Im Irrgarten verloren

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Kaum ein Weltkonflikt wird so von den Medien orchestriert wie die Vorgänge in Nahost.Berichterstatter finden sich da im Dschungel vieler Wahrheiten wieder.

Der Widerspruch hätte nicht augenfälliger sein können:

Auf dem römischen Kapitol trafen in der Vorwoche Juden, Muslime und Christen zum "Friedensdialog" zusammen - um einmal mehr ihren Argwohn und ihre Entfremdung zu entdecken. Was als versöhnendes, interreligiöses Medien-Gespräch konzipiert war, verlor sich rasch im Irrgarten alter Vorwürfe und Abrechnungen: Israelis gegen Palästinenser (und umgekehrt) - und gegen Europa.

Keinen Steinwurf entfernt aber, vor den Fenstern des Konferenzsaales, lag das Forum Romanum; einst Zentrum jenes Großreichs, das Europa noch mit Nordarabien verbunden hatte. Mare nostrum, "unser" Meer, nannten die alten Römer das Mittelmeer.

Längst ist jedes Wir-Gefühl zwischen Okzident und Orient verloren gegangen. Hier Europa, dort Israel, dort die Araber.

Dazwischen eine Flut von Stereotypen und Vorurteilen: "Arafat ist der MilosÇevic´ im Orient!" "Sie wollen uns Araber nur demütigen!" "Europa hat in Israel jeden Kredit verloren!" - bittere Sätze zum Stand des "Friedens-Dialogs" 2003.

Der Streit um die Schuldigen wogte auch in Rom heftig - ohne klaren Sieger. Groß war die Neigung, die Medien für alles Versagen der Politik verantwortlich zu machen.

Israelische und arabische Journalisten hatten zumindest Milderungsgründe: Zu viel Hass und Enttäuschung, zu viele Ängste, auch zu viel politischer Druck.

Und die Europäer? Unter welche Vorzeichen suchen ihre Medien einen Weg durch das nahöstliche Dickicht? Wie entsteht unser Bild von "Gut" und "Böse" im Orient? Nachdenklichkeit lohnt - mehr als 50 Jahre nach Ausbruch des Konflikts.

Drei Kriterien für Qualität

Drei Kriterien bestimmen auch hier über journalistische Qualität:

1. Die Seriosität einer Information,

2. das Fachwissen der Medienleute

3. und die Emotionen, die Journalisten bei ihrer Arbeit bewegen - auch bei der Berichterstattung über das Nahost-Drama.

* Information ist im Orient ein heikles Gut. Hinter jeder Nachricht lauern politische Interessen, von jedem "Experten" droht ein vergiftete Botschaft. Auch das Vertrauen in westliche Nachrichtenagenturen hat Grenzen: Gibt es welche, für die jedes Menschenleben denselben Wert besitzt? Und noch etwas: Wer über eine jahrtausendealte Geschichte verfügt, kann fast jeden politischen Anspruch und jede Gewalttat historisch legitimieren.

* Journalistisches Fachwissen - noch immer gibt es europäische Medienleute mit enormer Erfahrung im Orient. Und doch: Mehr und mehr Nahost-Korrespondenten werden abgezogen; in Zeiten von CNN und Internet haben Medien-Eigentümer ein Sparpotenzial entdeckt.

Nur: CNN blickt nicht mit europäischen Augen nach Nahost - und das Internet ist ein wirres Füllhorn aus Ernsthaftigkeit und Mist.

* Und schließlich die Emotionen. Europäische Journalisten tauchen im Nahostkonflikt unweigerlich in ein Wechselbad ganz widersprüchlicher Gefühle:

Hier Verantwortung und Schuldgefühle gegenüber dem jüdischen Volk - dort Widerwillen gegen das "hässliche Gesicht" jeder Besatzungsmacht, auch der israelischen.

Hier Abscheu gegenüber Terroristen - dort das Gefühl, im Palästinenser den Schwächeren nicht im Stich lassen zu dürfen.

Hier die Entschlossenheit, als Europäer - aufgrund ihrer Geschichte, Geopolitik und der 15 Millionen Muslime in der EU - nicht nur ein Begleitboot des US-Flugzeugträgers zu sein. Das hieße: Mehr Verständnis und Nähe zum Islam. Dort aber das Wissen um die Islam-Ängste der eigenen Leser (Hörer, Zuseher), die ernst genommen werden müssen.

Sechs Tipps für Medien

Was also können Europas Medien wirklich zur Versöhnung der Feinde in Nahost beitragen?

Recht wenig - und doch einiges:

* Den großen "Wahrheiten" misstrauen. Im Wissen, dass Tragödien wie die nahöstliche kein Schwarz-Weiß und jedenfalls mehr als nur eine Wahrheit kennen - und dass die letzte, alles umschließende Wahrheit den Menschen (der Politik, den Medien) verhüllt bleibt.

* Die Meinungsfreiheit in Nahost fördern und journalistischen Mut auszeichnen - auf allen Seiten.

* Mehr Medien-Vernetzung schaffen: durch Stipendien, Austauschprogramme et cetera der EU für Journalisten - eine Zukunftsinvestition mit hohen Renditen.

* Mehr Raum für Nahost-Dialoge in den Medien - auch zwischen jenen, die einander noch zutiefst misstrauen.

* Mehr Beachtung für konkrete israelisch-arabische VersöhnungsImpulse an der Basis - auf Kosten von politischem Wortgeklingel.

* Und: Auch im Journalisten-Alltag, wo es ja um das Sammeln und gewissenhafte Überprüfen von Informationen geht, kann es hilfreich sein, an ein altes religiöses Wort zu erinnern - an jenes Wort Gottes zu Mose, wie es die Bibel überliefert: "Bist du gekommen, um zu trennen oder um zu versöhnen?"

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