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Die Wiener Tanz-Szene projiziert all ihre Erwartungen in das neue Tanzquartier. Zugleich herrscht Angst, dass andere finanziell austrocknen.

Eröffnung im Tanzquartier Wien: Künstlerinnen aus dem kosmos.frauenraum, dem Theater- und Kulturhaus in der Siebensterngasse nützen die Anwesenheit von Politikern und Presse um auf ihre miserable finanzielle Situation hinzuweisen. Kabarettreif offeriert der Wiener Choreograph Daniel Aschwanden Fettnäpfchen aus der Vergangenheit und Zukunft zur Betrachtung und stellt, nur scheinbar unschuldige Fragen. Etwa: Warum wurde in der Halle G, die von September bis April vom Tanzquartier bespielt wird, eine Zuschauertribüne betoniert, obwohl sich niemand der Tanzschaffenden ein Frontaltheater, sondern einen flexiblen Raum wünschte? Oder: Warum gingen die Szene Kompromisse ein und ist sich erst einig, wenn es zu spät ist? War es tatsächlich notwendig, dass "T-junction, eine erfolgreiche Tanzinitiative im Bereich experimenteller Projektarbeit und des internationalen Austausches, geschlossen wurde? Jeder bekommt sein Fett ab. Nicht zuletzt die energiegeladene Intendantin Sigrid Gareis. (Auch im Fragenkatalog: "Wäre es ein Fettnäpfchen einfach zu sagen: Siegfried Gareis?")

Zur Zeit wird sie von der Wiener Tanzszene, nicht immer herzlich, dafür umso heftiger an die Brust gedrückt. In gespielter Verzweiflung stellt sie sich "der Quadratur gleich mehrerer Kreise": "Von diesem Haus wird schlichtweg alles erwartet. Selbstverständlich soll es sich national wie international profilieren, dabei aber am besten keine inhaltlichen Entscheidungen treffen. Von ihm wird gewünscht, die Tanzwissenschaft in Wien zu stärken aber nicht mit Theorieprogrammen. Es soll Labore, experimentelle Versuchsanordnungen zu Künstlerfragen einrichten aber das vielleicht doch lieber nicht im sinnenfreudigen Wien. Zeitgenossenschaft, Historie, Großmeister, Nachwuchs, Neoklassik, Avantgarde, alles wird gewünscht und dieses am besten sofort - vielleicht gleich an das anschließende Buffet."

Die hochwogenden Emotionen kommen nicht von ungefähr. Etwa zehn Jahre dauerte das Ringen um ein Tanzhaus in Wien. Mögliche Bauobjekte, wie die Straßenbahn-Remise in der Engerthstraße, das Jugendstiltheater auf der Baumgartner Höhe oder die rasant wieder verschwundene Idee eines gemeinsamem Hauses für Neue Oper und Zeitgenössischen Tanz auf der Donauplatte waren im Gespräch.

Heiße Phase

Erst 1997 begann, was man als heiße Phase bezeichnen könnte. Im Wiener Rathaus fand im Dezember eine Enquete zum "Tanz in Wien" statt. Aus ihr entstanden Konzeptgruppen und es wurde eine Studie in Auftrag gegeben. Eine "ChoreographInnen-Plattform" wurde gegründet, in der sich vor allem die Vertreter der Gründergeneration, unter anderem Liz King, Sebastian Prantl und Nikolaus Selimov aktiv engagierten. Mit dem Museumsquartier tauchte ein Hoffnungsschimmer am Horizont auf. "Wir haben", beschreibt Selimov das damalige Konzept, "das Ganze doppelt angedacht. Wir wollten für den Veranstaltungsbereich einen unabhängigen Intendanten, der Studiobereich jedoch sollte von erfahrenen Choreographen der Wiener Szene gemeinschaftlich geleitet werden

Die Idee der Selbstverwaltung stieß auf wenig Gegenliebe bei Kulturstadtrat Peter Marboe. Die künstlerische Leitung wurde ausgeschrieben, Sigrid Gareis mit großem Vorsprung an erste Stelle gereiht. Nun hat sie ausgerechnet die Aktivisten der ersten Stunde nicht programmiert. Zumindest einige von ihnen. "Ich kann die Enttäuschung dieser Gruppen verstehen und habe mit Studioprojekten ein schrittweises Kennenlernen angeboten, doch das gestattet man mir nicht", ortet die Intendantin eine Prestige- und Generationenfrage.

Unbehagen

Doch die Gründe für das Unbehagen liegen tiefer. Bereits unter Kulturstadtrat Peter Marboe wurde das Festival "Tanzsprache" im W.U.K. gekappt, im dietheater hat man noch keine Zusage für eine Weiterfinanzierung von "Repérages" und "Dance Roads", zwei kleine aber effektive internationale Tanznetzwerke, die man in den letzten Jahren mit aufgebaut hat und T.junction wurde bereits erwähnt. Sollte sich eine Art Trend entwickeln, entgegen der Aussagen von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, dass es keine Kürzungen geben werde?

Sigrid Gareis jedenfalls bekommt einiges aus der beunruhigten Szene stellvertretend ab. Die Schwäbin begann ihre Karriere als Programmreferentin bei Siemens, baute Produktionsringe für freie Theatergruppen in Deutschland, initiierte und konzeptionierte anerkannte Tanzfestivals in Europa, darunter die "Tanztendenzen" in Greifwald, die Tanzwoche "Leibesvisitationen" in Nürnberg oder das 1. Festival für zeitgenössischen Tanz in Moskau.

In Wien versucht sie den Spagat. Einerseits will sie der Vielfalt der heimischen Tanzszene gerecht werden, andererseits das Haus international verankern. Das Tanzquartier darf weder ein "lokales Nischenhaus noch ein uniformer, auswechselbarer internationaler Tourtheater-Betrieb"werden, so Gareis, sondern eine Kommunikationsstätte in der zeitgenössischer Tanz, interdisziplinäre Performances ebenso angesiedelt sind wie Research- und Laborprojekte. Ihr Konzept folgt einer internationalen Entwicklung in der das Verständnis von Tanz zur Zeit völlig umgekrempelt wird. Neue interdisziplinäre Allianzen werden gebildet, Tanz wird zunehmend als Feld zur Schaffung von Wissen, als philosophisches Experiment, Mittel zur Erforschung des menschlichen Körpers begriffen. Die gezeigten Arbeiten von Saskia Hölbing mit Benoît Lachambre und Philipp Gehmacher mit Rosemary Butcher gaben bei der Eröffnung der Tanzquartier-Halle einen Vorgeschmack.

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