Domino-Day in der Welt-Arena. Die Finanzmarktkrise breitet sich mit der Gesetzmäßigkeit einer über Jahre aufgebauten Spielanordnung aus und legt immer neue Figuren frei. Das anfangs noch faszinierte Publikum kippt vom Staunen ins Entsetzen, als es merkt, dass den Erfindern dieser Spielanordnung die Folgen längst entglitten sind. Von der Subprime-Krise über den Kollaps von Lehman und einknickende Großbanken bahnen sich die Steine ihren Weg aus der Finanzwirtschaft in die Realwirtschaft. Zuerst die Autoindustrie und ihre Zulieferer, dann die Maschinenbauer und die Konsumgüterindustrie, später die Dienstleister. Erst in den USA, dann doch auch in Europa, dann bei den ost- und südeuropäischen Nachbarn, dann in Asien und auf den Märkten der Ärmsten.
Die Entwicklungshilfe sinkt
Auf sie hatten wir schon fast vergessen, als alles noch gut lief. Nicht einmal zu Boom-Zeiten zahlten die reichen Länder die in den groß angekündigten Millenniums-Versprechen zugesagten 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Nun aber der mehrfache Schock für die schon vorher fast Chancenlosen: Die Investitionsbereitschaft der reichen Industriestaaten in den ärmeren Ländern sinkt in der Krise gegen Null. Viele Infrastrukturprojekte scheitern an der Finanzierung. Die Entwicklungshilfeleistungen sinken drastisch - schon weil die bisherigen Prozentsätze bei schrumpfendem Bruttosozialprodukt absolut weniger hergeben. Auch hat der Absturz der Rohstoffpreise viele der "Emerging Markets" hart getroffen. Und schließlich lässt die sinkende Kaufkraft der reicheren Länder die Exporte deutlich zurückgehen.
Regionen, die gerade erst dabei waren, den Anschluss an die Standards entwickelter Industriestaaten zu finden, werden um Jahre zurückgeworfen. Die chinesischen Wanderarbeiter sind zum Symbol dafür geworden, dass die boomende internationale Arbeitsteilung unterbrochen ist. Dazu kommt, dass die steigende Arbeitslosigkeit in den reicheren Staaten oft ausgerechnet jene Gastarbeiter betrifft, die mit Zahlungen an die Verwandten geholfen hatten, die Entwicklung ihrer Heimatländer in Schwung zu halten.
Bisherige Erfolge sind gefährdet
Die in den vergangenen Jahren durchaus messbaren Erfolge bei der Beseitigung von Armut in den extrem benachteiligten Ländern sind wieder gefährdet. Die Zahl der Ärmsten an den untersten Sprossen der Einkommensskala steigt dramatisch, und das schon am Beginn einer noch keineswegs abgeschlossenen Entwicklung nach unten.
Wenn die Dominosteine in diesen Ländern weiter fallen, werden sich neue Szenen eröffnen, die uns unter noch größeren Handlungsdruck setzen. Denn wo die Hoffnung auf Wohlstand durch eigene Arbeit stirbt, kann die erlebte soziale Ausgrenzung zur Aggression gegen die vermeintlichen Verursacher der Krise führen. Dominosteine, die nach der Wirtschaft auch in der Gesellschaft zu fallen beginnen, drohen die Zuschauerbühne zu unterminieren, von der aus wir das außer Kontrolle geratene Spiel bisher unbehelligt beobachten. Schon deshalb muss die Armutsbekämpfung auf die Agenda der internationalen Krisenfeuerwehr.
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