Im Dienste Seiner Majestät

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Als Banker hat er Millionen verdient. Während seiner Freizeit arbeitet er als Priester für Gottes Lohn. Seit Anfang des Jahres ist Stephen Green neuer britischer Handelsminister.

Tony Blair, Kofi Annan und Desmond Tutu gehörten zu seinen berühmten Vorgängern, als Stephen Green im Dezember im Festsaal der Universität Tübingen auf die Bühne trat, um die "Weltethos“-Rede 2010 zu halten. Auf Einladung des Schweizer Theologen Hans Küng sprach er über das Thema "Globale Wirtschaft - Globale Ethik“. Das war nicht überraschend. Lord Green ist ein Experte auf diesem Gebiet. Was viele Zuhörer an diesem Abend aber dennoch verblüfft haben mag, war das tadellose Deutsch, in dem der 62-Jährige seine Forderungen nach neuen Spielregeln für die Weltwirtschaft darlegte. Das ist ziemlich außergewöhnlich für einen offiziellen Gast aus Großbritannien, für einen ehemaligen Finanzmanager aus der Londoner City umso mehr.

Doch Baron Green of Hurstpierpoint, wie er sich seit seiner Berufung ins Oberhaus des Vereinigten Königreichs durch Ihre Majestät Queen Elizabeth II. bezeichnen darf, ist ein Mann mit vielen Talenten. Geboren in ein religiöses Elternhaus im südenglischen Brighton, erhielt er seine Schulbildung an einem der berühmtesten Privatinternate der Insel, dem Lancing College. Nach dem Studium der Literatur, Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaft in Oxford absolvierte er ein soziales Jahr in einem Alkoholiker-Asyl, wobei er seine spätere Frau Janian kennenlernte, und begann seine berufliche Laufbahn im Entwicklungshilfeministerium.

Ein Priester in der Privatwirtschaft

Mit Ende 20 wechselte Stephen Green dann in die Privatwirtschaft zur Beratertruppe McKinsey. Seine akademischen Meriten hatte er inzwischen um einen Master des Massachusetts Institute of Technology erweitert. Von der international führenden Consultingfirma vermittelten ihn Headhunter 1982 zu einer der größten Banken der Welt, der Hongkong and Shanghai Banking Corporation. Bei der HSBC stieg Green kontinuierlich auf, bis er 2003 zum CEO und 2006 sogar zum Chairman ernannt wurde.

Seine alten Ideale ließen den zweifachen Vater aber trotz aller Karriereerfolge nicht los. Am Hongkonger Ming Hua College holte Green ein Theologiestudium nach und wurde 1988 als Laienpriester der Anglikanischen Kirche ordiniert. Von nun an hielt er regelmäßig sonntags die Messe in seiner Gemeinde, während er sich unter der Woche mit Börsenkursen, Finanzprodukten und Anlagestrategien auseinandersetzen musste. Nicht selten schrieb er seine Predigten unterwegs auf Geschäftsreisen im Flugzeug.

Über Moral, Geld und die Zukunft

Die neue Doppelrolle verarbeitete Green 1996 in seinem ersten Buch. Es hieß "Serving God? Serving Mammon?“ und behandelte den ethischen Zwiespalt sowie die mögliche Verbindung von Glauben und Geldverdienen. Als die Finanzkrise ausbrach, legte der praktizierende Christ ein weiteres Werk mit kritischen Gedanken zur Entwicklung der Weltwirtschaft aus historischem und philosophischem Blickwinkel vor: "Good Value“ wurde nicht nur von der Financial Times zu einem der "Bücher des Jahres 2009“ erkoren, sondern erschien auch auf deutsch unter dem Titel "Wahre Werte. Über Moral, Geld und die Zukunft“.

Green fordert in seinen Veröffentlichungen, ebenso wie in zahlreichen Interviews und Vorträgen, stärkere ethische Normen für die Geschäftswelt. Zwar verbieten ihm seine tadellos höflichen Umgangsformen persönliche Angriffe auf Branchenkollegen oder deren überhöhte Bonuszahlungen. Auch will er die bestehende ökonomische Ordnung nicht grundsätzlich infrage stellen. "Der Kapitalismus ist unter allen schlechten Wirtschaftssystemen das beste“, verteidigt er die Wettbewerbsidee mit derselben Argumentation, die Churchill einst zugunsten der Demokratie als politisches System vortrug.

Doch der langjährige Chef von fast 300.000 Mitarbeitern betont immer wieder, dass die Märkte staatliche Regulierung brauchen und dass die Sorge um das Gemeinwohl zu jeder Unternehmensstrategie gehört, die auf Dauer erfolgreich sein soll. Mehr noch: Was für Firmen gilt, gilt in Greens Augen für das menschliche Streben allgemein. "Erfüllung erfährt erst, wer gibt“, ist er sich gewiss. Diese tiefe Überzeugung hat der Literaturliebhaber aus der Bibel und aus Goethes "Faust“ gewonnen, den er oft zitiert.

Insgesamt optimistisch sieht der Vielgereiste den Prozess der Globalisierung. Diese brachte nach seiner Auffassung Wohlstand für Millionen von Armen in einst unterentwickelten Ländern und als Nebeneffekt mehr Freiheit für bisher unterdrückte Gesellschaftsgruppen wie etwa die Frauen. Das Zusammenwachsen der Menschheit über ethnische, religiöse und kulturelle Grenzen hinweg ist für Green nicht zuletzt ein spirituelles Phänomen. Dabei räumt er gerne ein, dass mit dem Erstarken neuer Wirtschaftsmächte, besonders in Asien, riesige Herausforderungen auf den reichen Westen zukommen werden. Vor der Gefahr, im globalen Konkurrenzkampf unterzugehen, warnte er einmal mit dem chinesischen Sprichwort: "Der Hahn von heute ist der Federwisch von morgen.“

Vom Spitzenbanker zum Staatsminister

Ein derart trauriges Schicksal hat Stephen Keith Green glücklicherweise nicht ereilt, trotz aller Turbulenzen in der jüngsten Vergangenheit, die auch sein Geldinstitut trafen. Wohl musste "Gottes Banker“, so sein spöttischer Spitzname, 2009 ebenfalls Milliardenverluste am US-amerikanischen Kreditmarkt bekanntgeben. Sein persönliches Ansehen jedoch, das er dank seiner Integrität weit über Branchenkreise hinaus genoss, überstand die ganze Krise unbeschadet. Dies war sicherlich mit ein Grund für den neugewählten konservativen Premier David Cameron, den hageren HSBC-Boss im vergangenen Jahr als Staatsminister für Handel und Investitionen zu berufen. In dieser Funktion soll Lord Green künftig die Exportchancen einheimischer Unternehmen verbessern und Großbritannien als Standort für ausländische Firmen attraktiv machen.

Auf Ende 2010 hat der frischgebackene Aristokrat sämtliche Wirtschaftsmandate niedergelegt, um dem Ruf zu folgen. Im Kreis der Mächtigen wird der Baron allerdings weiterhin eine Ausnahmeerscheinung bleiben, schon wegen einer privaten Leidenschaft, die unter angelsächsischen Konservativen selten anzutreffen ist: Seit jeher liebt Stephen Green die Geschichte und Kultur Deutschlands, und zwar so sehr, dass er dortige Auftritte selbstverständlich in der Sprache Goethes absolviert. Als Hobbyhistoriker ist es sein großer Traum, ein Buch über die Entstehung der heutigen Bundesrepublik zu verfassen, vom Gang Heinrich IV. nach Canossa bis zur Wiedervereinigung.

Politik wie Bibel kennen eigene Gebote

Viel Zeit für solche Interessen wird der Ministerposten Lord Green aber kaum lassen. Auch seine Nebentätigkeit als Pastor kann er in der Kirche Saint Barnabas im Londoner Stadtteil Kensington nur noch selten ausüben. Kurz vor Weihnachten predigte er unter dem Titel "Wer ist unser Erlöser?“ über die Darstellung des leidenden Gottesknechts beim alttestamentlichen Propheten Jesaja.

Eines hat Reverend Greens neuer Job für die Regierung mit demjenigen für die Church of England gemeinsam: Es gibt dafür kein Gehalt. Der Adelstitel auf Lebenszeit ist der einzige Lohn. Dass die Politik genauso wie die Bibel ihre eigenen Gebote kennt, musste der Quereinsteiger in Westminster schon kurz nach seinem Amtsantritt im Januar erfahren. Als in der Londoner Presse Gerüchte auftauchten, er habe Vorbehalte bezüglich der Exportförderung für die Rüstungsindustrie geäußert, folgte das Dementi aus seinem Hause auf dem Fuße.

Seine berufliche Position mag sich geändert haben, doch die christlichen Prinzipien wird Lord Green auch im Staatsdienst nur im Spagat durchhalten können.

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