüpfer zu entledigen. Erst wenn eine Freundin mit einem im Ausland gekauften Spitzenslip aushalf, gab es ein Ausziehen und ...

Keusch wegen der Wäsche

In den Vorkriegs- und Kriegsjahren lief in der sowjetischen Textilproduktion alles "für die Front". Doch als in der Zeit nach dem Krieg der weibliche Bevölkerungsanteil eklatant größer war als der männliche, stellte sich auch die staatliche gelenkte Produktion um. Die Sensation: Nylonstrümpfe! Unterhosen mit durchgezogenem Gummiband statt Knopfverschluss! Badeanzüge! Farben: Pfirsich und Maihimmel, Flieder, ja sogar Rot und Schwarz! Und für die Männer Pyjamas, in denen man am Kurort im Freien spazierte ...

Der dritte Teil dieser herzzerreißenden und gleichzeitig die Lachmuskeln kitzelnden Schau wendet sich der jüngsten Vergangenheit zu: von der Mitte der sechziger Jahre bis 1991. Weibliche Neugier gierte nach ausländischen Modemagazinen, während der Alltag mühsames Suchen nach Mangelwaren bedeutete. Spekulanten schmuggelten tschechische Strumpfhosen und Unterkleider mit harten Nylonspitzen aus der DDR ins Land. Wer sich solchen Luxus nicht leisten konnte, nähte an gewöhnliche Unterhosen Strümpfe an oder, noch findiger, ließ die Hälfte der Maschen bei Kinderstrumpfhosen fallen, um sie so zu verlängern. Das Nähgeschick sowjetischer Frauen kannte keine Grenzen: Gab es einmal seidene Unterhosen, schneiderten sie sich daraus elegante Blusen, von deren Herkunft jeder wusste. Sie bestickten die Einheits-Büstenhalter mit Blümchen, verzierten sie mit Borten. Anilinfarbstoff ermöglichte die Verwandlung von Herrenjacken in Damenpullover. Am Ende fand jedes Stück seine letzte Verwendung als Putzlappen, Teppich, Waschlappen, Apfelnetz.

Mangel hautnah

Freilich: Für die Ehefrauen der Parteibonzen nähten Moskauer Maßschneidereien.

Arbeiten junger russischer Künstler beschließen die Ausstellung: Objekte, Fotografien, Reflexionen über eine Ideologie, die bis in den Intimbereich der Menschen eingriff.

Körpergedächtnis

Unterwäsche einer sowjetischen Epoche

Österreichisches Museum für Volkskunde, 1080 Wien, Laudongasse 15-19 Bis 3. 8., Di-So 10-17 Uhr

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