Im Menschenpark

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Peter Sloterdijks Sätze über die Zähmung des Menschen durch Gentechnik.

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Peter Sloterdijks Sätze über die Zähmung des Menschen durch Gentechnik.

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Peter Sloterdijk hatte in einem Vortrag etwas gesagt, wollte es dann aber noch nicht gesagt haben, sondern erst später in einem Buch sagen. Ungehalten ob dessen, was über das noch nicht gesagte Gesagte gesagt wurde, warf er Jürgen Habermas vor, eine Fatwa über ihn verhängt zu haben. Deren Berechtigung, falls es wirklich eine war, ließ sich schwer nachprüfen, waren doch Zitate, soweit sie kursierten, Zitate aus einem "Raubdruck". Unterdes rotierten Philosophenzunft und Medien und Sloterdijk kam zur Einsicht, daß es doch besser ist, gleich zu sagen, was er erst später gesagt haben wollte, und erlaubte der "Zeit", den vollen Text der Elmauer Rede "Regeln für den Menschenpark" zu drucken.

Im Kern-Absatz seiner Rede ist die Rede von "Perioden der gattungspolitischen Entscheidung" der Menschheit, vom "Titanenkampf zwischen den zähmenden und bestialisierenden Impulsen und ihren jeweiligen Medien". Von der Feststellung, daß "größere Zähmungserfolge" Überraschungen wären "angesichts eines Zivilisationsprozesses, in dem eine beispiellose Enthemmungswelle anscheinend unaufhaltsam rollt", leitet er zur Frage über, ob "die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird - ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können" - dies seien "Fragen, in denen sich, wie auch immer verschwommen und nicht geheuer, der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt."

Peter Sloterdijk kann präzise formulieren, wenn er will, ist aber auch ein Meister in der Kunst, sich Festlegungen zu entziehen. Die weitere Debatte über "Regeln für den Menschenpark" wird, wie man vermuten darf, um die Frage kreisen, ob bei ihm warnend oder apologetisch von den Utopien der Merkmalsplanung die Rede sei. Dabei wird keinesfalls darüber hinwegzusehen sein, daß sie uns hier, warnend oder apologetisch gemeint, in zwar Heideggerisch raunendem Ton, aber sprachlich mit positiver Besetzung begegnen, als Alternative zu den Folgen einer unaufhaltsam rollenden, beispiellosen Enthemmungswelle, gegen die der Humanismus, wie bei Sloterdijk weiter vorne ausführlich dargelegt, versagt hat.

Als Warnung vor den gentechnischen Utopien läßt sich, wie mir scheint, Sloterdijks Rede am schwersten lesen. Zwanglos läßt sie sich hingegen als Versuch lesen, Heidegger'sche Gedankengänge dort, wo ihnen anthropologische Argumentation höchst gefährlich werden könnte, durch anthropologisches Weiterdenken gegen Kritik dieser Art abzusichern und zugleich den Angriff gegen den Sloterdijk so suspekten Humanismus von neuem vorzutragen.

Wenn man wissen will, wer in einem Haus wohnen darf, fragt man den Verwalter. In seiner legitimen oder angemaßten Rolle als Verwalter des Heidegger'schen Hauses führt uns Peter Sloterdijk zum zweiten Mal die Kompatibilität Heideggers vor. Zum ersten Mal hat dies Heidegger selbst besorgt, als er den Anschein zwar keineswegs einer Deckungsgleichheit, aber doch einer friedlichen Koexistenzmöglichkeit seiner Philosophie mit dem nationalsozialistischen Mystizismus entstehen ließ. Zwei Generationen später führt uns Sloterdijk die Kompatibilität Heideggers mit dem sich als technisch möglich und ökonomisch gewinnversprechend abzeichnenden Zugriff auf die genetisch verankerten Gattungseigenschaften vor Augen. Die Warnung, daß der Versuch, den Menschen in diesem Wege zu zähmen, nach hinten losgehen kann, bleibt er uns schuldig. Daß er sich mit der Elmauer Rede, wissentlich oder nicht, den Gewinninteressen als potentielle Galionsfigur angedient hat, darf dabei auch nicht übersehen werden.

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