Im Exil ein neues Leben beginnen

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Die Werke von sechs Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Sparten, die durch ihre Emigration einen Bruch in ihrer Biografie erlitten, stellt das Museum der Moderne Salzburg in den Fokus einer Ausstellung.

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Die Werke von sechs Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Sparten, die durch ihre Emigration einen Bruch in ihrer Biografie erlitten, stellt das Museum der Moderne Salzburg in den Fokus einer Ausstellung.

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Sie ist eine Dokumentaristin des Alltags, die in der Fotografie die ihr gemäße Kunstform gefunden hat, um auf Menschen zuzugehen und sie in ihrer Gewöhnlichkeit abzubilden. Lisette Model richtet sich ihre Modelle nicht her, nimmt sie wie sie sind, auch auf die Gefahr hin, dass sie unvorteilhaft wirken.

In einer Aufnahme aus den frühen vierziger Jahren lenkt sie von einem Fenster auf Asphalthöhe ihren Blick auf vorbeieilende Menschen, von denen wir nicht mehr als ihre Beine zu sehen bekommen. Das Bild ist Teil einer Serie, das von einem kleinen Ausschnitt auf ein kulturelles Ganzes schließen lässt. Wir sehen nicht nur das Schuhwerk der Großstadtmenschen, sondern bekommen auch Eindruck von der Betriebsamkeit in der New Yorker 42. Straße, wo das Aneinandervorbeirauschen der Passanten der Normalfall ist. Schaut man genau, sieht man kein wüstes Chaos, sondern macht eine geheime Ordnung aus, für die offenbar eine Schwarmintelligenz des Menschen verantwortlich ist.

Model ist eine von sechs Persönlichkeiten, denen das Museum der Moderne in Salzburg die Ausstellung "Resonanz von Exil" ausrichtet. 1901 in Wien geboren, flüchtete sie 1938 mit ihrem Mann vor den Nazis nach New York, wo sie rasch Kontakte zu anderen Emigranten knüpfte. Ihre Arbeiten wurden in Ausstellungen präsentiert und das Museum of Modern Art kaufte Werke an. Model steht nicht für das typische Emigrantenschicksal, sie hatte den Durchbruch geschafft. Dabei hatte sie durchaus unter amerikanischen Verhältnissen zu leiden, stellte man sie doch in der McCarthy-Ära, als man bald einmal unter Kommunismus-Verdacht geriet, unter Beobachtung und verhörte sie. Dass sie mit ihrer Sozialfotografie eine kritische Haltung einnahm, blieb den Jägern nach dem Unschicklichen nicht verborgen. Ab 1949 bildete sie Fotografen und Fotografinnen aus, denen sie mit auf den Weg gab, dass sie sich ausschließlich um jene Motive kümmern sollten, die ihnen wirklich wichtig waren.

Breite Wahrnehmung: verwehrt

Die Ausstellung in Salzburg bildet die Fortsetzung eines Projektes, das schon im vorigen Jahr Künstler in den Mittelpunkt rückte, denen aufgrund des Exils die Wahrnehmung einer breiteren Öffentlichkeit verwehrt blieb. Der aus Wien stammende Wolfgang Paalen (1905-1959) zählt dazu -eine große Begabung mit eigenwilligem Kopf. In Paris schloss er sich den Surrealisten an, was ihm als Befreiung aus dem "geistigen Vegetarismus" erschien. 1939 emigrierte er nach Mexiko, wo es zum Bruch mit den Surrealisten kam. Wieder einmal war ihm nach der Abkehr von der abstrakten Kunst eine Stilrichtung zu eingeschränkt erschienen. In seiner Zeitschrift DYN forderte er von der zeitgenössischen Kunst vehement, nicht den Anschluss an aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse wie der Quantenphysik zu verpassen. Ein derart theorielastiges Werk mag abschreckend wirken. Mit einiger Aufmerksamkeit findet man aber in die Bilder nicht allzu schwer hinein. Vielfach handelt es sich um Raumordnungen, die auf den ersten Blick gern der Vernunft widersprechen. Das Objekt "Genius of the Species" von 1938 ordnet filigrane Tierknochen zur Form eines Revolvers. Das sagt alles darüber, was Paalen vom fortgeschrittenen Menschen hält.

Der Berlinerin Valeska Gert (1892-1978) modelte den Solotanz derart radikal um, dass sie selbst in den offenherzigen Zwanzigerjahren für Skandale sorgte. Sie hatte ein Gespür für die Schmerzpunkte ihrer Zeit und suchte diese in eine noch nie gesehene Körpersprache zu übersetzen. Sie bediente sich der Groteske und der Übertreibung und erzielte damit eine Wirkung, die dem Publikum schon einmal Angst einjagte. Wenn sie den Tod tanzt, spielt, wenn sie sich verrenkt und grimassiert, ist ihm nichts Friedliches abzugewinnen -eine Studie über ein Ende in Schrecken. Klar, dass sie unter den Nazis Auftrittsverbot erhält. 1939 zieht sie in die USA, wo sie in Bars, darunter die berühmte "Bettlerbar", weitermacht. Die Zeitschrift Aufbau klagte sie der Geschmacklosigkeit an und fürchtete, dass sie die ganze Emigrantenszene in Verruf bringe. Ihre Rückkehr nach Deutschland empfand sie als enttäuschend, zumal nach dem Krieg von Avantgarde niemand etwas wissen wollte.

Resonanz von Exil bis 12. Oktober, Museum der Moderne Salzburg Di-So 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr www.museumdermoderne.at

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