Im Schatten der blauen Blase

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Während das Projekt "Graz 2003 - Kulturhauptstadt Europas" steigt, gehen Kulturgüter - etwa Schloss Eggenberg oder die Landesbibliothek - vor die Hunde.

Jahrelang bemühte sich die Stadt Graz, nun ist es endlich gelungen: 2003 wird sie zusammen mit St. Petersburg europäische Kulturhauptstadt. Also nahm man eine Reihe spektakulärer Programme in Angriff.

Am notwendigsten ist der Bau eines Kunsthauses für Großausstellungen - Events sollen ja nicht ausgelassen werden. Pläne dafür wurden seit zwei Jahrzehnten diskutiert, schließlich kam es zu einem reizvollen Entwurf für den "Pfauengarten", einem Gelände im Bereich der Burg. Alle Genehmigungen waren erteilt, doch dann machte ein politischer Umschwung dem Projekt einen Strich durch die Rechnung. ÖVP-Landeshauptmann Josef Krainer verlor die Wahl, sein Nachfolger aus der SPÖ, Peter Schachner-Blazizek, hatte keine Lust "ein Denkmal für Krainer" zu bauen.

Stille trat ein, bis die Kulturhauptstadt eine Lösung des Problems erzwang. Nun gibt es in Graz kaum freie Flächen für einen Neubau, ein Kunsthaus irgendwo am Stadtrand hätte auch wenig Sinn gehabt. So griff man auf das "Eiserne Haus" am rechten Murufer zurück. 1847/48 als Gusseisenskelettbau errichtet, ist es eines der frühesten europäischen Beispiele dieser Bauweise. Das Schicksal ging nicht immer zart mit ihm um, und seit einigen Jahren war es beinahe abbruchreif.

Dieses Haus wurde nun zum Ausgangspunkt für ein neues Kunsthaus. Die Fassaden bleiben stehen, dahinter soll sich ein Bau erheben, der jetzt schon im Volksmund "blaue Blase" genannt wird, weniger freundlich auch "Krötenrücken". Die Architekten Peter Cook und Colin Fournier haben ein außergewöhnliches Haus geplant, von einer Haut aus blauem Acrylglas überdacht, welches das Tageslicht durchschimmern lassen sollte. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass diese Konstruktion nicht ganz regendicht sein würde. Also unterfüttert man es, die ausgestellten Objekte und die Zuschauer werden im Trockenen bleiben, das Tageslicht allerdings bleibt zum Teil draußen. Das muss kein Nachteil sein, denn durch künstliche Beleuchtung ist man unabhängig von Sonnenschein oder Wolken. Die Kosten sind mit rund 34 Millionen Euro angesetzt, es könnte aber auch mehr sein, denn die Außenhaut ist schwer zu kalkulieren. Zur Sicherheit ist auch eine Version in Metall ausgeschrieben.

Das Kunsthaus wird seine Fortsetzung im Wasser finden: In der Mur wird eine Insel verankert. Architekt Vito Acconci hatte dazu die Vision von zwei Kreisen, einer überdacht, der andere als offene Arena. Auch dieses architektonische Wahrzeichen der Kulturhauptstadt wird einige Millionen Euro kosten, ganz zu schweigen von den Folgekosten für Erhaltung und Betrieb in den nächsten Jahren. Den Löwenanteil der Baukosten muss die Stadt Graz bezahlen, vom Bund kommt ein Zuschuss, das Land Steiermark wird den Erlös für den Flughafen Thalerhof einbringen, der verkauft werden soll.

Wenn aber das Kunsthaus ein Ort für Großausstellungen wird, kann eine Institution aufatmen, nämlich die Abteilung für Kunstgewerbe am Landesmuseum Joanneum, die etwa 35.000 Objekte besitzt. Das Haus wurde 1895 eröffnet, die Sammlungen waren darin ausgestellt, bis sie 1997 auf höhere Weisung deponiert werden mussten, um einer Schiele-Ausstellung Platz zu machen. Seither löste eine Event-Ausstellung die andere ab, die Schätze des Museums bleiben dem Publikum unzugänglich.

Die Politik vertröstet

Zu diesen Schätzen gehört die Glas-Sammlung, der Bestand an Objekten aus Schmiedeeisen, vermutlich der größte in Mitteleuropa, und als gerade für die Steiermark gar nicht hoch genug zu schätzende Kostbarkeiten Zopforden, Friedrichswagen und Herzogshut. Letzterer sollte durch Regierungsbeschluss von 1908 ständig ausgestellt sein, wovon nun keine Rede ist. Der Friedrichswagen ist ein Unikat aus der Gotik, seit den Regierungsjahren Kaiser Friedrich III. befindet er sich in Graz. Ob er tatsächlich bei der Hochzeit des Kaisers mit Eleonore von Portugal in Rom verwendet wurde, ist fraglich, aber durchaus möglich. Der Zopforden aus vergoldetem Silber stammt ebenfalls aus der Gotik. Diese drei Objekte allein brauchen einen entsprechenden Rahmen, der mindestens bis zum Frühling 2003 nicht zur Verfügung stehen wird. Auch kleinere Ausstellungen sind seit 1997 aus Geldmangel nicht möglich. Von politischer Seite hält man sich zu diesem Problem bedeckt und vertröstet auf die kommende Ausgliederung des Joanneums mit seiner Neuordnung.

Gegenüber der Abteilung für Kunstgewerbe steht das Haus für die Steiermärkische Landesbibliothek. Mit einem Bestand von 700.000 Büchern ist sie die größte österreichische Landesbibliothek. Da finden sich Wiegendrucke, steirische Frühdrucke, die umfangreichste Sammlung von Zeitungen und Theaterzetteln der Steiermark und ein Bestand von etwa 50.000 wertvollen Büchern aus der Zeit Erzherzog Johanns. Das klingt eindrucksvoll und ist es auch, aber die Probleme dieser Institution lassen sich in zwei Wörtern zusammenfassen: Geld und Raum. Das Ankaufsbudget ist völlig unzureichend. Seit 1979 beträgt es gleichbleibend 1,8 Millionen Schilling - nunmehr 130.811 Euro - im Jahr, das heißt, dass nicht einmal die Inflation abgegolten wird. Zum Vergleich: Die Landesbibliothek Vorarlberg bekommt mehr als 500.000 Euro, allerdings gibt es in Bregenz keine Universität, die mit Büchern versorgt werden müsste.

Ausbaden müssen diese Unterdotierung zuerst einmal die Leser, denen neue Literatur nur in unzureichender Menge zur Verfügung gestellt werden kann. Die Bücher selbst sind unter erschreckenden Bedingungen untergebracht, nämlich unter dem Dach und im Keller des Hauses. Im Winter ist es eiskalt, doch schlimmer ist der Sommer, denn die Hitze trocknet die Bücher aus, Ledereinbände werden brüchig, der Leim löst sich. Neue Bücher aber werden bald überhaupt nicht mehr Platz haben. Als Lösung kaufte das Land Steiermark vom Bund ein altes Kasernengebäude am rechten Murufer. Sein Vorteil ist die Bauweise aus dicken Ziegelwänden, die zu einem geeigneten Raumklima führen. Aber dieses Haus müsste von Grund auf adaptiert werden, was bis jetzt nicht geschehen ist. Derzeit sind dort die Sammlungen von Zeitungen und Theaterzetteln untergebracht, doch unter Bedingungen, die einem Bücherfreund fast das Herz brechen. "Man denkt an eine Verbesserung", heißt es von politischer Seite, und es ist nur zu hoffen, dass der Denkprozess bald in Taten münden wird.

Am westlichen Stadtrand liegt Schloss Eggenberg. Es ist mehr als ein Schloss, es ist ein Denkmal und sollte als solches gehegt und gepflegt werden. Seine Besonderheit sind die Prunkräume des ersten Stocks, deren Ausstattung noch aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammt, aus der Zeit als die Eggenberger seine Besitzer waren. Vor allem die mehr als 600 profanen Deckengemälde in Secco-Technik sind ein Unikat von europäischem Rang. Das Ensemble blieb erhalten, weil es nach dem Aussterben der Eggenberger von den Herbersteinern als deren Nachfolger bis ins 20. Jahrhundert als "Vaterländisches Erbe" gehegt und gepflegt wurde.

Unglaubliche Schäden

Der Zweite Weltkrieg brachte die ersten Schäden, heute aber haben sie ein erschreckende Ausmaß angenommen. Der altersbedingte Abbau der verwendeten Materialien wie Holz oder Seide ist nicht zu verhindern, wäre aber bei entsprechender Pflege zu verzögern. Daran hat es jahrelang gemangelt. Heute haben sich Teile der Deckengemälde vom Untergrund gelöst, sie drohen abzustürzen, womit sie unwiderruflich verloren wären. Derzeit wird in komplizierter Technik an ihrer Festigung gearbeitet.

Die wesentlich schwereren Schäden, welche die Substanz ernsthaft bedrohen, entstanden aber - und entstehen immer noch - durch die denkmalwidrige Verwendung der Prunkräume für Empfänge. Das Bild, das sich nach einem solchen Abend zeigt, ist unglaublich: Die barocken Weichholzböden, erst vor einigen Jahren restauriert, sind voller Löcher und Kratzer, Fettflecken und verschütteter Kaffee prangen auf den Seidenbespannungen der Sessel, sogar Zigarettenlöcher in den chinesischen Tapeten zeugen von mangelndem Respekt für ein Kulturgut. Die Restaurierung kann nun versuchen, solche Schäden auszubessern, aber verlorene Substanz ist nicht ersetzbar. Dazu noch kostet die Restaurierung viel Geld, denn Spezialisten sind rar und haben ihren Preis.

Es gäbe nur einen vernünftigen Weg: keine Empfänge mehr in diesem Denkmal, und zwei getrennte, ständige Budgets für Erhaltung und Restaurierung. Die derzeit zugesagten 145.346 Euro pro Jahr sind willkommen, aber zu wenig.

Die Politiker haben keine leichte Aufgabe. Sie sollen die Kultur lebendig erhalten, Neues entstehen lassen, gleichzeitig aber unwiederbringliche Zeugnisse der Vergangenheit schützen. Eine Gratwanderung.

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