Ideologische Brandstifter

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"Der kommende Aufstand“, ein Pamphlet eines anonymen Autorenkollektivs, hat die Gemüter erregt. Nicht zuletzt spiegelt sich darin der Überdruss an überkommener Politik wider.

Allerorten breitet sich eine zunehmende Unzufriedenheit an der repräsentativen Demokratie aus. Beispiele finden sich zuhauf. Man nehme nur die Tea-Party-Bewegung in den USA, den bürgerlich angehauchten Protest gegen das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21“, Krawalle in französischen Vorstädten, das Aufkommen einer sogenannten "Wutbürger-Bewegung“ oder offen terroristische Gruppierungen wie die griechischen Briefbomber.

Keine Frage - oft kann man sich nur mit einem gewissen Desinteresse abwenden von dem endlosen Palaver in unseren Talkshows und Parlamenten. Daher greift man zunächst durchaus mit Vergnügen zu dem Pamphlet "Der kommende Aufstand“ eines "Unsichtbaren Komitees“, das in den Feuilletons starken Widerhall gefunden hat. Das Positive vorweg: Das Manifest lässt einen nicht kalt. Dies ist schon einmal der erste Unterschied zu den beliebig gewordenen Programmen unserer Parteien, in denen alles und nichts steht.

"Der kommende Aufstand“ ist ein politischer Essay, der 2007 unter dem Titel "L’insurrection qui vient“ in französischer Sprache erschienen ist und zumal über das Internet große Verbreitung fand. Die anonymen Autoren sehen in den Unruhen, Demonstrationen und Aufstände der vergangenen Jahre untrügliche Zeichen für einen baldigen Zusammenbruch der westlichen Demokratien. Dies ist der rechte Stoff insbesondere auch für unsere bürgerlichen Feuilletons, die ohne gewisse Erregungsschübe nicht auszukommen scheinen. Zumindest lässt der Blick auf die heftige deutsche Debatte des Textes diesen Schluss zu.

Imaginäres neoliberales Joch

Der durchaus mit Schwung verfasste Text ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Die Verfasser von "Der kommende Aufstand“ leiden an ihrer Zeit, sie wenden sich gegen gesellschaftliche Zwänge, geben ihrem blanken Hass auf den Staat und seine Organe wie die Polizei ungeniert Ausdruck, lehnen die Arbeit in ihrer jetzigen Form als Sklaverei ab, ächzen unter einem imaginären neoliberalen Joch und sympathisieren offen mit den jugendlichen Brandstiftern aus den französischen Vorstädten.

Bei der linken tageszeitung kommt diese Revolution mit Melancholie offenbar nicht gut an. "Das Buch ist der aktuellste Versuch, ultralinker Politik ein glamouröses Antlitz zu verpassen. Situationismus, Autonomen-Anarchismus und Punkpoesie werden darin zu einem knackig formulierten Pamphlet gemixt“, so Aram Linzel in der taz. Mit ihren Grobschnitzereien bedienten die Autoren nur das grassierende Ressentiment gegen die repräsentative Demokratie.

"Aufstand des Infantilismus“

Feuilletonisten mögen sich an dem Rausch der Worte erfreuen, und bei einer Flasche Wein kann man sich an dem Text auch sehr wohl delektieren. Danach hat man allerdings einen schweren Kopf, und das liegt nicht am Rebensaft. Denn im Kern entpuppt sich das pseudogefährliche Geschreibsel, dessen Autoren wie die Autonomen auf den Straßen den Mut vermissen lassen, mit Namen und Gesicht für eine Meinung einzustehen, als ein "Aufstand des Infantilismus“. Dieses schmale Buch ist der feuchte Traum philosophierender Linker, die sich an ihren Gewalt- und Allmachtsfantasien ergötzen. Jürgen Kaube hat in der Frankfurter Allgemeinen daher zu Recht von jugendlichen Indianerspielen geschrieben. Es handle sich nicht um Theorie, sondern um Jugendliteratur. Das Buch sei weder rechts noch links, sondern nur Ausdruck jugendlicher Empörung. "Seinen intellektuellen Preis zahlt dieser aggressiv-romantische Traktat, der seinen Hass genießt, aber auch. Dort, wo er nicht sieht, dass es die Kommunen, die er herbeisabotieren möchte, schon gibt: mit zerstörtem Staat, abwesender Rechtsdurchsetzung, ausgehebelter Infrastruktur, von Aufständen, geschleiften Städten und lokalen Gemeinschaften, die davon leben, dass andernorts Strom erzeugt wird. In Somalia oder Mexiko“, so Kaube zutreffend.

Diese Zusammenhänge interessieren unsere ideologischen Brandstifter freilich wenig, die sich am Vorbild der Brände vom November 2005 in Frankreich ergötzen. Sie sind fest davon überzeugt, dass auf den Zusammenbruch des sozialistischen Blocks auch der Zerfall der kapitalistischen Welt folgen muss, die man gerne in Brand stecken möchte. Aber nicht nur den Polizisten und Politikern, den Bankern und Börsenmenschen wollen die Aufständischen an den Kragen, auch der grünen Schickeria können sie nichts mehr abgewinnen. Und manche Beschreibung dieser alternativen Szene, die sich ihr grünes Gewissen auf dem Bio-Markt kauft, liest man durchaus mit Vergnügen: "Ein Grafik-Designer im handgemachten Pullover trinkt auf der Terrasse eines Ethno-Cafés unter Freunden einen Frucht-Cocktail. Man ist redegewandt, herzlich, man macht kleine Späße, man macht nicht zu viel Lärm und ist auch nicht zu still, man schaut sich mit einem Lächeln an, etwas selbstgefällig: man ist so zivilisiert.“ Die Weltanschauung der grünen Gutmenschen rüttelt nach Ansicht der Schreiber nicht an der Vorherrschaft des Kapitalismus. Die gutverdienende Ökofraktion wolle nur einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz und eine Gesellschaft, in der sie den Ton angibt und den Diskurs bestimmt.

Solche Töne kommen bei der linken Publizistik in Deutschland nicht gut an. Die Zeitung Jungle World kritisiert, das Pamphlet strotze nur so vor deutscher Ideologie. Der Text sei eine Art Reimport: "Er schuldet vieles nationalsozialistisch gefärbten Theoretikern, die von der postmodernen Linken immer noch zu unkritisch rezipiert werden: Martin Heidegger und eben Carl Schmitt, dem Kronjuristen des Dritten Reiches.“ Die Autoren kämpften nicht etwa für linke Ideen wie soziale Gerechtigkeit, Demokratisierung der Technik und Menschenrechte, sondern gegen die Moderne als Ganzes.

Bei aller Kritik an dem Buch - manche Stiche gegen den Westen treffen durchaus ins Schwarze. Die Autoren wenden sich gegen den - wie sie es nennen - abendländischen Imperialismus, der nichts weiter sei als ein Relativismus der "Sichtweise“. Keine soziale Ordnung könne dauerhaft auf dem Prinzip aufbauen, dass nichts wahr sei. Aber gerade diese Kultur des Relativismus sei in vielen westlichen Ländern auf dem Vormarsch. Haben unsere intellektuellen Brandbombenwerfer etwa eine gar nicht so stille Sehnsucht nach einer Leitkultur?

Große Revolte als mickriger Betrug

In dem Kapitel, in dem die Autoren darüber berichten, wie sich die Kommunen organisieren sollen, entpuppen sie sich vollends als asoziale Schmarotzer. Sozialbetrug in großem Stil beim Kindergeld, beim Krankfeiern, beim Erschwindeln von Prämien für fiktive Geburten und beim Einheimsen von mehrfachen Stipendien wird als revolutionäre Tat gepriesen. Die große Revolte als mickriger Betrug am Sozialstaat. Besser könnten es unsere Boni-Banker auch nicht formulieren. Vollends unangenehm wird es auf den letzten Seiten des Pamphlets: Die Möchtegern-Militanten plädieren für eine Kultur der Gewalt und des Hinterhalts, sie klatschen Beifall, wenn Leib und Leben von Polizisten bedroht wird usw.

Wenn dann am Ende alle Macht auf die Kommunen übergegangen sein wird, ist kein Platz mehr für Schreibtischtäter und Gehirnakrobaten. Dann regieren mafiöse Muskelmänner, die weder Polizei noch Militär in Schach halten können. Letztlich ist eine solche Gesellschaft die Hölle auf Erden. Oder wer möchte sich schon gern von dem Mob aus den französischen Vorstädten regieren lassen? Sind Raub, Mord und Vergewaltigung wirklich so reizvoll, dass man diese Verbrechen pseudophilosophisch verbrämen sollte? "Der kommende Aufstand“ ist unterhaltsam zu lesen, doch diese Schrift leistet keinen ernsthaften Beitrag zur politischen Diskussion in unserer Zeit.

Der kommende Aufstand

Unsichtbares Komitee

Aus dem Französischen von Elmar Schmeda, Nautilus Verlag, Hamburg 2010

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