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Eine besonders liebe Familie steht im Zentrum von Olga Flors Roman "Talschluss", auf der Suche nach einem authentischen Ort, "der mit sich im Reinen ist".

Olga Flor hat scharfe Augen und Ohren. In ihrem Blick- und Hörfeld: Familien, Elite-Familien, wohlhabend, gebildet, konservativ und alternativ in einem, untadelig, repräsentabel, städtisch, Horte traditioneller bürgerlicher Anpassung und Ordnung, selbstbewusst und leistungswillig, zuhause in Graz oder Wien oder Salzburg, mit Zweithaus am Land, im schönen gesunden Grün.

Ein im besten Fall durchaus heimeliges sonniges Milieu, auf der Höhe der Zeit und doch nicht entwurzelt, intelligent genug, um sich provinzieller Muffigkeit zu erwehren, zwangsläufig dynamisch, weil bedacht auf Wohlstandserhalt, aber auch ausgestattet mit Auffangräumen für etwaige familiär Abwegige, die musisch und künstlerisch besonders Begabten zum Beispiel, man ist feinsinnig genug, auch den Wert des symbolischen Kapitals zu schätzen.

In "Talschluss" begibt sich Olga Flor in eine vordergründig weitaus einnehmendere Familie als zuletzt in ihrem viel beachteten und ausgezeichneten Debüt "Erlkönig".

Scheinbare Idylle

Katharina, die Ich-Erzählerin, ist Event-Managerin und spezialisiert auf das Ausrichten von Festen. Ihre mütterliche Freundin Grete bittet sie, ihr dabei zu helfen, für die Feier ihres 60. Geburtstages einen geeigneten Ort zu finden - "etwas Authentisches, hat Grete gesagt {...}, ein Ort, hat sie gesagt, der mit sich im Reinen ist". Katharina findet eine Almhütte, am Ende eines kleinen Seitentals, mit einem See in der Nähe. Die Romanhandlung setzt ein mit dem Tag der Ankunft Katharinas und von Gretes Familienmitgliedern in der Hütte und endet am Morgen des dritten Tages - ein Prosadrama in drei Akten also, es treten weiters auf: Thomas, Gretes Sohn, Ende 30, lebt in Scheidung. Ernst, Gretes Mann, Personalchef, beruflich schon etwas im Abseits. Artur, Thomas' Stiefsohn, ein Musiker, zusammen mit seinen Freunden Philipp und Jan. Sabine, Gretes Tochter, mit ihren drei kleinen Kindern. Manuela, Gretes Haushälterin.

Es ist August und die Assoziation zu Stifters "Nachsommer" schon im 1. Auftritt, bestritten von Katharina und Grete, nicht fern: "Wenn du die Schuhe bitte, sagt sie und weist auf den Hocker, blankgesessenes, dunkles Holz, ich setze mich brav, die Hüttenschuhe findest du im Korb da drüben". Achtsame Ordnung allüberall - ob nun Grete die "dickwandige Keramiktasse" andächtig an die Lippen führt, geschmackssicher den Schafkäse mit Kernöl anrichtet oder ihren Sohn einfühlsam fragt, ob er und seine Frau "denn schon professionelle Hilfe" gesucht hätten. Die Hütte, ein Verständnisreich. Nicht umsonst leitet Grete Seminare zu Meditation und Entspannung. Die gestressten Ankömmlinge haben es tatsächlich alle dringend notwendig, einmal "abzuschalten"; sie rollen mit ihren Autos durch das Gatter in die idyllische Klausur und dürften fallen, wenn sie nur könnten.

Die Idylle wird von zwei Seiten in die Zange genommen. Da ist zum einen die Natur, die ihrer erbaulichen Rolle nicht gerecht werden will. Die Maul- und Klauenseuche bricht aus und der geselligen Hüttenrunde droht ein längerer Zwangsaufenthalt. Auf der anderen Seite ist da der Ton der Erzählerin Katharina, desillusioniert und zartbitter. Sie gehört nicht dazu - sie war zwar einmal liiert mit Thomas und Grete ist für sie nach wie vor eine Mutterfigur, dennoch: Katharina ist fremd, auch wenn sie alle Insignien besitzt um ebenbürtiges Mitglied zu sein. Sie ist Mitte 30, erfolgreich, arbeitet hart an sich, innen und außen, hält sich in Form. Und sie ist müde, schläft mit Artur, dem schönen jungen Geiger, dem nichts fehlt, im Gegensatz zu ihr, der ewig von einem Ungenügen Getriebenen.

Was Olga Flor meisterlich gelingt, ist die Wiedergabe des alternativ-bürgerlichen Jargons und die beiläufige Ausstattung der Figuren mit milieuspezifischen Details. Seltsam unwirksam bleibt dagegen die zentrale Metapher der Seuche. Nichts kippt.

Am Ende scheint es fast so, als hätte das Objekt der Analyse die Analytiker abgeworfen - die Seuche, Katharina, die Autorin, alle scheitern sie an Gretes mildem Teflonlächeln. Enttäuschend, aber realistisch?

Talschluss

Roman von Olga Flor

Zsolnay Verlag, Wien 2005

171 Seiten, geb., e 17,40

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