Im Bunker der Gefühle

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Intensiv spannende Festwochenproduktion von Mozarts Frühwerk "Lucio Silla".

Gerade einmal 16 Jahre war Wolfgang Amadeus Mozart alt, als er 1772 "Lucio Silla", seine dritte und letzte Oper für das Mailänder Teatro Regio Ducal (auf einen Text von Giovanni de Gamerra um die historische Figur des römischen Diktator Lucius Cornelius Sulla) verfasste, doch es sind nicht allein die reinen Daten, die die Genialität des jungen Komponisten ausmachen, sondern vielmehr die Tatsache, wie er zwar äußerlich den Konventionen der erstarrten Gattung "Opera seria" folgte, diese aber hinter der Oberfläche raffiniert unterlief: die Sänger erhielten zwar ihre obligatorischen Bravourarien, die dekorativen Elemente der in ihren sängerischen Anforderungen ungemein schwierigen Arien sind jedoch nicht bloß Selbstzweck, sondern ausdrucksmäßig mit dem Text verbunden. Wenn das Werk dann auch noch, wie in der Neuproduktion der Wiener Festwochen - der ersten großen Musiktheaterproduktion der heurigen Festwochen - im "idealen Mozarttheater", im Theater an der Wien, von einem für den frühen Mozart idealen Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt und einem versierten Ensemble zur Aufführung gebracht wird, steht einem musikalisch herausragenden, spannenden Opernabend nichts mehr im Wege.

Harnoncourt und der hervorragend disponierte Concentus Musicus Wien realisierten Mozarts Partitur in enormer Dichte und starker Ausdruckskraft, dramatisch akzentuiert, intensiv ausgelotet in subtilen Nuancen, vor allem aber in einer für ein Originalklangensemble erstaunlich reichen Palette an Klangfarben und Ausdrucksschattierungen. Spannend allein, welche große Wirkung eine leicht überdehnte Pause oder ein nur kurz verzögerter Einsatz haben konnte. Doch nicht nur Orchester und der in seinen Kurzauftritten durch Klangschönheit und Homogenität auffallende Arnold Schoenberg Chor waren auf diese hitzig impulsive Interpretation eingeschworen, sondern auch die Solisten, die sich alle in bewunderungswürdiger Energie und dazu sängerischer Souveränität in ihre Charaktere hineinsteigerten und ihnen Profil verliehen. Da wurde es schnell zur Nebensache, dass Kurt Streit als Lucio Silla bei aller Agilität seines Tenors im Grunde recht charaktertenoral klang und Patricia Petibon die aberwitzigen virtuosen Elemente und den großen Tonambitus der Giunia auf recht individuelle (für Mozart fehlt ihrer verschatteten Stimme ein wenig die tonliche Klarheit), stets aber hochexpressive Art anging - beide überzeugten als ausdrucksstarke Darsteller. An beider Seite verlieh Annette Dasch dem Cinna blühenden, rund und warm sich verströmenden Ton, Bernarda Fink war der nuancierte, edeltimbrierte Cecilio, Martina Janková eine mit glockigen Koloraturen aufwartende Celia und Cornel Frey ein tadelloser Aufidio.

In seiner musikalischen Dichte korrespondierte dieser "Lucio Silla" hervorragend mit der szenischen Auslegung durch Klaus Guth, dessen Inszenierung sich vor allem durch größte Musikalität auszeichnete: die langen szenisch nicht ungefährlichen Da-Capo-Arien hat er immer wieder in adäquate Bewegungen, Gesten und mimische Reaktionen umgeformt: szenischen Leerlauf kennt diese Produktion nicht, wobei die Aktionen auf der Bühne nur in wenigen Momenten überzogen und zu stark aufgetragen wirken, nie aber der Musik entgegenlaufen. Guths Personenführung ist detailreich, voller origineller Ideen und exzellent in der Herausarbeitung der individuellen Motivationen und Beziehungsgeflechte. Kein antikes Historienspektakel erlebte man bei diesem "Lucio Silla", sondern ein Intrigenspiel um Macht, Liebe, Rache und Hass, wie es in jeder beliebigen Zeit stattfinden könnte: die monumentale Ausstattung von Christian Schmidt bleibt entsprechend zeitlos. Er hat ein geschlossenes Bunkersystem auf die Bühne gestellt, dass durch Drehung immer wieder neue Spielflächen und Räume schafft - Assoziationen an verschiedenste "Zentralen der Macht" heutiger oder vergangener Natur sind möglich.

"Lucio Silla" bei den Wiener Festwochen als packendes Musiktheater: Wer die Produktion jetzt nicht erleben konnte, sollte sich die Termine der Wiederaufnahme im Mozart-Jahr 2006 ab 6. März 2006 vormerken.

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