Im Schatten einer Serie

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Furche Nr. 20/18. Mai 1974

"Wo man gar nix gegen Juden hat ...": So der Übertitel über der Kritik an der "Krone"- Serie "Die Juden in Österreich".

Es begann mit einer an die Haushalte verteilten Werbedrucksache ("Kennen auch Sie Leute, die das Wort ,Jude' nur flüstern?"), die man, um Näheres zu erfahren, erst aufreißen mußte, als handle es sich um Pornographie. Es begann mit der überdimensionierten, von den Plakatwänden drohenden, durch einen Zionstern verfremdeten rot-weiß-roten Fahne. Wenige Tage später war die öffentliche Meinung in diesem Lande polarisiert ...

Auf der einen Seite stellen nun alle jene, die ihre bewußten oder unbewußten antisemitischen Restbestände hinter der Formel "Ich hab ja gar nix gegen die Juden!" zu verbergen pflegen: So wie man einander schon lange an dieser Redewendung als gleichgesinnt erkennt, so trägt man seit wenigen Wochen Äußerungen über die Reimannsche Objektivität als Abzeichen einer aufgeklärt-geläuterten aber im Grunde halt doch bodenständigen Haltung. - Auf der anderen Seite steht der Österreichische Presserat, der die Serie "Die Juden in Österreich" mit der Begründung verurteilte, daß sie "die Berufspflichten der Presse und das Ansehen der Presse schwerstens verletzt", und die "Kronen-Zeitung" macht es sich sehr leicht, wenn sie darin nur ein Konkurrenzmanöver sieht. Denn auf der anderen Seite steht auch, empört und betroffen, ein großer Teil der österreichischen Intellektuellen, unter denen die Juden nur eine winzige Minorität darstellen. [...]

Wenn irgendjemand dieses ... Volk kennt, dann sind es die Marketing-Experten der "Kronen-Zeitung", die mit ungeheurer Treffsicherheit in das seit 1945 dank Nicht-Information, Nicht-Aufklärung, Nicht-dran-rühren hineinstieß. Tatsächlich unmöglich wurde 1945 nicht der Antisemitismus, sondern ein unreflektierter, "naiver" Antisemitismus, der meint, keiner Entschuldigungen und Alibis zu bedürfen. Diese Entschuldigungen und Alibis werden den Lesern der "Kronen-Zeitung" seit dem 7 :April 1974 in kräftigen Tagesdosen geliefert. [...]

Reimanns "Ausrutscher" ebenso wie die Methode, mit Zitaten anderer Autoren zu sagen, was man nicht selber sagen will, ergänzt dabei nur einen insgesamt schiefen, gefährlichen, gewollt naiv gewählten Blickwinkel. Reimann tut (nicht als erster) so, als hätten sich, abgesehen von der Verfolgung von Juden durch Nichtjuden, alle Menschen stets bestens miteinander verstanden. [...]

Die in der Werbedrucksache versprochene Entkrampfung fand statt - aber als weitere Entkrampfung derer, die keine Antisemiten sein wollen, aber für die Juden auch nichts übrig haben. Man kann nunmehr seine - der "Kronen-Zeitung"-Werbung für die Serie zufolge - "aktuelle verläßliche Meinung" äußern, schließlich stand sie in Österreichs größter Zeitung.

Und diese Meinung kann doch nur lauten: Da die Juden so oft verfolgt wurden, müssen die Gründe dafür bei ihnen liegen. Hellmut Butterweck

Nächste Woche: Furche 1975 zu Thomas Bernhards "Die Ursache"

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