Im barocken Mozartkugel-Welttheater

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Der Salzburger Literaturkritiker und FURCHE-Autor Anton Thuswaldner erklärt die Geschichte seiner Stadt als die der Anziehung und Abstoßung vom Barock - inklusive Aufklärung im Bonsai-Format; zu lesen auch als Anleitung zum Herausschälen von Stadtkernen.

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Der Salzburger Literaturkritiker und FURCHE-Autor Anton Thuswaldner erklärt die Geschichte seiner Stadt als die der Anziehung und Abstoßung vom Barock - inklusive Aufklärung im Bonsai-Format; zu lesen auch als Anleitung zum Herausschälen von Stadtkernen.

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Im Anfang war der Barock, und der Barock war in Salzburg, und der Barock war Salzburg. Alles ist durch den Barock geworden, und ohne Barock wurde in Salzburg nichts, was geworden ist. - Vor die Aufgabe gestellt, Anton Thuswaldners Essay "Mit dem Barock fängt alles an. Warum Salzburg ist, wie es ist" zu rezensieren, hätte der Evangelist Johannes wahrscheinlich erneut auf sein bewährtes Prolog-Muster zurückgegriffen. Und wäre damit goldrichtig gelegen. Denn die Salzburger Form bestimmt Salzburgs Inhalt, lautet Thuswaldners Kerngedanke, um den er sein Nachdenken über die Salzachstadt kreisen lässt. "Architektur steht nie nur für sich im Raum", führt Thuswaldner seine These aus, "sie macht etwas mit den Menschen, mit den Besuchern, die sich eine Zeitlang einlassen auf den Prachtfaktor Barock, und mit den Bewohnern, die mit dem kulturellen Erbe als Machtfaktor leben."

Was aber ist dieses "Etwas", dass das barocke Salzburg mit seinen Besuchern und Bewohnern macht? Was die Salzburger sind, sind sie wegen oder gegen den Barock, antwortet Thuswaldner. Der Barock dämpft und beflügelt, hält klein und macht groß, unterdrückt und befreit. "Salzburg steht für beides, für Tradition und Bewahrung des Bewährten und den Versuch, das Alte hinter sich zu lassen, weil ein Leben ohne Rückversicherung bei den Ahnen möglich sein muss. Konflikte sind unausweichlich, das muss nicht von Nachteil sein."

Gute Geschäfte

Den zentralen Salzburger Konflikt sieht Thuswaldner zwischen dem fürsterzbischöflichen Absolutismus und den Freiheitsgedanken der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Auf die Spitze getrieben wird dieser Streit von und in der Person Hieronymus Graf Colloredo, dem letzten regierenden Salzburger Fürsterzbischof mit weltlicher und geistlicher Macht, der diese Auseinandersetzung auch und vor allem persönlich und existenziell ausficht. Laut Thuswaldner war Colloredo der geläuterte Fürst und Bischof, "der absolute Herrscher, dem die Ideen der Aufklärung nachgingen" und nahegingen. Das konnte nicht gut gehen. Colloredos "Aufklärung mit halber Kraft" war bald erschöpft. Übrig blieb eine Aufklärung im "Bonsai-Format" und die seither für Salzburgs kulturelles Klima typische Spannung zwischen Faszination und Angst gegenüber neuen Ideen und vor allem ihren Vertretern und Protagonisten.

Bestes Beispiel dafür ist der berühmteste Sohn der Stadt, der in Colloredos Salzburg klein gehalten wurde. "Von den Ideen der Aufklärung durchdrungen, war er für die Rolle des Untertanen verloren", erklärt Thuswaldner Mozarts schweren Stand in Salzburg. Erst "der Welterfolg heiligt den Rabauken". Und macht ihn zuerst in Salzburg über den musikalischen Horizont hinaus zu einer Marke, mit der sich gute Geschäfte machen lassen. Der Salzburger Konditormeister Paul Fürst läutet 1890 mit seiner Konfiserie-Komposition aus Marzipan, Nougat und Pistazien samt Schokoladeüberzug einen Paradigmenwechsel ein, der das bis heute erfolgreiche Salzburger Geschäftsmodell etabliert. Thuswaldner: "Das Erbe Barock wird aus der religiösen Bindung gelöst und einer Geschäftsidee unterworfen. Die Stadt bekommt einen Marktwert zugesprochen und wird mit einem Mann beworben, der gegen den barocken Machtanspruch aufgetreten ist."

So entsteht mit der Mozartkugel der Prototyp des Salzburger Barock-Recyclings. Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal, Star-Regisseur und Star-Dichter werden dem Star-Zuckerbäcker bald folgen. Mit dem "Jedermann" erschaffen sie das barocke Memento-mori-Schauspielbonbon für das "Salzburger große Welttheater", das immer noch gerne gelutscht wird und immer noch volle Tribünen vor der Domkulisse garantiert. Viele andere, vor allem aber Herbert von Karajan und Gerard Mortier, identifiziert Thuswaldner als weitere maßgebliche Antipoden im Salzburger Kampf zwischen barockem Absolutismus und Aufklärung.

Selbst ein aus dem "Inner Gebirg"-Salzburg zugezogener Stadt-Salzburger, hat sich Thuswaldner mit diesem Binnenmigrationshintergrund seine Sicht von außen, von oben und vor allem, das macht sein Essay sehr deutlich, von unten auf "sein" Salzburg bewahrt. Wie sich der aktuelle Streit um ein Bettelverbot in Salzburg oder die neo-absolutistischen Ein-und Ausfälle des Chefs eines "international wirksamen Getränkekonzerns" in diesen "großen Welttheaterschwindel" (© Karl Kraus) einbauen lassen, erschließt sich deshalb ebenfalls bei Thuswaldners Salzburg-Exegese. Die im Übrigen durchaus auch als Anleitung gelesen werden kann, um den eigentlichen Kern anderer Städte und Regionen herauszuschälen, ganz im Sinne von Thuswaldners Aufruf am Ende seines Essays: "Wir brauchen eine neue Aufklärung, in Salzburg und anderswo."

Salzburg-Tauchgänge

Dass solches Einlassen auf eine Stadt und solches Durchforschen ihrer kulturellen Eingeweide und geistigen Windungen natürlich auch mit dem Autor etwas "macht", ist unter Berufsrisiko einzuordnen. Insofern kann man da bei Thuswaldner noch von einem glimpflichen Ausgang sprechen, da ihm von seinen Salzburg-Tauchgängen anscheinend nichts Schlimmeres hängen geblieben ist, als bei der Lift-Ankündigung "Erdgeschoß" die Ansage "Erzbischof" zu hören.

Mit dem Barock fängt alles an. Warum Salzburg ist, wie es ist

Essay von Anton Thuswaldner

Müry Salzman 2017 80 S., geb. € 15,-

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