Im Kopf wird weiter geschossen

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Scott Anderson beschreibt die psychischen Kriegsschäden eines Kriegsreporters.

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Scott Anderson beschreibt die psychischen Kriegsschäden eines Kriegsreporters.

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Wann wird ein Krieg aktuell? Welche der unzähligen Massaker, die ständig irgendwo stattfinden, machen Karriere als Thema der Medien? Mark Walsh, ein junger Fotograf und Kriegsberichterstatter, hat ein Gespür dafür entwickelt, welche Schauplätze vermutlich in naher Zukunft ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken werden. Oder er hat einfach nur Glück gehabt. Seine Reportagen, seine Bilder menschlicher Verzweiflung und Grausamkeit, lassen sich im allgemeinen gut verkaufen. Traumatische Erlebnisse werden zu Hause in New York im Kreis der Kollegen anekdotenhaft wiedergeben. Parties und Erholung bis zur nächsten Reise. Normalerweise. Anschaulich und lebendig beschreibt Scott Anderson in seinem Erstling "Triage" ein Milieu, das ihm sehr vertraut sein dürfte. Der 40jährige Autor ist Journalist und Kriegsberichterstatter, hat an die 70 Länder bereist und schrieb Artikel über Kriege, Bürgerkriege und organisierte Kriminalität.

Die Flucht in Oberflächlichkeit und Galgenhumor angesichts schrecklicher Erfahrungen funktioniert aber nicht immer. Mark kehrt von einer Reise nach Kurdistan nicht nur verletzt, sondern auch so abwesend und unzugänglich nach New York zurück, daß ihn seine Freundin Elena kaum wiedererkennt. Er teilt nun das seelische Schicksal vieler Flüchtlinge, die ein Leben lang die Greuel zu verarbeiten versuchen, die sie ansehen mußten. Und er ist nicht bereit, darüber zu reden, was wirklich vorgefallen ist: Nichts. Zumindest nichts, was er erzählen könnte. Sein bester Freund, Kollege und Reisegefährte wird vermißt. Ja, er wollte noch ein paar Tage länger bleiben. Alles in Ordnung. Oder auch nicht. Elena versucht nun, ihren Freund zum Reden zu bringen und aus der Apathie ins Leben zurückzuholen.

Anderson ist ein spannendes Konglomerat gelungen, eine Verknüpfung von Milieustudie, Liebesgeschichte und Philosophie. Im Zentrum steht Vergangenheitsbewältigung, nicht die eines Volkes, sondern ein sehr persönlicher Umgang mit dem eigenen Gewissen, mit Schuld, Tod und Leid. Mosaiksteinchen in historischen Zusammenhängen. Ohne auch nur ansatzweise erhobenen Zeigefinger werden wir eindringlich gewarnt vor zu schnellen Verurteilungen und Schwarzweißmalerei. Anderson hat die Gabe, auch schreckliche Begebenheiten einfühlsam, doch ohne Gefühlsduselei zu beschreiben und vermeintliche Fakten von verschiedenen Seiten zu beleuchten.

So weit auch die angeschnittenen Fragen über die Handlung des Romans hinausragen, der Leser verliert nie das Schicksal der Figuren aus den Augen, die genau genommen viel zu lebendig gezeichnet sind, um noch Figuren genannt zu werden. Wir nehmen an ihren inneren Erfahrungen teil, zerbrechen uns ihre Köpfe, versuchen, ihren Geheimnissen auf die Spur zu kommen. In den ständigen Wiederholungen der Geschichte ist "Triage" ein Plädoyer für die Einzigartigkeit, für das Besondere jedes Menschen und jeder Begebenheit, von denen nur so wenige der Anonymität der Historienschreibung entgehen. Ein Buch zum Verschlingen, ein Buch von bestürzender Aktualität.

Triage. Roman von Scott Anderson. Übersetzung: Chris Hirte. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 287 Seiten, geb., öS 291.-/e 21,14

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