Im richtigen Takt ins Theaterglück geschlittert

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Das Wiener Volkstheater zeigt eine Bühnenfassung von Leo Tolstois Roman "Anna Karenina“: eine sehenswerte Neuproduktion dank Inszenierung, Bühnengestaltung und Ensemble.

In Österreich ist es zurzeit jedenfalls nur schwer möglich Leo Tolstois Roman "Anna Karenina“ zu entkommen: Die Festspiele in Reichenau brachten diesen Sommer eine Dramatisierung, das Volkstheater hat Armin Petras’ Theaterfassung nun in der Regie Stephan Müllers auf den Spielplan gesetzt, und daneben startet nächste Woche auch noch eine Hollywoodverfilmung in den heimischen Kinos.

Die Bühnenfassung von Petras, 2008 bei den Ruhrfestspielen uraufgeführt, destilliert aus dem 1000-seitigen Werk ein stringentes Drama, das sich der gesellschaftspolitischen Kontexte fast gänzlich entledigt hat. Tolstois minutiöse Beschreibung einer aufstrebenden russischen Bourgeoisie um 1900 wird so auf die zeitlosen Themen Liebe, Glück und Beziehungsprobleme reduziert. Das funktioniert ganz gut, erinnert aber mitunter mehr an Rosamunde Pilcher als an den großen russischen Romancier. Zum Glück hat das Volkstheater mit Müller einen Regiemeister der exakten Form zur Hand, bei dem jede Gefühlsregung in ein artifizielles Gestenspiel übersetzt wird. In dieser Mischung aus strenger Form und gefühlsbetontem Inhalt entsteht im Zusammenspiel mit einem wunderbaren Ensemble sowie der genialen Bühnenkonstruktion von Hyun Chu eine sehenswerte Neuproduktion über den altbekannten Romanstoff.

Blutrote Bühne

Auf der blutroten Bühne, in der mehrere Bühnenrahmen wie Matroschka-Figuren ineinander geschachtelt sind, werden drei Liebesgeschichten erzählt: die von Anna Karenina, einer Dame der besseren Gesellschaft, mehr mit Vernunft als mit Herz an ihren Ehemann Karenin (Martina Stilp und Michael Wenninger) gebunden. Sie verliebt sich in den Lebemann Wronski (Roman Schmelzer), verlässt Mann und Kind und wird sich, zerrissen von inneren Konflikten, zum Schluss vor einen Zug werfen. Konterkariert wird dieses Beziehungsdesaster durch das Liebesglück von Lewin und der jungen Kitty (Till Firit, Hanna Binder). Dazwischen baut Petras auch die Eheschwierigkeiten zwischen Dascha und Annas Bruder Stefan (Susa Meyer, Patrick O. Beck) als dritten Handlungsstrang ein.

All diese verworrenen Gefühle kommen gleich in der ersten Szene zusammen mit ihren Protagonisten auf einer Schlittschuhbahn vorbeigezogen. Die Bewegungen scheinen fast wie eingefroren, so langsam gleiten die Darsteller in ihren herrlichen Kostümen (Birgit Hutter) im Walzertakt über die Bühne. Nur ein Bild von vielen weiteren Momentaufnahmen, in denen die Zeit tatsächlich stehen geblieben zu sein scheint. Oder etwa die Hochzeitsszene von Lewin und Kitty, in der die Gäste ihre Tanzschritte im Sitzen vollziehen und nur ab und zu ein Paar Arm in Arm zur Bühnenrampe vortänzelt. Nicht immer gelingt den Schauspielern dieses stille Ausstellen von Gefühlen im Wechselspiel aus Dialog, Monolog und minimalistischen Körperposen. Martina Stilp als Anna hat es da besonders schwer - zu Beginn noch als souveräne Dame von Welt in Szene gesetzt, möchte man ihr die Verwandlung zur in sich gekehrten Selbstmörderin nur schwer abnehmen.

Originaltextstellen aus dem Roman

Müller achtet vor allem auf das richtige Tempo zwischen den epischen Passagen - zumeist sind es Originaltextstellen aus dem Roman - und kurzen von Petras hinzugefügten Dialogen. Dafür findet er den idealen Rhythmus, und durch die verschachtelte Raumkonstruktion lassen sich mehrere Handlungsebenen gekonnt miteinander verweben. Besonders schön, wenn Stellen aus dem Buch direkt in die Theaterinszenierung einfließen, etwa als der Gutsbesitzer Lewin endlich den Mut aufbringt, Kitty ein zweites Mal um ihre Hand zu bitten. Müller schiebt dafür eine graue Wand über die Bühne, auf die die beiden mit Kreide die Anfangsbuchstaben ihrer Fragen und Antworten schreiben (ob Tolstoi wusste, dass wir heute jede kurze Mitteilung auf diese Art bewerkstelligen?). "D-k-i-n-a-a“ schreibt Kitty darauf, "Damals konnte ich nicht anders antworten“, bevor sie endlich das erlösende "Ja!“ auf die Wand schreibt. Ab nun ist Lewins Liebesglück komplett, überall sieht er Paare, zwei Tauben, zwei Menschen, zwei Semmeln. Überhaupt ist Till Firit mit seiner Interpretation des liebestrunkenen Lewin eine wunderbare Schauspielleistung gelungen, die auf kraftvolle und zugleich zurückgenommene Art berührende Theateraugenblicke schafft.

Weitere Termine

1., 2., 13., 15., 16., 23. Dezember

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