Im Anfang war das Wort

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Die traditionelle religiöse Sprache hat sich weitgehend von der Lebenswirklichkeit entfernt. Plädoyer für ein neues, aber keineswegs billiges Reden von und zu Gott.

Ich stamme aus einer weitgehend nicht-christlichen Gegend in Norddeutschland. In Begegnungen mit Menschen, denen der Glaube fremd ist, aber auch mit jungen Leuten, mit denen ich in meiner Arbeit als Seelsorgerin Kontakt habe, mache ich immer wieder die Erfahrung, dass es in diesen Gesprächen wirklich zur Sache geht. Ich werde nicht primär nach innerkirchlichen Streitthemen gefragt, sondern: "Wozu seid ihr als Christen eigentlich gut?“ Oder: "Was meinst du, wenn du sagt: Du glaubst an Gott?“ Und das wäre unser Auftrag: So von Gott zu reden, dass Menschen ihr Leben im Licht einer frohen Botschaft sehen und der Güte Gottes trauen lernen. Doch oft fehlen mir die Worte: Wie kann ich einem nicht-religiösen Menschen sagen, wer "Gott“ ist? Wenn ich erklären soll, was Beten, Himmel oder Auferstehung ist, verschlägt es mir manchmal die Sprache. Doch ohne Sprache können wir unseren Glauben nicht leben. Das Menschsein selbst beginnt mit der Sprache.

Im Anfang war das Wort

Ein Blick auf die Evolutionsgeschichte zeigt, dass mit der Menschwerdung die Entwicklung der menschlichen Sprache einhergeht. Verschiedene Wissenschaften versuchen, den Ursprung der Sprache zu erhellen und kommen zu faszinierenden Folgerungen. Die Neurobiologin und Anthropologin Dean Falk beobachtet, dass sich im Unterschied zum Affenbaby das Menschenbaby nicht an der Mutter festklammern kann. Daher muss die Mutter bei der Nahrungssuche das Kind auf den Boden legen. Hier kommt es zu einer Urangst - nämlich zur zeitweiligen Trennung von Mutter und Kind. Dean Falk vermutet, dass in diesem Trauma der Ursprung der Sprache zu suchen ist. Denn das Kind reagiert auf diesen Trennungsschmerz mit Winseln oder Schreien. Die Mutter baut umgekehrt den Kontakt zum Kind auf, indem sie ebenfalls mit Lauten antwortet. Es kommt zu einem Hin und Her von Klängen, eine Vorform der Kommunikation und gegenseitigen Beruhigung. Entstehungsgeschichtlich scheint die früheste Sprache also eine Art Geborgenheitsersatz für den fehlenden Körperkontakt zu sein. Sprache dient dazu, über einen trennenden Abstand hinweg Nähe, Bindung und Geborgenheit zu stiften.

Der Mensch hat nicht nur eine Sprache für die zwischenmenschliche Kommunikation gefunden, sondern auch für die Kommunikation mit dem von ihm "getrennten“ Gott: die Sprache des Gebets, die Sprache der Sehnsucht nach Trost und Gerechtigkeit. Es ist bezeichnend, dass das Johannesevangelium mit einer Meditation über das göttliche Wort beginnt. So wie die ersten Worte zwischen Mutter und Kind den Abstand überbrücken, so stiftet Jesus Christus als das Wort Gottes eine einzigartige Nähe zwischen Gott und den Menschen. Er ist der Brückenbauer, der Pontifex maximus, der eine Brücke schlägt zwischen Gott und uns. Dieser Brücke zwischen Gott und Mensch haben Verkündigung und Liturgie zu dienen.

Doch hier beginnen die Schwierigkeiten. Wenn ich Freunde, denen der Glaube fremd ist, in einen Gottesdienst mitnehme, komme ich häufig in Verlegenheit. Denn dann fällt mir besonders stark auf, wie fremd und unverständlich manche Gebete und Predigten klingen. So fragte mich jemand nach einem Allerheiligengottesdienst, in dem vom "Verdienst der Heiligen“ gesprochen worden ist, welche Gehaltsstufe Heilige denn haben...

Die traditionelle religiöse Sprache hat sich weitgehend von der Lebenswirklichkeit entfernt. Religiöse Bilder entstammen Sprachwelten, die längst versunken sind. Wir reden von Gott als König oder als gnädigem Richter. Aber ist das noch unsere Welt? Wie können wir in Begriffen von Gott reden, die unserer Gesellschaft entsprechen? Leider muss man feststellen, dass die Sprache in Kirche und Theologie oft übertrieben feierlich und altbacken wirkt. Der Theologe Fridolin Stier sagte einmal: "Schwulstig ist diese Sprache, auch wirklich an Geschwülsten leidend, bräuchte sie das Skalpell des Sprachchirurgen.“ Der ursprüngliche Sinn von Sprache war, Nähe und Vertrautheit zu schaffen. So benötigen wir auch eine religiöse Sprache, die nicht befremdet, sondern die ansprechend und verständlich ist.

Die religiöse Rede

Jesus hat es verstanden, die Botschaft von Gottes neuer Welt in einer sehr einfachen Sprache zu verkünden. Seine Gleichnisse und Bilder nahmen die konkreten Lebenserfahrungen seiner Mitmenschen auf. Zugleich war seine Sprache anspruchsvoll. Die überlieferten Reden Jesu kennen keine billigen Phrasen. Jesus verkündigte Gott einerseits in einfachen Bildern, zugleich kann man spüren, mit welchem Respekt er die Größe und Unbegreiflichkeit Gottes betont.

Unsere Verkündigung kann daran Maß nehmen: Wir brauchen eine alltagsnahe, lebensgesättigte Sprache. Nur eine ganzheitliche Sprache, die nicht allein die Vernunft, sondern auch Emotionen und Gemüt anspricht, kann berühren und innere Verwandlungen in Gang setzen. Bildreiches Sprechen öffnet bei den Hörern Raum für eigene Erfahrungen. Darauf käme es an!

Nur eine Sprache, die sich in den Lebens- und Sprachwelten der Menschen von heute bewegt, kann heute verstanden werden. Daher halte ich es für falsch, wenn die religiöse Sprache zur Angelegenheit von Spezialisten gemacht wird. Die Sprache in Verkündigung und Liturgie müsste wesentlich von Laien geprägt werden, die mitdenken und mitfühlen. Von Frauen und Männern, die ihre Glücksmomente und Nöte und ihre religiösen Erfahrungen in ihren Worten zum Ausdruck bringen. Die spirituelle Sprache würde dadurch lebendiger werden, das vielfältige Wirken Gottes käme mehr zur Sprache.

Auf das Geheimnis verweisen

Andererseits dürfen wir nicht billig und leichtfertig von Gott und zu Gott reden. Denn Gott ist unaussprechlich. Religiöse Sprache muss daher auf das Geheimnis verweisen. Dieses wird aber nicht dadurch gewahrt, dass man sich verschleiert, unverständlich oder mysteriös ausdrückt. Die Achtung vor der Unbegreiflichkeit Gottes lässt sich vielmehr daran merken, dass jemand nichts bloß Angelesenes oder nur auswendig Gelerntes aufsagt, sondern aus eigener "Gottes-Erfahrung“ spricht. Wer aus dem Gebet lebt, wer sein ganzes Leben mit all seinem Licht und Schatten mit Gott in Beziehung bringt, der oder die kann auch glaubwürdig von Gott reden. Wer in Gott "daheim“ ist, findet auch Worte für Gottes "Geheimnis“. Im Deutschen ist der Zusammenhang von "Geheimnis“ und "Heim“ oder "Heimat“ offenkundig: Das Geheimnis ist die Fülle dessen, in dem wir daheim sind. Im Glauben geht es darum, heimisch zu werden in der Güte und Wahrheit Gottes, wie Jesus unsere Heimat in Gott zu finden und daraus zu leben. So wird der ursprüngliche Sinn von Sprache auch im religiösen Leben gewahrt: Die Sprache will Vertrautheit und Nähe schaffen. Sie will Brücke sein von Mensch zu Mensch - und zwischen Mensch und Gott.

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