Im Kräfteparallelogramm der Motive?

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Sind mit dem postulierten "Ende der Willensfreiheit" Begriffe wie Schuld und Verantwortung in ihren Grundfesten erschüttert? Reinhold Esterbauer, Vorstand des Instituts für Philosophie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Graz, antwortet darauf im furche-Gespräch.

die furche: Der Frankfurter Hirnforscher Wolf Singer sagt: "Die Hirnforschung kann Fragen nach der Natur von Erkenntnis, Empfindung, Bewusstsein oder freiem Willen nicht mehr ausweichen." Wie geht nun ein Philosoph und Theologe damit um, dass mit naturwissenschaftlichen Methoden an solche Themen herangegangen wird?

Reinhold Esterbauer: Zunächst ist das völlig legitim. Es werden ja viele Phänomen der Wirklichkeit von verschiedensten Seiten betrachtet. Ein Problem sehe ich aber in Überansprüchen, wenn vom definitiven "Ende des freien Willens" gesprochen wird oder wenn man meint, dass solche Themen exklusiv von den Naturwissenschaften zu klären sind. Das ist eine Überforderung der eigenen Methode. Wenn Gerhard Roth in seinen Büchern schreibt, dass er Naturwissenschafter sein will, dann muss er natürlich sagen - um nicht ganz inkonsistent zu sein -, er sei nicht reduktiv. Wenn man aber seine Schlüsse anschaut, so sind sie reduktiv. Darauf noch den Anspruch zu legen: "Wir sagen es euch, wo es langgeht", ist durch die methodischen Grundvoraussetzungen nicht abgedeckt.

die furche: Die Naturwissenschaften beanspruchen mehr und mehr ein neues Deutungsmonopol. Lösen sie damit nicht endgültig die Geiseswissenschaften als Metawissenschaften ab?

Esterbauer: Dass das wissenschaftspolitisch betrieben wird, ist keine Frage. Bezüglich der Metawissenschaft ist es aber nicht so, dass die Philosophie von der Reflexionsebene höher stehen würde als die Naturwissenschaften, sondern sie steht parallel dazu. Wenn ich beispielsweise erklären möchte, was die materiale Wirklichkeit ist, so ist es nicht die einzig legitime Zugangsweise, wie die Naturwissenschaften zu quantifizieren. Wir fangen auf der gleichen Ebene an, nur quantifizieren wir halt nicht. Die Philosophie erarbeitet ein prinzipiell anderes, aber nicht höherstehendes Wirklichkeitsbild. Und die Instanz, die sagen würde, was nun das Gültige ist, die gibt es nicht.

die furche: Wie gehen Sie mit den Anfechtungen der Hirnforschung um?

Esterbauer: Ich versuche das auf eine Methodendiskussion zu bringen. Es hat überhaupt keinen Sinn, von der Philosophie aus das Bereitschaftspotenzial anzugreifen. Das ist unter den naturwissenschaftlichen Methoden, wenn es richtig gemacht ist, unumstritten. Philosophisch muss man zunächst fragen: "Was wird hier gemacht?" Zweitens muss man versuchen, sich selbst als alternative Weltsicht in Geltung bringen. Was den Naturwissenschaften hilft, erfolgreicher zu sein und in den Feuilletons zu landen, ist einfach die Tatsache, dass sie von sich aus in Anspruch nehmen, exakter zu sein. Diese Exaktheit ist aber nur so lange gegeben, so lange der Schuster bei seinem Leisten bleibt. Das wird aber nicht gemacht, und so so kommen Begriffstransformationen zustande: Wille heißt dort und da etwas anderes. Die Brücke kann nur aufrecht erhalten werden, indem der Begriff selbst ein mehrdeutiger wird. Aber das ist Begriffsschwindel!

die furche: Welcher Raum bleibt Ihrer Meinung nach für Begriffe wie Verantwortung oder Gewissen?

Esterbauer: Wenn die Frage so angenommen wird, dann ist natürlich klar, dass für freien Willen und Gewissen nichts mehr übrig bleibt. Das heißt auch, dass in der Theologie die Frage nach Schuld und Sünde weg sind. Das selbe Problem stellt sich aber auch im Strafrecht, so lange man hier mit einem Schuldbegriff operiert. Meine Position ist hingegen jene: Die Frage, was Verantwortung und Schuld ist, ist neurobiologisch überhaupt nicht zu fassen. Roth sagt in einem seiner Bücher: Was Naturwissenschaften wollen, ist, Mechanismen aufzustellen. Wenn ich solche Mechanismen durch naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten beschreiben will, dann ist von vornherein klar, dass es so etwas wie eine Freiheit des Willens nicht geben kann.

die furche: Roth bezeichnet das Gewissen als "leider weitgehend frei verfügbar". Wie würden Sie es beschreiben?

Esterbauer: Das Gewissen ist die fremde Stimme in mir und gerade nicht das, was ich ansammle. Es ist also bildbar und sprachlich vermittelbar. Christlich gesehen ist das gebildete Gewissen Letztinstanz. Natürlich habe ich Motive und Erfahrungen, die einfließen, aber ich kann mich gegen diese Erfahrungen entscheiden. Hier liegt der Freiheitsakt begründet. Meine Handlung ist eben nicht bloß das Kräfteparallelogramm meiner Motive, sondern ich habe zu ihr auch ein Verhältnis.

Das Gespräch

führte Doris Helmberger.

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