Im und mit Blick auf die Armen

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Der Begriff Achtsamkeit ist auch in christlichen Kontexten angekommen. Die in den obigen Beiträgen beschriebenen Zugänge zur Entdeckung des Selbst, aber auch deren ethische und spirituelle Implikationen lassen unschwer Berührungen mit christlichen Anschauungen und Praktiken erkennen. Und auch der Dialog zwischen Christentum und Buddhismus trug und trägt zu dieser Entwicklung bei.

Ein Brückenbauer zwischen asiatischer Denkweise und christlicher Theologie, der sri-lankische Jesuit Aloysius Pieris, beschäftigt sich auch mit Achtsamkeit. Pieris, Jahrgang 1939, ist einer der bedeutendsten Theologen Asiens sowie ausgewiesener Indologe und Buddhismusexperte. In seinem Essay "Spirituality as Mindfulness“ ("Spiritualität als Achtsamkeit“; in: Spiritus - A Journal of Christian Spirituality, Frühling 2011) verwendet er den Begriff Achtsamkeit vor allem als eine "Kunst, heil und ein ganzer Mensch zu werden“, und weniger als "bloße Technik, um die psychischen Kräfte“ zu stärken.

Pieris führt da die Spiritualität seines Ordensvaters Ignatius von Loyola an, die auf "Gott suchen und finden in allen Dingen und alle Dinge in Gott“ beruht: Dieses Gottesbewusstsein ist, so Pieris, "eine beständig andächtige Haltung oder eine liebende Achtsamkeit für Gott, die das Handeln begleitet“.

Erinnerung und Wiedererkennung

Pieris analysiert biblische Beispiele für die Achtsamkeit. Er geht vom Pali-Wort Sati aus, das nicht nur mit "Achtsamkeit“ übersetzt werden kann, sondern auch die Bedeutungen "Erinnerung“ und "Wiedererkennung“ einschließt.

Die Erinnerung ist demnach eine Reise in die Vergangenheit: "Wir sind eingeladen, uns zu erinnern, wie achtsam Gott zu uns war … Und auf dieser Basis schauen wir in die Zukunft und sagen:, Gott, wir vertrauen auf dich.‘“

Wiedererkennung ist nach Pieris dann jene Dimension der Achtsamkeit, welche die "dankbare Erinnerung an die Vergangenheit“ und die "vertrauensvolle Zukunftshoffnung“ vervollständigt "mit einer unterscheidenden Achtsamkeit des gegenwärtigen Augenblicks, in dem uns Gott hier und jetzt mit seinem Wort sowohl konfrontiert als auch einlädt “.

Kritiker einer säkularen, merkantilen Achtsamkeitspraxis können sich in den christlichen Interpretationen der Achtsamkeit durch Aloysius Pieris fast wortident wiederfinden. Denn in einer biblischen respektive christlichen Spiritualität sind die Armen der Prüfstein; Achtsamkeit im christlichen Sinn heißt: im und mit Blick auf die Armen. Pieris zitiert u.a. Matthäus 25, wo Jesus sich mit den Hungrigen, Dürstenden, Obdachlosen, Nackten identifiziert: "Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

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