Im Land der untergehenden Sonne

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Am Beispiel Japans zeigt sich, wie lange eine Wirtschaftskrise durch Interventionen des Staates verdrängt werden kann. Dringend nötige Reformen scheiterten dort bisher an der beharrenden Kraft einer eigentlich schon seit 20 Jahren gescheiterten wirtschaftlichen und politischen Elite.

Es ist schon lange her, dass sich die Wirtschaftstreibenden dieser Welt unter der Flagge der aufgehenden Sonne versammelten, um bei Honda, Toyota und anderen Megaunternehmen dieser Welt richtiges Management zu lernen. Samurai-Schwertkampf war zum beliebten Freizeitsport aufstrebender Abteilungsleiter geworden, Zen-Buddhismus verschaffte den mentalen Fokus zum realen Gewinn, und das Gehorchen lief dem kreativen Chaos einigermaßen den Rang ab. Hollywood produzierte noch Filme über den Ausverkauf der Vereinigten Staaten an Japaner – und erschaudernd, aber bewundernd vernahm man die Kunde, dass der eine oder andere geradezu berüchtigte japanische Büroangestellte den „Karoshi“, den Tod durch Stress und Überarbeitung, starb.

Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, mag man am Ruf eben jener wie Samurai verehrten Bürokaufleute ablesen. Heute heißen sie in Japan umgangssprachlich „Soshoku Danshi“, übersetzt „antriebslose Grasfresser“ (Gras wegen ihres Hangs zu ausgedehnten Spaziergängen, Anm.). Die Soshoku Danshi sind zum Symbol des schwächelnden Giganten geworden. Seit 20 Jahren erholt sich Japan nicht von seiner schweren Wirtschaftskrise, und was früher für unmöglich gehalten wurde, dass China den östlichen Rivalen im Bruttowirtschaftsprodukt überholt, ist seit zwei Wochen Wirklichkeit geworden. Vergangene Woche hat nun auch der IWF Alarm geschlagen. Japan sei – ebenso wie Griechenland – in Gefahr, seine „fiskalische Souveränität“ zu verlieren.

Vernichtende Blase

Seit dem Platzen einer Immobilienblase 1989, bei der 16 Billionen Dollar an Privatvermögen verpufften, zehrt Japan sein bis in die achtziger Jahre aufgebautes Volksvermögen auf. Der Staat ist mit 200 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung verschuldet und versucht, mit Konjunkturprogrammen die Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Dass die Arbeitslosigkeit bei nur knapp über vier Prozent liegt und japanische Unternehmen in 30 Industriesparten Weltmarktführer sind, ist dabei einer der wenigen Erfolge. Das Vertrauen der Japaner in die eigenen Unternehmen sei dramatisch gesunken, meinen die Finanzexperten von McKinsey. So haben japanische Investoren mehr als 640 Milliarden US-Dollar im Ausland angelegt, während die Börse in Tokio vornehmlich über ausländische Investoren laufe – und das mehr schlecht als recht. Der Nikkei-Index erreichte zuletzt gerade 25 Prozent seines Wertes von 1989.

Mit staatlichen Milliarden unterstützt der Staat unterdessen auch viele Unternehmen, die nicht mehr konkurrenzfähig wären. Der Ökonom Hiroyuki Imai führt das auf Anleihen der Kriegswirtschaft Japans im Zweiten Weltkrieg zurück: „So wie damals führt der Staat die Unternehmen durch seine Industriepolitik.“ Ein System, das mit Wettbewerb offenbar nicht viel zu tun hat: Imai spricht von einem mit Bürokratie überfrachteten System, das noch dazu die alten, streng hierarchischen Strukturen schützt und Innovation und Nachwuchs verhindere.

Die Überalterung der Gesellschaft (das Durchschnittsalter der Japaner ist um zehn Jahre höher als jenes der Amerikaner) stellt die Staatsfinanzen vor zusätzliche Probleme: Derzeit verschlingen die Pensionen 70 Prozent des Sozialbudgets. Für Kinderbetreuung bleiben nur noch vier Prozent der Sozialausgaben übrig.

Unter den reichen Staaten der Erde nimmt Japan einen Spitzenrang ein, was die Ungleichverteilung des Reichtums betrifft. Ein Drittel der Beschäftigten steht in Teilzeitjobs. Rund 14 Prozent der japanischen Kinder wachsen in Armut auf, immer mehr Erwachsene, vor allem Frauen, landen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Für die Zukunft bedeutet das mehr als trübe Aussichten, die durch die mangelnde Reformbereitschaft der verschiedensten Regierungen Japans (siehe unten) noch angeheizt werden.

Denn bisher hat Japan gerettet, dass die Japaner selbst die Schuldverschreibungen des Staates kauften. Doch die Sparquote der jungen Japaner hat sich in den vergangenen Jahren Richtung Null entwickelt. Jeff Kingston von der Universität Tokio fasst es so zusammen: „Die Politik und die Wirtschaft versuchen, das Land mit Rezepten des 20. Jahrhunderts zu lenken, die im 21 Jahrhundert keine Geltung mehr haben.“

Doch wie wollte man das einer Wirtschaftselite erklären, die mit Samurai-Werten aus dem 17. Jahrhundert Welterfolg hatte?

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