Im Angesicht des Krieges

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„The Hurt Locker“ – der große Oscar-Gewinner 2010. Regisseurin Kathryn Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal über ihren Irakkriegsfilm.

Mit dem Irakkriegsfilm „The Hurt Locker“ gewannen Regisseurin Kathryn Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal einen Oscar. Die FURCHE traf die beiden zum Doppelinterview.

Die Furche: Frau Bigelow, Herr Boal, Kritiker meinten über „The Hurt Locker“, man wäre sich nicht sicher, ob es nun ein Pro- oder ein Anti-Kriegsfilm ist.

Mark Boal: Es ist sicher kein Pro-Kriegsfilm. Wer diesen Film als „pro“ versteht, hat ein paar Gehirnzellen zu wenig. Ganz deutlich zeigt dieser Film die Sinnlosigkeit des Krieges, den Horror, die Unmöglichkeit des amerikanischen Traums, Leben zu retten. Auch der Held in „The Hurt Locker“ rettet kein Leben. Vielleicht ist das Publikum und auch die Filmkritik etwas zu sehr darauf konditioniert, nur dann Antikriegsfilme zu erkennen, wenn sie aus polemischen Botschaften bestehen, wo ein Soldat aufsteht und ruft: „Ich hasse diesen Krieg, ich hasse diesen Präsidenten!“ Wir wollten nie polemisch sein, man geht nicht ins Kino, um sich belehren zu lassen.

Die Furche: Sie zeigen eine Hauptfigur, die immer wieder zurück in den Krieg geht, und das freiwillig.

Kathryn Bigelow: Der Film beginnt mit dem Zitat „Der Krieg ist eine mächtige und tödliche Droge“ des Pulitzer-Preis-Gewinners Chris Hedges. Mein Film basiert auf Hedges’ These „Der Krieg ist eine Macht, die uns Sinn gibt“. Er spricht darin über psychologische Muster, die einen Menschen in die Struktur eines Krieges hinziehen können und ihn die Kriegssituation, die Todesnähe, den Adrenalinrausch, den Machtgedanken suchen lassen. Umgekehrt bestimmen Kriegssituationen, wie zehn-, zwölfmal am Tag knapp dem Tod zu entrinnen, auch die psychologische Struktur eines Menschen. So etwas kann eine Person für immer verändern. Unsere Hauptfigur ist in gewisser Weise ein beschädigter, fehlerhafter Held, der daheim nicht einmal in der Lage ist, in einem Supermarkt Cornflakes zu kaufen.

Boal: Man wiederholt hier die Vietnamkriegs-Kritik, nämlich, dass unschuldige Burschen in Kriegsverbrecher verwandelt werden. Diese Kritik war damals gerechtfertigt, aber sie wird unpassenderweise auch auf den Irakkrieg angewendet. Denn diese Burschen sind nicht im selben Sinne unschuldig. Die Soldaten im Irak sind dort, weil sie sich dafür gemeldet haben. Die Öffentlichkeit realisiert nicht, dass man nun eine Freiwilligen-Armee hat, wo die Soldaten sogar enttäuscht sind, wenn sie der Army beitreten und dann keinen Krieg „mitmachen dürfen“. Warum wählen sie diesen Weg? Natürlich: Sie sind patriotisch und das ist ein gut bezahlter Job. Aber sie entscheiden sich dafür, weil Krieg anziehend und aufregend ist. Wir versagen als kritikfähige Gesellschaft, weil wir nicht sehen, dass ein Teil des Krieges für viele pure Faszination und Spaß ist. Die Army macht heute Rekrutierungswerbung in TV-Spots, auf die viele anspringen. Es gibt im Film eine Szene, in der ein Psychologe einen Soldaten fragt: „Wie fühlen Sie sich?“, und er antwortet: „Es fühlt sich nicht so an wie in der Werbung.“

Bigelow: Dazu kommt, dass dieser Krieg in den US-Medien auch vernachlässigt und nicht ausgewogen dargestellt wurde. Es war mir mit dem Film sehr wichtig, ein reales, authentisches Bild dieser Soldaten zu zeigen. Vor Kurzem las ich in einer Zeitung, dass mehr als 4000 Soldaten gefallen sind, aber nur von einem halben Dutzend je medial berichtet wurde. Wir haben fast keine Informationen über diesen Krieg im eigenen Land.

Die Furche: Abgesehen vom „Spaß“ im Krieg – wollen viele von den Soldaten nicht auch typische Helden werden?

Bigelow: Mit dieser Masche wird ihnen die Army schmackhaft gemacht.

Boal: In keinem anderen Job bekommt man schon mit neunzehn die Verantwortung, täglich über Menschenleben zu bestimmen. So kann man die Bodenhaftung verlieren. Ich habe als „Embedded Journalist“ viele dieser Szenen im Film selbst miterlebt. Aber die sieht man eben nicht auf CNN. Wir wollten die Psychologie jener Menschen herausstreichen, die so ein Leben freiwillig wählen.

Die Furche: Warum haben Darsteller wie Keanu Reeves oder Ralph Fiennes nur sehr kleine Rollen?

Bigelow: Mich inspirieren neue Gesichter sehr. Sonst weiß das Publikum ja relativ schnell, wer überleben und wer sterben wird. Tom Cruise etwa ist ein Garant dafür, dass in seiner Szene sicher keine Bombe unter ihm explodieren wird. Mit unbekannten Darstellern zieht man dem Publikum den Teppich unter den Füßen weg und das Spiel ist eröffnet: Alles kann passieren. Besonders in diesem Film war es wichtig, eine destabilisierte psychologische Atmosphäre zu kreieren, weil im Irak wirklich alles eine potenzielle Bedrohung ist, von einem Kassettenrekorder bis zu einem Plastiksackerl im Wind.

Die Furche: Worin sahen Sie die Herausforderung, mit diesem Film anders zu sein als die übrigen Filme über den Irakkrieg?

Bigelow: Darin, den Leuten etwas zu zeigen, das sie noch nicht wussten.

Boal: Das Publikum ist sehr vertraut mit den Mechanismen eines Kriegsfilms, aber nicht mit den Mechanismen des Krieges. Hier zeigen wir, was Krieg auch ist: den ganzen Tag in sengender Hitze herumgehen und Bomben suchen.

Bigelow: Und wir hatten unser Credo, immer absolut authentisch zu sein. Alle Arabisch sprechenden Menschen im Film sind Iraker. Viele Irakkriegsfilme werden ja in Nordafrika gedreht. Bei einem Treffen mit der königlichen Familie Jordaniens fragte mich eine Prinzessin: „Warum zeigen Amerikaner in Filmen über den Irak immer Nordafrikaner?“ Das wäre, als würde man Afro-Amerikaner nur von Weißen mit schwarz angemalten Gesichtern spielen lassen. Was für eine Beleidigung! Spätestens da realisierte ich die Verantwortung, auch diese Menschen authentisch darzustellen.

Die Furche: Denken Sie, Ihr Film könnte jemanden davon abhalten, in den Krieg zu gehen?

Boal: Kein Film kann das. Alle die klassischen Antikriegsfilme wie Oliver Stones „Platoon“ (1986) wurden jungen Soldaten oft gezeigt, um sie für einen Einsatz zu motivieren. Wenn ein 19-Jähriger denkt, dass es cool ist, rauszugehen und Leute zu erschießen, dann ändert kein Film der Welt etwas daran.

* Das Gespräch führten Matthias Greuling und Alexandra Zawia

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