IM SCHATTEN DES STÖCKELSCHUHS

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SCHREIBEN KÖNNEN SIE, DIE HEIMISCHEN AUTORINNEN. BEKOMMEN SIE AUCH DIE ANERKENNUNG DAFÜR?

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SCHREIBEN KÖNNEN SIE, DIE HEIMISCHEN AUTORINNEN. BEKOMMEN SIE AUCH DIE ANERKENNUNG DAFÜR?

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Denkt man an österreichische Schriftstellerinnen, so denkt man an die vielbesprochenen und mit höchsten Würden dekorierten, an "unsere" Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, an die Büchnerpreisträgerin Friederike Mayröcker, an Marlene Streeruwitz. Man könnte meinen, alles stünde zum Besten mit der öffentlichen Anerkennung für Autorinnen.

Ein Blick auf die zweite Reihe oder die nächste Generation macht jedoch unsicher. Genießt zum Beispiel Anna Mitgutsch, die mit "Die Züchtigung"(1985) ein Schlüsselwerk der Zweiten Republik geschrieben hat, die Aufmerksamkeit, die sie verdient? Müsste nicht Bettina Balàka mit "Eisflüstern"(2006), ihrem souverän erzählten und spannenden Roman über einen Wiener Kriegsheimkehrer des Jahres 1922, heute in aller Munde sein? Wie steht es mit den unerbittlichen Fallstudien der Evelyn Grill? Warum ist Olga Flor, die virtuose Analytikerin des modernen Lebens, nicht längst über die Grenzen des Landes hinaus berühmt? Oder die immer wesentlich werdende Formkünstlerin Sabine Gruber? Oder Angelika Reitzer, die mit ihrem Familienroman "Wir Erben" gerade gezeigt hat, dass auch die leisen Töne Nachhall erzeugen. Weshalb sind die gewitzten Sprach- und Bildkunstwerke der Brigitta Falkner immer noch Geheimtip? Oder anders gefragt: Was können Thomas Glavinic und Daniel Kehlmann, was die genannten Autorinnen nicht können?

Vielleicht beherrschen sie ja die Klaviatur des öffentlichen Spiels besser. Vielleicht verfügen die Damen dieser lückenhaften Liste aber auch einfach nicht alle über das, was Marketingleute, Medienmenschen und Veranstalter wollen und bei einigen Schriftstellerinnen der jüngsten Generation sehr wohl finden: ein Hochglanzgesicht, ein extravagantes Styling, eine avancierte Gretlfrisur wie Verena Rossbacher, dräuende Dreadlocks und einen Bubbletea-Shop wie Cornelia Travnicek oder einen Minirock und Stöckelschuhe in reizvoller Kombination mit leicht angestaubter Altphilologie wie Vea Kaiser.

Nahrhaft für die literarische Fama sind nämlich keineswegs nur Äußerlichkeiten, sondern auch g'schmackige Biografien und Exotisches aller Art. So muss die mehrsprachig mobile, mit ihrer Lyrik wie ihrer Prosa ("Das Schöne und das Notwendige") im besten Sinne unberechenbare Lepidopterologin Andrea Grill als Exempel für das Schmetterlingshafte der Literatur herhalten. Und so hat man die kühl beobachtende Prosa von Anna Kim erst adäquat wahrgenommen, als sie in "Die gefrorene Zeit" die Verbrechen des Kosovokriegs und in "Anatomie einer Nacht" Selbstmorde auf Grönland beleuchtet hat - und jetzt vergisst kein Journalist, ihr eine Erklärung zu ihrer südkoreanischen Herkunft abzuverlangen, weshalb sie gern betont, dass sie gar nicht Koreanisch könne. Ähnlich ergeht es Julya Rabinowich als Fachfrau für das Russische sowie traumatisierte Ausländerinnen; oder auch Milena Michiko Flasar, die zwar zunächst mit ihrer feinen Außenseiter-Studie "Ich nannte ihn Krawatte" aufgefallen ist, nun aber dazu verdammt scheint, die Bandbreite ihres Namens von kakanisch bis japanisch öffentlich zu performieren. Sogar Ann Cotten, die in Iowa geborene Wienerin, deren aufregend eigenwillige Gedichte und Prosastücke sich jeder Abstempelung widersetzen, muss sich nun, da sie als eine Autorin, für die der "Sprach-und Kulturwechsel" prägend sei, den Adelbert von Chamisso-Preis bekommen hat, von dem ahnungslosen Maxim Biller sagen lassen, sie würde sich wie ihre Preis-Kollegen der im deutschen Mainstream "herrschenden Ästhetik und Themenwahl anpassen".

Untersucht man stichprobenartig das Geschlechterverhältnis bei den bedeutenderen der in Österreich seit 1975 vergebenen Literaturpreise, so muss man sich doch wundern: Beim "Österreichischen Kunstpreis für Literatur"(früher "Würdigungspreis") stehen 21 Männern nur 8 Frauen gegenüber - darunter etwa die ebenfalls nicht gebührend renommierte Chronistin weiblicher Lebensläufe Margit Schreiner. Immerhin zirka 1:2 ist das Verhältnis beim "Anerkennungspreis", der heute den scheußlichen Namen "Outstanding Artist Award" trägt: 22 Autorinnen gegen 41 Autoren. Auch den "Preis der Stadt Wien für Literatur" haben doppelt so viele Männer (27) wie Frauen (13) bekommen.

Andererseits, um ein bisschen aus der Schule der Preisermittlung zu plaudern: Wenn sich eine Jury in ihrem ästhetischen Urteil einig ist, und dann melden sich just die männlichen Mitglieder zu Wort, die einräumen, dass der Mann zwar die beste Wahl sei, man aber bedenken müsse, dass man bereits zwei Männer gekürt habe und das jetzt wirklich komisch ausschaue etc. - dann neige ich, zugegeben, zum vehementen Plädoyer für den Ausschluss aller nichtliterarischen Kriterien, denn das, also eine Art Behindertenbonus, haben Frauen nicht notwendig.

Literaturpreis für Frauen

Dass sie unter den Ausgezeichneten so deutlich unterrepräsentiert sind, mag mit einer verzerrten Wahrnehmung von Leistung zu tun haben. Die Stadt Wien hat nun, um der Gerechtigkeit eine strukturelle Basis zu geben, einen exklusiven Literaturpreis für Frauen geschaffen, bei dessen Benennung man wiederum sehen kann, dass es in der Kunstpolitik nie nur um die Kunst geht: Obwohl mit Marie von Ebner-Eschenbach eine Namenspatronin von weltliterarischem Format zur Verfügung gestanden wäre (als Wienerin, Pionierin des Feminismus, von Viktor Adler bewunderte Sozialkritikerin und Stifterin eines Ebner-Eschenbach-Preises für junge Autorinnen), zog man ihr die gewiss sehr gute Schriftstellerin Veza Canetti vor, für die nicht zuletzt das medial ergiebige Exilschicksal und ihr Bekenntnis zur Sozialdemokratie gesprochen haben dürften.

Damals wie heute sind "im Betrieb" auch berühmte und verdiente Autorinnen vor Chuzpe nicht gefeit. Wäre es etwa vorstellbar, dass das Wiener Volkstheater bei einem Herrn Turrini oder Mitterer ein Musical bestellt, es pünktlich bekommt, bezahlt - aber nicht aufführt? Wie es Marlene Streeruwitz jüngst geschah.

Man wünscht sich also, Autorinnen wie die Kindheitsspezialistin Monika Helfer ("Oskar und Lilli"), die psychiatrisch fundierte Erzählerin Melitta Breznik ("Das Umstellformat") oder die dem Abgründigen zugeneigte Linda Stift ("Kein einziger Tag") würden mehr gelesen, besprochen, gelobt. Über die Sache selbst braucht man sich gottlob keine Sorgen zu machen: Die Schriftstellerinnen des Landes haben etwas zu sagen und wissen außerdem wie, und diejenigen, die wie Anna Weidenholzer, Margarita Kinstner, Barbara Aschenwald oder Nadine Kegele nun die Szene betreten, haben durchaus das Zeug, von sich reden zu machen. Denn, wie Ebner-Eschenbach wusste: "Wer sich mit wenig Ruhm begnügt, verdient nicht vielen."

Eisflüstern

Roman von Bettina Balàka

Suhrkamp 2009 387 S., kart., € 10,20

Die Züchtigung

Roman von Anna Mitgutsch

Deutscher Taschenbuch Verlag 1987 256 S., kart., € 9,20

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